"Verbote sind Hirn-Katastrophen" Was bringt nachhaltiger Konsum im Alltag wirklich?


Frischenetze halten Obst und Gemüse knackig und sind eine gute, wiederverwendbare Alternative zu Papier- oder Plastiktüten.
(Foto: picture alliance / dpa-tmn)
Ob beim Kleidungskauf, im Supermarkt oder in der Drogerie: Nachhaltigkeit ist überall Thema. Doch lässt sich die Klimakrise durch das Handeln des Einzelnen überhaupt beeinflussen? Ein Konsumpsychologe verrät, dass bei bewusstem Konsum im Alltag der Schlüssel in den ganz kleinen Schritten liegt.
Die Zahnbürste aus nachwachsendem Bambus, das Sweatshirt aus Recyclingfasern, der fahrbare Untersatz elektrisch - vom Badezimmer über den Kleiderschrank bis zum Arbeitsweg hat das Thema Nachhaltigkeit den Alltag längst erobert. Klar ist: Angesichts der Klimakrise ist ein Umdenken in puncto Konsum und Verschwendung nötig. Doch welchen Unterschied macht unser individuelles Verhalten eigentlich aus? Was nützt die Bambus-Zahnbürste, wenn laut WWF allein die deutsche Stahlindustrie im Jahr 2022 rund 51 Millionen Tonnen CO2 ausstieß und die FIFA die Fußball-WM 2030 auf gleich drei Kontinenten austragen lässt?
Zunächst nützt nachhaltiges Handeln im Alltag vor allem der eigenen Psyche, sagt der Konsumpsychologe Hans-Georg Häusel. "Es ist belohnend, wenn ich sagen kann, dass ich ein moralisch anständigeres Leben führe als mein Nachbar, der Umweltsünder", so Häusel im Gespräch mit ntv.de. Umweltbewusstes Verhalten im Alltag sei Ausdruck eines gewissen "Egoismus, mit dem man den eigenen Status erhöht".
Mit Blick auf die globalen Auswirkungen zieht Häusel den Vergleich mit einem Urnengang heran: "Wer am Sonntag zur Wahl geht, könnte natürlich sagen, dass seine einzelne Stimme eh nichts bewirkt." Doch auch wenn der unmittelbare Effekt einer einzelnen Stimme eher gering sei, bedeute das Wählen "ein aktives Teilnehmen an der Welt". So verhalte es sich auch mit individueller Nachhaltigkeit: Weltweit betrachtet mag sie wenig verändern, doch sie ist Teil eines globalen Gestaltungsprozesses. In diesem Sinne steht die Nachhaltigkeitswoche von RTL, ntv, GEO und Stern in diesem Jahr unter dem Motto "Packen wir's an - für bewusstes Kaufen".
Schrankhüter vermeiden

Dr. Hans-Georg Häusel ist Experte für Neuromarketing und lehrt an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich.
(Foto: Dr. Hans-Georg Häusel)
Denn schaut man sich die weltweiten CO2-Sünder etwas genauer an, wird deutlich, dass die globalen Treibhausgasemissionen durchaus etwas mit dem eigenen Kaufverhalten zu tun haben. Mit einem Anteil von rund zehn Prozent produziert die Modeindustrie Schätzungen zufolge mehr CO2-Emissionen als die internationale Luft- und Seeschifffahrt zusammen. Das geht aus einem Bericht der Europäischen Umweltagentur (EUA) hervor. Durch den Kauf von Textilien wurden in der EU im Jahr 2020 pro Person rund 270 Kilogramm CO₂-Emissionen verursacht. Das mag zunächst vergleichsweise niedrig klingen, doch hochgerechnet bedeutet das einen EU-weiten Treibhausgasausstoß in Höhe von 121 Millionen Tonnen durch den Verbrauch von Textilerzeugnissen.
Sich vorher zu überlegen, ob man das T-Shirt, den Pullover oder die Sonnenbrille wirklich braucht, kann also einen Unterschied machen. Schrankhüter belasten nicht nur den Geldbeutel, sondern auch das Klima. Doch warum kaufen wir eigentlich Dinge, von denen wir genau wissen, dass wir sie nicht benötigen? Häusel erklärt: "Unsere Konsumgesellschaft ist auf Steigerung ausgerichtet. Damit kommt sie dem menschlichen Gehirn sehr entgegen. Wir haben ein Belohnungssystem, das nie zufrieden ist und immer mehr will. Das ist ein wichtiger Grundantrieb, ohne den unsere Konsumgesellschaft und der Kapitalismus nicht funktionieren würden".
Auf der anderen Seite stehe ein "Verlustsystem", so Häusel. "Dinge, die bereits in unserem Besitz sind und die wir wieder hergeben müssen, zählen für uns oft doppelt so viel wie Gewinne". Deshalb seien "Verbote eine Katastrophe für das Gehirn". Eine nachhaltige Transformation könne nur funktionieren, wenn der Einzelne sein Verhalten nicht extrem verändern muss.
"Man muss in seinem Alltag gar nicht viel umstellen"
Zu kleinen Schritten rät auch Patrick Hasenkamp: "Man muss gar nicht viel umstellen in seinem Alltag. Wer beim Einkaufen immer gleich das Thema Abfall mitdenkt, kann schon viel erreichen", sagt der Vizepräsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), der auch die Entsorger vertritt. Zudem empfehle sich vor dem Gang in den Supermarkt eine genaue Einkaufsplanung. So ließe sich der Kauf von überflüssigen Lebensmitteln, die später unter Umständen in der Mülltonne landen, verhindern.
Um Plastikmüll zu vermeiden, greift man im Lebensmittelladen am besten zu unverpackter Ware. Das ist mittlerweile nicht mehr nur in speziellen Unverpacktläden möglich, sondern bereits auch in vielen Biomärkten. Wem das zu teuer ist, für den gilt: möglichst Produkte in Mehrweg-Verpackungen kaufen. Nur so könne Verpackungsmüll tatsächlich reduziert werden, sagt Janine Korduan vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Bei Obst und Gemüse sollte vorrangig zu losen Früchten gegriffen werden. Dadurch wird nicht nur Verpackung gespart. Denn durch die freie Wahl der Menge kann auch unnötiger Lebensmittelmüll vermieden werden.
"Mit kompletter Lebensveränderung wird das nichts"
Was und wie viel im Einkaufswagen, im Kleiderschrank und am Ende vielleicht in der Tonne landet, macht also einen Unterschied. Durch bewusste Entscheidungen an der Kasse können Verbraucherinnen und Verbraucher einen wertvollen Beitrag zur Minimierung des eigenen und eben auch des weltweiten CO2-Fußabdrucks beitragen.
Wie aber kann man Nachhaltigkeits-Muffel davon überzeugen? Häusel verweist erneut auf das menschliche Gehirn und die Kraft der kleinen Schritte. "Statt mein Haus auf 24 Grad hochzuheizen, kann ich es zunächst mit 23 Grad probieren. Und wenn die Katze dann immer noch schnurrt, fahre ich mal auf 22 Grad runter. Nicht zu viel vornehmen, sondern möglichst nur auf ein bis zwei Bereiche konzentrieren. Wenn wir unser Leben komplett ändern müssen, wird das alles gar nichts."
Quelle: ntv.de