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Ein fiktiver Selbstversuch Wie man seine Klimabilanz verbessern kann

Fliegen ist laut Umweltbundesamt die klimaschädlichste Art, sich fortzubewegen.

Fliegen ist laut Umweltbundesamt die klimaschädlichste Art, sich fortzubewegen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Jeder Einzelne kann was fürs Klima tun: Müll vermeiden, mit dem Fahrrad statt dem Auto fahren oder vegetarisch leben. Wesentlich mehr bringen würden aber ganz andere Dinge. Ein Blick auf die Zahlen.

Max hat die Nase voll. Ständig diskutieren er und seine Freunde über die Erderwärmung - und dass die Politik in Sachen Klimaschutz kaum etwas auf die Reihe bekommt. Aber Gewohnheiten ändern, gar auf Dinge verzichten - Fehlanzeige. Damit soll jetzt Schluss sein. Max will was tun.

An guten Vorsätzen zum Klimaschutz mangelt es den Deutschen sicher nicht. Für 2019 haben sich einer Umfrage zufolge mehr als die Hälfte der Menschen vorgenommen, mehr einheimische und saisonale Produkte zu kaufen. 42 Prozent wollen weniger Strom verbrauchen, knapp jeder Dritte möchte häufiger das Auto parken und sich aufs Rad schwingen. Weniger fliegen wollen nur 16 Prozent. Doch was macht wirklich einen Unterschied? "Viele Menschen haben zu viele Infos, dadurch sind sie orientierungslos", sagt Marcel Hunecke, Umweltpsychologe an der Fachhochschule Dortmund. Die Folgen des eigenen Handelns seien beim Klimaschutz oft nur schwer abzuschätzen.

Fleischverzicht schone das Klima, liest Max im Internet. Der fiktive Mittdreißiger isst zwar viel Fleisch, es ginge aber auch ohne. Er beschließt, künftig vegetarisch zu leben. Damit vermeidet er geschätzte 0,98 Tonnen CO2-Äquivalente (CO2-Ä) pro Jahr. Die Einheit CO2-Ä bezieht die Wirkung von CO2 und die der anderen Treibhausgase ein. Max kauft nun auch nicht mehr häufig eingeflogene Lebensmittel, sondern nur noch regionale und saisonale Produkte. Das spart weitere 0,26 Tonnen.

Bei dem, was man in Sachen Klimaschutz tun kann, gibt es große Unterschiede bei der Menge der eingesparten CO2-Ä. Im Schnitt verursacht ein Mensch in Deutschland laut CO2-Rechner des Umweltbundesamtes (Uba) 11,6 Tonnen CO2-Ä im Jahr. Auch die für Max berechneten Zahlen stammen daher. Ziel sei, langfristig unter eine Tonne CO2-Ä zu kommen. Dafür brauche es aber auch wirksame staatliche Rahmenbedingungen. Viel Sparpotenzial für den Einzelnen gibt es bei Flügen und beim Wohnen, eher wenig bei der Ernährung.

Samira ist die Freundin von Max. Gemeinsam fliegen sie gerne um die Welt. Sonne satt, Kultur, leckeres Essen - Samira und Max lieben das. Aber Max ahnt, dass das nicht gut fürs Klima sein kann. Verzichten darauf will er aber nicht. Dabei haben die Flüge für seinen Trip nach Barcelona im vorigen Jahr 0,87 Tonnen CO2-Ä verursacht, die Reise nach New York schlug sogar mit 3,89 Tonnen zu Buche.

Die Masse an Plastikverpackungen wird zunehmend zum Problem - das ist aber gering im Vergleich zur Ökobilanz von Fernreisen.

Die Masse an Plastikverpackungen wird zunehmend zum Problem - das ist aber gering im Vergleich zur Ökobilanz von Fernreisen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Beim Klimaschutz werden oft falsche Prioritäten gesetzt, sagt Michael Bilharz vom Uba. "Der normale Mensch ist kein Fußabdruck-Stratege." Ihn ärgert, wenn Menschen "echte Klimasünden wie Fernreisen mit Peanuts wie Verzicht auf Erdbeeren im Winter oder dem Vermeiden von Plastikverpackungen" aufwiegen. Durch Plastikverpackungen erzeuge ein Mensch im Schnitt knapp 0,1 Tonnen CO2-Ä im Jahr. Ein einzelner Flug komme auf wesentlich mehr. Die Argumente, um klimaschädigendes Verhalten zu rechtfertigen, seien oft die gleichen: Die klimaschonende Alternative sei zu teuer, zu anstrengend oder hätte im globalen Vergleich nur geringe Auswirkungen.

Max wohnt in Berlin. Er hat eine Altbauwohnung mit 80 Quadratmetern gemietet. Das Gebäude ist unsaniert, geheizt wird mit Gas. "So wie du wohnst, schmilzt noch der letzte Gletscher", ärgert ihn Samira, die nicht weit entfernt in einer 50-Quadratmeter-Neubauwohnung mit Fernwärme wohnt. Der Unterschied beim Klimagasausstoß ist mit 3,17 Tonnen pro Jahr beträchtlich. Umziehen will Max deshalb nicht.

Auch im Inland gibt es reizvolle Reiseziele, hier der Nationalpark Unteres Odertal in Brandenburg.

Auch im Inland gibt es reizvolle Reiseziele, hier der Nationalpark Unteres Odertal in Brandenburg.

(Foto: imago/blickwinkel)

Ein Wohnungswechsel für den Klimaschutz kommt für die meisten Menschen nicht infrage. Aber schon der Verzicht auf Flüge erfordert ein hohes Maß an Motivation und selbst die genügt nicht immer. Umweltpsychologe Hunecke drückt es so aus: "Klimaschutz ist in der Zielhierarchie nicht hoch angesiedelt." Er empfiehlt, zunächst kleine Schritte zu machen. "Man muss positive Erfahrungen sammeln. Als reines Verzichtsprogramm wird das nicht funktionieren", sagt Hunecke. Außerdem könnten Motiv-Allianzen helfen. Es sei sinnvoll, Klimaschutz mit anderen positiven Effekten wie Gesundheit oder Lebensqualität zu verbinden. Warum nicht mal ein Erholungsurlaub in Brandenburg statt eine Safari in Südafrika?

Max möchte zwar keine andere Wohnung, aber Stromsparen in seiner alten kann er sich gut vorstellen. Er reduziert seinen Stromverbrauch um 25 Prozent. Das verbessert seine Klimabilanz um 0,30 Tonnen CO2-Ä im Jahr. Max ist jetzt richtig motiviert. Zwar behält er seine alte Waschmaschine, Geschirrspüler, Kühlschrank und Gefrierschrank (neue effiziente Geräte hätten ihm grob geschätzt 0,30 pro Jahr gespart), aber er wechselt zu Ökostrom. Damit spart Max weitere 0,84 Tonnen.

Auf Ökostrom umstellen ist das eine, in ökologische Wirtschaftsformen investieren das andere. Bilharz vom Uba wirbt für Investitionen in erneuerbare Energien, wenn man dafür das Geld hat. Auch Lisa Göldner von Greenpeace sagt: "Die Frage der Geldanlage ist sehr essenziell. Total relevant."

Laut Umfrage zu Klimaschutz-Vorhaben im Jahr 2019 wollen 29 Prozent der Deutschen öfter mit dem Fahrrad statt dem Auto fahren.

Laut Umfrage zu Klimaschutz-Vorhaben im Jahr 2019 wollen 29 Prozent der Deutschen öfter mit dem Fahrrad statt dem Auto fahren.

(Foto: imago/blickwinkel)

Morgens hat Max gerne seine Ruhe. Für die sechs Kilometer zur Arbeit nahm er bislang das Auto - auf die überfüllte U-Bahn hatte er überhaupt keine Lust. "Aber man muss Opfer bringen", denkt sich Max. Ab sofort nimmt er die U-Bahn und spart 0,51 Tonnen CO2-Ä im Jahr. Lange hält er das nicht durch. "Dann doch lieber gleich aufs Rad." Jetzt bleibt Max fit und senkt seinen Klimagas-Ausstoß um weitere 0,16 Tonnen im Jahr. Ähnlich viel spart Max, weil er auf seiner Dienstreise nach München nun die Bahn statt das Flugzeug nimmt.

Reiche Menschen stehen beim CO2-Ausstoß meist schlechter da als ärmere. "Wer wenig Geld hat, kann sich kein großes Auto, keine Flugreise und keine große Wohnung leisten. Das sind Dinge, die sich 1:1 in der Klimabilanz widerspiegeln", sagt Uba-Experte Bilharz. So verursachen Uba-Zahlen zufolge Menschen mit einem Einkommen von unter 2000 Euro im Schnitt rund 10,3 Tonnen CO2-Ä im Jahr, bei Einkommen von mehr als 4000 Euro sind es rund 14,7 Tonnen.

Max ist ganz aus dem Häuschen. Gerade hat er erfahren, dass er die Emissionen seines New-York-Flugs kompensieren - also mit Geld ausgleichen - kann. Er bezahlt bei einem großen Anbieter im Internet 62 Euro. Dafür werden vor allem in Entwicklungsländern Projekte unterstützt, um CO2 einzusparen. Max hat jetzt nicht mehr ein ganz so schlechtes Gewissen.

Beim Thema Kompensation gehen die Ansichten stark auseinander. "Das ist natürlich keine gute Lösung", sagt Göldner von Greenpeace. Schließlich falle das CO2 ja trotzdem an - und zwar jetzt. Mit den Kompensationsgeldern unterstützte Projekte zeigten erst in der Zukunft ihre Wirkung. Statt das eigene Verhalten zu ändern, werde Verantwortung abgewälzt. Bilharz vom Uba ist anderer Meinung. Es würden extrem sinnvolle Projekte gefördert, die sehr günstig zu unterstützen seien. "Warum sollte ich das nicht machen?"

Hält Max seinen Enthusiasmus ein Jahr durch, spart er mit seinen Maßnahmen insgesamt 3,08 Tonnen CO2-Ä (ohne Kompensation). Aber Max plant mehr. Er will nun auch klimapolitisch aktiv werden - da mitmischen, wo weitreichende Entscheidungen gefällt werden.

"Druck von unten halte ich für unglaublich essenziell", sagt Göldner von Greenpeace. Man dürfe sich nicht damit zufriedengeben, seine Macht als Konsument auszuüben. "Man muss auch seine Macht als Bürger nutzen." Dass endlich ein Fahrplan für den Kohleausstieg auf dem Tisch liegt, sei gelungen, weil Menschen auf die Straße gegangen seien. Bilharz vom Uba sagt zu den Effekten von politischem Engagement sogar: "In der Tendenz deutlich wirksamer als Konsummaßnahmen, weil das bei Erfolg dann ja für alle gilt." Man könne sich für klimafreundlichere Infrastruktur oder mehr Elektromobilität einsetzen, sagt Umweltpsychologe Hunecke. "Allein kommt man nicht unter sieben oder acht Tonnen."

Anmerkung: Die angegebenen Werte zur CO2-Minimierung der fiktiven Personen Max und Samira sind geschätzte Durchschnittswerte und dienen der Orientierung. Sie basieren auf dem CO2-Rechner des Uba oder auf den Angaben des Uba-Experten Michael Bilharz.

Uba-Übersicht zu Treibhausgas-Emissionen in der Europäischen Union

Quelle: ntv.de, Valentin Frimmer, dpa

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