Forever (Neil) Young!Keep on Rocking In The Free World

Legendäres Urgestein der 60er-Jahre und Rock-Rebell, Non-Konformist und Grand Seigneur im Flanellhemd - Neil Youngs Geschichte ist so facettenreich wie inspirierend. Jetzt feiert der Mann mit der unverwechselbaren Stimme seinen 80. Geburtstag.
Manchmal sind es die einfachen Dinge, die schlichten Wahrheiten, die man, so klar sie auch auf der Hand liegen mögen, dennoch ein ums andere Mal aussprechen muss. Umso mehr, wenn sich der Kontext ändert und dadurch auch die Botschaft, die Message, wie es so schön heißt, eine neue Bedeutung, einen anderen Tonfall bekommt.
Wer am 14. November 1989, dem Tag der Veröffentlichung, zum ersten Mal "Rocking In The Free World" hört, der fühlt sich womöglich euphorisiert. In Europa ist mit der Mauer eines der verachtenswertesten Bauwerke der Geschichte gefallen, der Kalte Krieg ist vorüber. Die freie Welt, so könnte sie aussehen. Jetzt muss nur noch weitergerockt werden, dann läuft der Laden schon.
Heute klingt dieses Lied irgendwie anders. Natürlich ging es darin schon immer um die Missstände in den USA, um Drogenproblematik und Obdachlose, um Präsident Bush, der Anfang des Jahres auf Ronald Reagan gefolgt war. Bei aller Kritik war dies jedoch immer auch ein euphorisierendes Stück, eines über Solidarität und Hoffnung - weiterrocken, in einer freien Welt, darum ging es doch am Ende des Tages.
Nun sind über 35 Jahre ins Land gegangen und gegen einen wie Trump erscheinen Bush oder Reagan wie liberale Wohltäter. In den Staaten ziehen ICE-Beamte durch die Straße und kerkern Einwanderer ein, der Shutdown bringt das Land zum Stillstand.
Durchbruch Ende der 60er-Jahre
Rocking In The Free World? Angesichts von weltweitem Rechtsruck und repressiven Regimes wird es bald eng mit den Plätzen, an denen man weiterrocken kann. Das Lied selbst, es wirkt heute fast melancholisch, ein verzweifelter Ruf zu den Waffen, im Kampf um Freiheit und Menschenrechte. "Freedom", so hieß Neil Youngs dazugehöriges Album damals. Freiheit, ein Wort, das anno 2025 ungleich utopischer klingt als noch Ende der 80er.
Gerade mal 44 Jahre alt ist Neil Young, als "Rocking In The Free World" erscheint, und er hat bereits diverse Karrieren hinter sich. Geboren am 12. November 1945 in Toronto, aufgewachsen in Winnipeg, entflammt sein Herz früh für Musik. Mitte der 60er zieht es ihn in die Staaten. Es duftet nach Peace, Love und, genau, Freedom, Young inhaliert begierig. Mit Stephen Stills und Richie Furay gründet er Buffalo Springfield. Ihr Mix aus Rock und Folk, dazu die sozialkritischen Texte, passen perfekt in die Zeit, "For What It's Worth" wird zu politischen Hymne.
Doch Young besingt sie nicht nur, er braucht sie natürlich auch selbst, diese Freiheit, im Leben wie in der Kunst. 1968 veröffentlicht er sein erstes Soloalbum, im Jahr darauf mit "Everybody Knows This Is Nowhere" dann der Durchbruch, zum ersten Mal spielt er mit Crazy Horse zusammen. Der Sound ist kraftvoll, roh, einnehmend. Mit "After The Gold Rush" (1970) und "Harvest" (1972) folgen weitere Meilensteine. "Heart Of Gold" wird sein einziger Nummer-1-Hit in den Staaten, eine hypnotische Nummer, Neil Youngs Stimme voll fragilem Sentiment.
Geistiger Vater des Grunge
Immer wieder wechselt Young die Seiten. Mit Crosby, Stills und Nash sucht er den Schulterschluss im Ensemble, dann wieder zieht er sich im Alleingang zurück und experimentiert solo. Das größtmögliche Gegenstück zum Evergreen "Rocking In The Free World" ist wohl das Album "Trans" (1983). Young experimentiert hier mit Synthies, lässt sich von Devo und Kraftwerk inspirieren und jagt seine Stimme bis zur Unkenntlichkeit durch den Vocoder. Für seine Fans ist diese Art von künstlerischer Freiheit fast schon zu viel, bis heute gilt das Album als Fehltritt, dabei ist es doch genau das, was Young so leidenschaftlich fordert - individuelle Freiheit in einer freien Welt.
Zwischenzeitlich verfällt Young den harten Drogen, "The Needle And The Damage Done", ein schmerzhaftes Tondokument dieser Erfahrungen. Als Grunge groß wird, ist Young einer der geistigen Väter. Sein Rebellentum, sein Sound, seine Hemden, all das findet sich hier wieder, zieht von Seattle aus in die Welt. Als Kurt Cobain sich 1994 das Leben nimmt, zitiert der Nirvana-Sänger aus "Hey Hey, My My (Into the Black)", einem Song von Youngs kurzlebiger Supergroup The Ducks. In Cobains Abschiedsbrief heißt es: "It’s better to burn out than to fade away". Lange braucht Young, um diese Erfahrung zu verarbeiten. Mit Pearl Jam übt er im Jahr darauf eine Art therapeutischen Schulterschluss, das gemeinsame Album "Mirrorball" gerät zum Meilenstein.
Neben seiner Musik engagiert sich Young immer wieder politisch und sozial: Er kämpft für Umweltschutz, die Rechte der indigenen Ur-Einwohner, er experimentiert mit nachhaltigen Technologien. Im Rahmen seines Projekts Pono versucht er Mitte der 10er-Jahre, hochauflösende Musikformate zu fördern. Mit der jährlichen Bridge School Benefit unterstützt er Kinder mit Handicap - inspiriert von seinem eigenen Sohn Ben, der mit Zerebralparese auf die Welt kam.
"Zerfetzte Herrlichkeit"
Zwei Scheidungen hat Young hinter sich, seit 2018 ist US-Schauspielerin Daryl Hannah die Frau an seiner Seite. 2023 erschien das bislang letzte Album zusammen mit Crazy Horse, seine aktuelle Band sind The Chrome Hearts.
Dass er nichts von seinem Hang zur Reibung verloren hat, zeigt sich im vergangenen Sommer. Young und die Chrome Hearts sollen auf dem ikonischen Glastonbury-Festival spielen. Als eine Koop mit der BBC bekannt wird, zieht Young zunächst zurück und wettert gegen die Macht der Konzerne. So geht es einige Mal hin und her, bis er am Ende doch auftritt und einen Gig der Extraklasse hinlegt. "Ragged glory from a noisemaker who never treads the easy path", schreibt der "Guardian" in Anlehnung an einen Albumtitel Youngs: "Zerfetzte Herrlichkeit von einem Krachmacher, der nie den einfachen Weg geht", so könnte man es wohl übersetzen. Eine treffende Einordnung. Young, der Krachmacher, der Kritiker, der unbequeme Geist. So möge es für ihn in die nächste Lebensdekade gehen. Happy Birthday, Neil Young, keep on rocking in the free World.