"Tatort" mit Becker und Waschke Das Krankenhaus am Rande des Wahns
09.12.2017, 11:45 Uhr
Interpersonelle Harmonie sieht irgendwie anders aus ....
(Foto: rbb/Gordon Muehle)
Der sechste Fall für das Berliner Duo Rubin und Karow und immer noch keine Harmonie in Sicht, selbst wenn einmal kurz geknutscht wird. Alles nur Ablenkungsmanöver, denn ihr Tatverdächtiger ist nicht nur irre, sondern auch mit allen Wassern gewaschen.
Ohne zu tief ins Fach mit der Aufschrift "Spoiler" zu greifen, aber das, was Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) diesmal als Fintenmanöver ab- und durchziehen, hätte wahrscheinlich nicht einmal jener beratungsresistente Haudrauf namens Schimanski an seinen Chefs vorbeigeboxt. Aber es passt: Auch nach einem halben Dutzend Fälle dreht das Berliner Gespann immer noch ungezügelt frei. Karow im schmalen Anzug, egomanisch, eitel, dabei geistig blitzschnell, ein viriler Hobby-Autist, daneben die Rubin, vom Leben immer ein wenig durchgeschüttelt, gestresst von Familienleben-Überbleibseln, dabei aber mit ganzem Herzen Bulle - und da sich dieses Odd Couple nicht allzuviel um interpersonelle Harmonie im Dienst schert, funktioniert das alles trotz oder gerade wegen seiner offen ausgetragenen Dysfunktionen, Kommunikationsstörungen und harschen Wortduelle.

Die Kommissare Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke) auf den Spuren des unbekannten Toten.
(Foto: rbb/Gordon Muehle)
Dabei wird ihnen diesmal, bei allem todesnahen Engagement und Entertainment, die Show von einem ambitionierten Irren gestohlen. Christoph Bach, in seinem bereits neunten "Tatort"-Gastspiel, gibt den mysteriösen Werner Lothar. Der fristet sein Dasein unter Tage, in einem U-Bahn-Büro. Macht mal Schlüssel nach, beobachtet seine Mitmenschen, hat augenscheinlich ein ganz eigenes Ding am Laufen. Dabei tariert Bach den Wahn seiner Rolle mit perfektem Timing aus. Wo ein Lars Eidinger sich zumeist am Spiel, an Manierismen, nicht zuletzt an sich selbst erhitzt, verschwindet Bach hinter seinem Schnauzer und seiner Baseball-Cap und wird vollends zu diesem vogelwilden Verrückten.
Wahnsinn und Kinderwunsch
Bis sich jedoch die Verbindung Lothars, der sich selbst Harbinger nennt, zum aktuellen Fall auftut, dauert es etwas. In einem ausgebrannten Transporter wird eine Leiche gefunden, es gibt weitere Fälle, die dem Muster ähneln, Karow und Waschke wähnen sich auf der Fährte eines Serienmörders. Als die Spur schließlich in eine Kinderwunsch-Klinik führt, geht der Wahnsinn erst so richtig los: Klinikchefin Dr. Irene Wohlleben (Almut Zilcher) hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen, um ihre Laborchefin und Lebenspartnerin Hanneke Tietzsche (Eleonore Weisgerber), todkrank ans Bett gefesselt, zu pflegen. Die Leitung hat sie an ihren Sohn, Dr. Stefan Wohlleben (Trystan Pütter), übergeben, einst als eines der ersten Retortenbabys in den 80er-Jahren in der Bundesrepublik zur Welt gekommen. Auf den ersten Blick ein serviler Mediziner, bei genauerem Hinsehen jedoch, wie der Harbinger aus der U-Bahn, auch einer, der im Oberstübchen etwas lose verdrahtet ist.

Die Kommissare entdecken einen toten Briefkasten. Und über allem wacht der "Bierpinsel" ...
(Foto: rbb/Gordon Muehle)
"Dein Name sei Harbinger" nennen Michael Comtesse und Matthias Tuchmann ihre Geschichte, ein Titel der nicht von ungefähr an einen Roman von Max Frisch erinnert. Dessen "Mein Name sei Gantenbein" aus dem Jahre 1964 ist ebenso ein Spiel mit den Identitäten, eine Charade um Biografien, die man "wie Kleider anzieht", um Lebensrollen auf dem Grat zwischen erlebt und erdichtet.
Durchgeknallt und unterhaltsam
Er macht viele Baustellen auf, dieser Berliner "Tatort", lässt dem Zuschauer jedoch kaum Zeit, sich allzu lästige Gedanken um Logik, Reality Check oder sonstige, die Unterhaltung korrumpierende Dinge zu machen. Die Unterwelt der U-Bahn erweist sich als perfekte Kulisse, die gerade im Wechsel mit den luxuriösen Klinikräumen ihren düsteren Charme entfaltet.
Der Cast balanciert beinahe schlafwandlerisch an der Grenze zum Tagtraum, nichts ist, wie es scheint. Das alles pfeift auf Plausibilität und Nachvollziehbarkeit, ist in seiner Konsequenz jedoch adäquat durchgeknallt und bis zum Ende höchst unterhaltsam.
Quelle: ntv.de