Aus der Schmoll-Ecke Irre, Gewalt wird zu "betrieblichen Gründen" verklärt


Im Freibad macht sich mancher sehr viele Gedanken.
(Foto: dpa)
Viele Gefahren drohen: Atomkrieg, Künstliche Intelligenz, Klimawandel, Artensterben, Pandemien und Asteroideneinschläge. Nur ein Tag im Freibad ist noch gefährlicher. Doch lesen Sie selbst, was sich unser Kolumnist für Sie ausgedacht hat.
Jede Wette, Sie lesen die neue Schmoll-Ecke in einem Schwimmbad, geschützt von Security, Polizei und Sonnencreme, natürlich Faktor 50, denn der Hautkrebs ist auf Welttournee und noch aggressiver als die jungen Männer auf dem Handtuch neben Ihnen, die Sie anhand äußerer Merkmale gewissen Kulturkreisen und -quadraten zuordnen, obwohl Sie das eigentlich nicht wollen, da Sie wissen, dass es die inneren Werte des Menschen sind, die zählen.
Den Gedanken schieben Sie rasch beiseite. Stattdessen geht Ihnen durch den Kopf, ob es nicht viel zu riskant ist, das kostbare Smartphone hier, an diesem kriminellen Hotspot, zu nutzen, wo doch bekannt ist, dass Jugendliche wie die auf dem Handtuch neben Ihnen alles klauen, was nicht niet- und nagelfest ist, bald auch das Wasser aus dem Schwimmbecken, denn das wird knapp und eines Tages wertvoller sein als Gold, weil es nicht genug regnet.
Jetzt sind Sie sich sicher, dass es ein Riesenfehler war, das Smartphone - für alle sichtbar - rauszuholen, weil Sie wissen, dass das Mopsen von Handys derzeit noch leichter ist und mehr Geld bringt als der Diebstahl von Wasser aus Schwimmbecken. Langsam bereuen Sie sogar, überhaupt und ausgerechnet in DAS Schwimmbad gegangen zu sein, wo doch im Internet von "Horror statt Badespaß" die Rede war (und der Hautkrebs bei seiner Welttournee bekanntlich auch in Deutschland verweilt). In Ihnen wächst die Unruhe, das Lesen der Schmoll-Ecke fällt schwer, zumal Sie mit einem Auge permanent rüber zu den verdächtigen Jugendlichen auf dem Handtuch neben Ihnen schielen, was die aber nicht sehen sollen, da sie sich provoziert fühlen könnten - ausgerechnet von Ihnen, wo Sie doch friedlicher als der Dalai Lama sind.
Das ungute Gefühl will nicht weichen. Zum Glück erinnern Sie sich daran, dass lauter muskulöse Typen der Security vor Ort sind. Sie vergegenwärtigen, dass auch die aus gewissen Kulturkreisen und -quadraten stammen, was alles komplizierter macht, weil die Vorurteile durcheinander rutschen.
Nun sind Sie verwirrt und beruhigt zugleich, Sie haben wieder Hoffnung, dass Sie die Schmoll-Ecke zu Ende lesen können und vielleicht doch nicht beklaut, beschimpft oder verprügelt werden von den aggressiven Jugendlichen auf dem Handtuch neben Ihnen, die - was für ein wunderbarer Tag plötzlich - gerade beschlossen haben, ins Wasser zu gehen.
Zeiten innerer Unruhe
Hoffentlich, denken Sie, fassen die aggressiven Jugendlichen im Wasser nicht einer Frau zwischen die Beine oder beleidigen einen Transmenschen, das wäre gemein und ein weiteres Alarmzeichen, dass "Multikulti baden geht", wie es im Internet hieß. Sie ertappen sich bei dem schrecklichen Gedanken, dass Sie sich wünschen, dass die aggressiven Jugendlichen auf dem Handtuch neben Ihnen dorthin gehen sollen, wo der Pfeffer wächst, merken aber, dass das gleich doppelt rassistisch ist, weil es auch die Menschen beleidigt, die in Indien, Madagaskar oder Brasilien Pfeffer ernten, den Sie heute Abend aufs gegrillte Steak purzeln lassen und dabei scheinbar beiläufig zu Ihren Freunden sagen: "Das war nicht ganz billig." Denn die sollen wissen, was sie Ihnen wert sind.
Es wird Zeit zu gehen, damit keine Hektik aufkommt und Sie heute Abend pünktlich zum Grillen erscheinen. Natürlich ist das eine Ausrede. In Wahrheit steigt die innere Unruhe, weil die aggressiven Jugendlichen das Baden beendet haben und nun wieder auf dem Handtuch neben Ihnen lagern. Sie entschließen sich zur Flucht, bevor Ihnen Ihr Smartphone, Ihre Gesundheit oder gar Ihr Leben geraubt werden, das Sie für so kostbar halten, dass Sie es sich weder von den aggressiven Jugendlichen auf dem Handtuch neben Ihnen noch vom Hautkrebs nehmen lassen wollen. Denn in der U-Bahn ist man noch einigermaßen sicher vor aggressiven Jugendlichen wie denen auf dem Handtuch neben Ihnen und Hautkrebs.
Endlich wieder in den eigenen vier Wänden, fernab jeder Gefahr, sehen Sie einmal von einem Atomkrieg, der Künstlichen Intelligenz, dem Klimawandel, dem Artensterben, exorbitantem Ressourcenverbrauch, künftigen Pandemien und drohenden Asteroideneinschlägen ab. Aber für heute ist der Alptraum zu Ende. Der Platz auf der heimischen Couch ist sicher, niemand sitzt neben Ihnen und schaut gierig auf Ihr Smartphone oder will Sie verdreschen, wenn Sie falsch gucken oder ein falsches Wort sagen.
Sie lesen endlich die Schmoll-Ecke und denken: Woher weiß der das alles? Kann der mir in den Kopf gucken? Dann erfahren Sie aus den Nachrichten, dass es schon wieder in einem Schwimmbad "eine Massenschlägerei" gegeben hat und sind froh, nach Hause gefahren zu sein, auch wenn es sich bei der Meldung um ein Schwimmbad am anderen Ende der Republik handelt. Angst macht es trotzdem. Eine frühere Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fordert in einer weltberühmten Zeitung: "Wir müssen endlich über die Machokultur unter Muslimen sprechen." Sie fragen: Tun wir das nicht seit 2015? Und schimpfen dann über die Politik und deren Qualität. Zu viel Mittelmaß auch schon unter Angela Merkel, denken Sie und finden Ihren Gedanken klug.
Der Untergang ist nah
Immerhin, der Regierende Bürgermeister handelt und erklärt Schwimmbäder zur Hochsicherheitszone, jeder muss den Personalausweis zeigen, sich mit Namen und Adresse registrieren, damit Täter und Opfer leichter zu identifizieren sind. Ein neuer Generalsekretär, dessen Namen Sie noch nie gehört haben, einer Partei, von der Sie schon viel gehört haben, fordert Schnellverfahren: "Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muss abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden. Auch am Wochenende."
Sie denken an ihre Tochter, die gerne Richterin werden will - glauben Sie jedenfalls - und schicken ihr eine Whatsapp: "Überleg es dir, sonst musst du bald sonntags arbeiten." Sie schickt ein Smiley zurück und überlegt, wann sie Ihnen erklärt, dass sie das Jurastudium unterbrochen hat, um sich auf der Straße für das festzukleben, was sie für die gute Sache hält.
Sie fragen: Was ist nur aus Deutschland geworden? Früher gab es so etwas nicht. Doch dann überfliegen Sie die Google-Bewertungen für DAS Schwimmbad und lesen, was Rodolfo A. schon vor sechs Jahren schrieb: "Sicherheitsleute schikanieren Ausländer! Sie haben selbst Migrationshintergrund, aber das scheint ihnen egal zu sein." Und weiter: "Für lächerliche 5,50 € hatte ich eine der schrecklichsten Erfahrungen meines Lebens als Ausländer in diesem Land. Peinlich."
Traumatisiert im Schwimmbad! Migranten sind also doch prima integriert, denken Sie, ihre Anspruchshaltung und ihr Infantilismus können es nämlich locker mit der Anspruchshaltung und dem Infantilismus von uns Biodeutschen aufnehmen. Sie können sich nicht entscheiden, ob das was Beruhigendes oder was Beunruhigendes hat. Weil Sie sich rundum informieren wollen, gucken Sie sich nun die Webseite von DEM Schwimmbad an und lesen:
"Das Babybecken ist aus betrieblichen Gründen leider derzeit geschlossen."
"Der Sprungturm und die Rutsche sind leider bis auf Weiteres geschlossen."
"Das Bad ist derzeit aus betrieblichen Gründen geschlossen."
Irre, jetzt wird Gewalt also zu "betrieblichen Gründen" verklärt, denken Sie. Deutschland ist tatsächlich dem Untergang geweiht. Aber vorher geht's noch zum Grillen.
Quelle: ntv.de