Tourauftakt in Berlin Bei Genesis fällt der letzte Dominostein noch nicht
08.03.2022, 08:55 Uhr
Genesis liefern zum Auftakt ihrer "The last Domino"-Tour in Deutschland einen unvergesslichen Abend ab.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Die britische Band Genesis um Frontmann Phil Collins begeistert ihre Fans zum Tourauftakt in Deutschland mit einem kraftvollen Konzert. "The last Domino" wirkt in Zeiten von Krieg in der Ukraine und weltweiter Pandemie fast schon ein wenig wie eine Flucht in eine unbeschwertere Zeit.
Das lange Warten und Bangen vieler Fans hat sich gelohnt: Trotz Pandemie, des fortgeschrittenen Alters der gesamten Band und vor allem des Gesundheitszustands von Phil Collins liefern Genesis zum Auftakt ihrer Deutschland-Tournee in Berlin einen begeisternden Abend ab. 14 Jahre ist es her, dass die britische Band sich aufraffte und eine Reunion-Tour spielte, was seinerzeit schon viel Begeisterung auslöste.
Als der angeschlagene Phil Collins dann 2017 solo mit "Not dead yet" tourte, durfte dies schon als Ankündigung gedeutet werden, dass er nicht genug habe, sich nicht umwerfen lasse, er eben "noch nicht tot sei". Dass Mike and the Mechanics um Frontmann und Genesis-Gründungsmitglied Mike Rutherford ihn auf der Tour als Vorband begleiteten, ließ die leise Hoffnung keimen, es könnte nochmal etwas werden mit der Reunion einer der größten Bands aller Zeiten. Und die gelang. Genesis kamen ein letztes Mal zurück, zunächst allerdings nur in Großbritannien, den USA und Kanada. Der Start dort war holprig, aufgrund der Corona-Pandemie war lange unklar, ob, wann und wo es denn losgeht - Termine wurden mehrfach verschoben, andere fielen ganz aus.
Offenbar fühlte sich die Band trotzdem gut und erweiterte die Tour sogar noch um Termine in Europa - unter anderem in Berlin, Paris und Amsterdam. Obwohl die Corona-Pandemie in einigen Ländern bereits nahezu als beendet erklärt worden ist, war die Vorfreude gedämpft. Bis sechs Tage vor dem Auftakt der Tour in Deutschland war unklar, ob dieser überhaupt stattfinden würde, dann gab es allerdings grünes Licht von der Stadt Berlin. Die Band hatte so aber nur wenige Tage zum Proben, zeigte dessen ungeachtet allerdings eine tolle, überzeugende Show. Ganz anders, als es noch in Großbritannien war, als Phil Collins teils gar nicht recht anwesend wirkte, Einsätze verpatzte. Auch das Schlagzeugspiel seines Sohnes wurde von einigen Fans hämisch kommentiert. In Berlin war es ganz anders.
Maskenpflicht während des gesamten Konzerts
Trotz horrender Ticketpreise von bis zu 650 Euro strömten die Fans in die Berliner Mercedes-Benz-Arena. Bereits zweieinhalb Stunden vor Konzertbeginn begann der Einlass. Das war der Pandemie geschuldet und der Tatsache, dass strenge Einlasskontrollen galten: 2G Plus. Das frühe Öffnen der Tore sorgt tatsächlich dafür, dass die Fans zügig in die nahezu ausverkaufte Halle kommen.
Kurz nach 20 Uhr geht es los. Angeführt von einem gebeugt gehenden Phil Collins betritt die Band die Bühne. Es hält unter den Fans niemanden auf den Sitzen, frenetisch feiern sie ihre Helden. Diese sind an diesem Abend neben Collins, der das gesamte Konzert im Sitzen absolviert, und Rutherford natürlich Keyboarder Tony Banks und Daryl Stuermer, der die Band bereits seit rund 40 Jahren begleitet, hinzu kommt Collins' Sohn Nic, der bereits auf seiner "Not dead yet"-Tour am Schlagzeug saß. Zudem begleiten zwei Backgroundsänger - Patrick Smyth und Daniel Pierce - die Band, was sich als kluger Schachzug erweist.
Dezent-gewaltige Lichtshow
Die Band strahlt von Beginn an große Spielfreude aus, Collins schwingt sogar das Tambourin. Über den Köpfen der Band hängen fünf riesige, jeweils mit 16 Strahlern bestückte "Dominosteine". Anfangs noch dezent eingesetzt, fährt die Band lichttechnisch immer mehr auf. Große bewegliche Leinwände hinter der Band zeigen die Künstler übergroß. Die Lichtshow und die Animationen sind gewaltig. Es heißt, dass bisher kein Künstler in der Mercedes-Benz-Arena jemals so viel Strom während eines Konzertes verbraucht habe wie Genesis. Die Lichtshow wird vielfältig eingesetzt - bei "Mama" in wird sie etwa und tiefes rot getaucht - lenkt aber nicht vom Geschehen auf der Bühne ab.
Und da zeigt die Band, dass sie so gut spielt wie lange nicht mehr. Nic Collins treibt die Band mit kraftvollem, teils fast aggressiv wirkendem Spiel an. Banks, Rutherford und Stuermer zeigen, dass sie ihre Instrumente meisterhaft beherrschen. Aktuell wird es dann bei einem ihrer bekanntesten Songs, "Land of confusion". Der Text passt perfekt zur aktuellen Lage in Russland, das nicht mal zwei Wochen zuvor eine lange als Einbildung westlicher Staaten abgetane Invasion in der Ukraine startet. Diese wird allerdings mit keinem Wort erwähnt, einzig gelb-blaue Buttons an der Brust einiger Fans zeigen, dass abseits des begeisternden Konzerts Krieg herrscht.
Für die Band passt der Text allerdings auch auf die Corona-Pandemie. Und so sind auf Leinwand im Hintergrund dann auch Anzug und Melone tragende Männer zu sehen, die mit Maske auf dem Gesicht zunächst durch London und später durch grüne Landschaften Englands marschieren. Das entbehrt angesichts der Tatsache, dass die Fans allesamt eine Maske tragen müssen, was von der Security auch kontrolliert wird, nicht einer gewissen Komik.
Akustisch geht es besonders gut

Gitarrist Mike Rutherford spielte wie zu besten Zeiten.
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Nach den kraftvollen "Home by the sea", dem eher ruhigen "Second home by the sea" und dem Medley aus "Fading Lights", "The Cinema Show" und "Afterglow" wird es akustisch. Ohne Backgroundsänger spielen die Musiker - Banks und Nic Collins sitzen jeweils an kleineren Ausgaben ihrer Instrumente- dann "That's all", "The Lamb lies down on Broadway" und "Follow you, follow me". Das funktioniert sogar fast besser als die pompösen Stücke. Es schafft vor allem eine gewisse Intimität zwischen den Künstlern auf der übergroßen Bühne.
Dann wird es wieder groß und bombastisch und der wohl beste Teil des Konzerts beginnt: Bei "The Duchess", "No son of mine" und vor allem "Firth of the Fifth" zeigt die Band, was sie kann: eine perfekte Melange aus gefühlvollen Balladen, kraftvollen Popstücken und Prog-Rock, der Platz für Gitarrensoli lässt, allerdings nicht selbstverliebt daherkommt. Nicht mehr so kraftvoll wie früher ist Collins' Stimme. Dies wird aber gut durch die beiden Backgroundsänger oft aufgefangen, die ihm dennoch nicht die Show stehlen. Auch wenn die gesangliche Abstimmung zwischen den dreien nicht immer perfekt passt, ergibt das Gesamtkunstwerk Genesis auf der Bühne eine stimmige Mischung- gefühlvoll, kraftvoll, mit großer Spielfreude.
Wehmut und ausgelassener Tanz
Vor dem für die Tour namensgebenden "Domino" führt Collins, der zeigt, dass er noch immer der Clown in der Band ist, sein bekanntes Spiel mit den Fans durch - und erklärt den Domino-Effekt. Auf der Leinwand sind verschiedenartige Dominosteine zu sehen - mal erinnern sie an den 80er-Jahre-SciFi-Klassiker "Tron", mal an das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Richtig gefühlig wird es dann bei "Throwing it all away". Im Hintergrund sind alte Fotos und Videos sowie Rückseiten von Musikkassetten der Band zu sehen. Die zeigen, dass die Band mittlerweile eben doch 50 Jahre existiert. Durch die immer wieder eingeblendeten Fans wird ein tolles gemeinsames Erlebnis geschaffen. Von "Tonight, Tonight, Tonight" geht es direkt über in "Invisible Touch", der die Fans nochmal kräftig ausrasten und tanzen lässt. Im Anschluss verlässt die Band unter tosendem Applaus die Bühne.
Sie kommt allerdings für zweieinhalb Zugaben zurück: Auf das ebenfalls sehr populäre poppige "I can't dance" folgt eine Strophe von "Dancing with the moonlight Knight" und am Ende "The Carpet Crawlers", wo Collins die hohen Töne seinen Backgroundsängern überlässt.
Nach rund 135 Minuten ist endgültig Schluss. Die sieben Musiker kommen zusammen und lassen sich von begeisterten Fans zu Recht feiern. Trotz ihrer mittlerweile gut 70 Jahre und vor allem der in den vergangenen Jahre wirklich tragischen Vita ihres Frontmanns Phil Collins zeigt die Band an dem Abend ein unvergessliches Konzert. Nun folgen 13 weitere Auftritte, bis am 26. März in London tatsächlich der letzte Dominostein fällt und die Band sich endgültig auflöst.
Quelle: ntv.de