Der Fall Till Lindemann "Darf nicht zu pauschaler Männerdiskriminierung kommen"
20.06.2023, 04:21 Uhr Artikel anhören
"Männer, seid ihr wirklich noch nicht weiter?", fragt Klamroth seine Gäste bei "Hart aber fair".
(Foto: IMAGO/Horst Galuschka)
Rammstein-Frontman Till Lindemann soll mit Frauen Sex gehabt haben, der womöglich nicht immer einvernehmlich war. Der Musikmanager Thomas Stein warnt bei "Hart aber fair" vor Vorverurteilung - und verteidigt den Sänger mit einer eigenwilligen Argumentationslinie.
Es beginnt mit einem Tweet. Der stammt von der Nordirin Shelby Lynn und bringt den aktuellen Me-Too-Skandal um den Rammstein-Sänger Till Lindemann ins Rollen. Lynn behauptet, sie sei vor einem Konzert der Brachial-Hardrock-Band in Litauens Hauptstadt Vilnius bei einer Backstage-Party möglicherweise unter Drogen gesetzt worden. Am nächsten Tag präsentiert sie in sozialen Medien Hämatome an ihrem Körper. Sie habe nicht viel getrunken, könne sich aber nicht mehr genau an den Abend erinnern, teilt sie mit. Nur dass es nicht zu sexuellen Handlungen gekommen sei, wisse sie.
Dann melden sich weitere mutmaßliche Opfer, berichten von Drogen, dem Verdacht auf K.-o.-Tropfen, gewaltvollem Sex, den sie eigentlich nicht wollten. Nun ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft. Till Lindemann weist die Vorwürfe zurück.
Ex-Musikmanager Thomas M. Stein kennt Lindemann und die Band Rammstein, deren Musik zur "Neuen Deutschen Härte" gezählt wird und die mit Hits wie "Engel", "Pussy" oder "Deutschland" die Charts stürmten. Rammstein seien für ihn privat "angenehme Zeitgenossen", sagt er bei "Hart aber fair" in der ARD. Zur Verteidigung von Frontman Till Lindemann hat er seine ganz eigene Theorie: "Wie der Mann sich auf der Bühne ausarbeitet, wie der mit 60 Jahren über die Bühne rennt. Dann soll der plötzlich da runtergehen und dann noch jemanden beglücken. Da muss der ins Museum. Das ist eine Kraft, die kannst du nicht aufbringen." "Beglücken" klingt euphemistisch für das, was Lindemann vorgeworfen wird, Widerspruch gibt es aber nicht. Überrascht sei Stein über die journalistische Berichterstattung gewesen: "Es wird hier jemand vorverurteilt. Ich bin nicht dafür, die Taten eines Peinigers zu beschönigen. Ich finde das furchtbar, und es gehört rigoros bestraft. Aber es einfach so in den Raum zu stellen, da ist für mich eine Riesengefahr."
Buchautor und Journalist Tobias Haberl sieht es ähnlich: "Es ist so, dass sich viele Frauen von Stars angezogen fühlen und auch freiwillig Sex mit Stars haben und hatten. Umso perfider wäre es, wenn man den Umweg über Betäubungsmittel verwendet. Aber auch ich finde: Es sind Mutmaßungen, die Unschuldsvermutung gilt. Ich finde es irritierend, dass sich viele davon verabschieden und eine Art Me-Too-Rechtsprechung jenseits der Normen des Rechtsstaats etablieren wollen, gerade weil es so emotional ist." Richtig sei, dass die Menschen sensibler geworden seien, dass man Männer unter die Lupe nehme und Diskriminierungen ahnde. "Aber es darf nicht wieder zu einer pauschalen Männerdiffamierung nach dem Motto alter weißer Mann kommen", sagt Haberl. Dennoch sei im Fall Lindemann klar: "Sollte da wirklich etwas rauskommen, dann ist das nicht nur unappetitlich, nicht nur Rock 'n' Roll, sondern strafrechtlich relevant. Dann kann er den nächsten Gedichtband im Gefängnis schreiben."
Sexuelle Übergriffe im Alltag
Doch viele Frauen erleben sexuelle Übergriffe, immer wieder: Im Beruf, auf der Straße, im Alltag. In einer Studie des sächsischen Justizministeriums gaben 87 Prozent der befragten Frauen an, sie seien mindestens einmal in ihrem Leben ungewolltem Körperkontakt ausgesetzt gewesen, in 99 Prozent von Männern. "Die machen das, weil sie bescheuert sind", erklärt Thomas M. Stein.
Lisa Schäfer ist so etwas noch nicht passiert. Aber die CDU-Kommunalpolitikerin aus dem hessischen Solms hat andere Erfahrungen gemacht, sagt sie bei "Hart aber fair": "Was ich als unangenehm empfinde, ist, wenn ich durch Straßen laufe und mir junge Männer, deren Sprache ich noch nicht einmal verstehe, Sprüche hinterherrufen." Und diese Männer sprächen nicht Englisch, stellt sie klar. Bei Andreas Gabalier in der ersten Reihe habe sie so etwas wie bei Rammstein auch nicht erfahren.
"Die Welt ist kein Safe Space", antwortet ihr Tobias Haberl. Es sei unmöglich, jede Gefahr auszumerzen. Möglich sei aber, dafür zu sorgen, dass Männer nicht gewalttätig werden. "Das ist eine lebenslange gesellschaftliche Aufgabe. Die beginnt in der Kindheit, mit Bildung, Erziehung, Liebe und Fürsorge."
Quelle: ntv.de