Unterhaltung

Sex + Macht = Frauen in Venedig Königin und Dienstmädchen regieren am Lido

"Roma" - liegt in diesem Fall in Mexiko.

"Roma" - liegt in diesem Fall in Mexiko.

In den letzten Jahren haben sich die Filmfestspiele in Venedig zum wichtigsten Oscar-Indikator der Szene gemausert. Eines ist beim "glamourösesten Filmfestival der Welt” bereits deutlich: Geschichten über Frauen stehen in diesem Jahr ganz oben.

Hätte man das je gedacht im "Alten Europa"? Dass "wir hier" mal den Ton angeben könnten in Sachen Oscar-Verleihung? Sieht aber ganz danach aus, denn in den letzten Jahren haben sich die Filmfestspiele in Venedig zum wichtigsten Oscar-Indikator der Szene gemausert. "The Shape of Water", "Lala Land" und "Birdman" feierten ein halbes Jahr, bevor sie zu den größten Gewinnern der Filmsaison wurden, allesamt ihre Premieren auf dem Lido. Eines ist bei dem "glamourösesten Filmfestival der Welt”, das noch bis Samstag in Venedig stattfindet, bereits klar geworden: Geschichten über Frauen wie "The Favorite" und "Roma" stehen in diesem Jahr ganz oben.

"The Favourite"

"The Favourite"

In der schwarzen Komödie "The Favorite" geht es um Sex- und Machtspiele zwischen drei Frauen am englischen Hofe des 18. Jahrhunderts. Die kränkliche Königin Anne - phänomenal gespielt von Olivia Coleman - steckt mitten im Krieg mit Frankreich. Anstatt sich über das Geschehen zu informieren, veranstaltet die Monarchin lieber Hummerwettrennen und spricht mit ihren 17 Häschen. Ihre enge Vertraute und Liebhaberin Sarah (Rachel Weisz) entscheidet quasi im Alleingang über das Kriegsgeschehen. Das geht so lange gut, bis Lady Abigail (Emma Stone) an den Hof kommt und die tragisch naive Monarchin für ihre eigenen Zwecke verführt. Es entbrennt ein bizarrer, gewalttätiger und urkomischer Machtkampf um die Gunst der Königin. 

Das Triumvirat der Hauptdarstellerinnen schafft es, die Charaktere gleichzeitig überspitzt und komplex zu präsentieren. Besonders Olivia Coleman kann sich wohl einer Oscar-Nominierung sicher sein. Ihre Königin Anne ist nur so lange lächerlich, bis man erfährt, welche Bedeutung hinter jedem Hasen steckt. Man verachtet die unfähige Regentin und möchte sie trotzdem ständig in den Arm nehmen. 

Yalitza Aparicio

Yalitza Aparicio

(Foto: AP)

Männer erfüllen in dem Film einzig die Rolle, die Frauenprofile noch weiter zu schärfen. Emma Stones Abigail tüftelt in ihrer Hochzeitsnacht zum Beispiel lieber aus, wie sie die Konkurrentin endgültig loswerden kann, als sich mit ihrem Bräutigam zu beschäftigen. Der muss sich mit einem Handjob zufrieden geben - ohne dabei auch nur eines Blickes gewürdigt zu werden.

Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos katapultiert sich mit "The Favorite" nach den hoch gelobten, aber für das große Publikum vielleicht doch zu ausgefallenen Filmen "The Lobster" und "The Killing of a Sacred Deer" vielleicht endgültig in den Mainstream.

Nicht enden wollender Applaus

Nach der Premiere von "Roma" gab es für das Team im größten Kinosaal der Filmfestspiele sieben Minuten lang stehende Ovationen. Die Hauptdarstellerin Yalitza Aparicio - die im richtigen Leben eigentlich Lehrerin ist - schaffte es nicht, ihre Tränen so lange zurückzuhalten. Irgendwann zwischen Minute drei und vier des nicht-enden-wollenden Applauses lehnte sie sich auf die Schulter ihrer Co-Stars und begann zu schluchzen. 

Alfonso Cuarón in Venedig

Alfonso Cuarón in Venedig

(Foto: REUTERS)

"Roma" gilt unter Kritikern jetzt schon als Cuaróns bester Film. Das ist ein vielversprechendes Zeichen, denn 2014 hat der Mexikaner mit "Gravity" bereits einen Oscar als bester Regisseur gewonnen. Die Geschichte folgt der jungen, indigenen Hausangestellten Cleo, die in einer Familie in Roma, einem bürgerlichen Viertel von Mexico-Stadt, wohnt und arbeitet. Das in Schwarz-Weiß und 70-Millimeter-Bildern gefilmte Drama behandelt die großen Themen Klasse, Ethnie und Sexismus im politisch turbulenten Mexiko der frühen siebziger Jahre. Auch hier spielen ausschließlich Frauen die Hauptrollen. Männer fallen nur mit dem auf, was sie nicht leisten - und was das für die Zurückgebliebenen bedeutet. Viele Elemente stammen aus Cuaróns eigener Biographie. Er selbst beschreibt die Geschichte als einen "Liebesbrief" an die Frauen, die ihn erzogen haben. 

Erzählerisch beginnt der Film eher langsam, mit einer nüchternen Darstellung von Cleos Leben und ihrer Beziehung zur ihrer Arbeitgeber-Familie, insbesondere den vier Kindern. Die Bilder sind umwerfend schön und voll von subtiler Symbolik. In der zweiten Hälfte nimmt die Handlung Fahrt auf. Man ist so tief in der Beziehungsebene, dass die persönlichen Tragödien, wie auch die schönen Momente, den Zuschauer zerreißen - und wieder zusammensetzen. 

Frauen stehen vor, Männer hinter der Kamera

Es ist kein Zufall, dass in beiden Filme - trotz fast ausschließlich weiblicher Besetzung - Männer die Regie führen. Unter den 21 Regisseuren, die um den Goldenen Löwen streiten, ist nur eine Frau. Jury Präsident Guillermo del Toro möchte das ändern. Auf der Eröffnungspressekonferenz sagte er: "Ich glaube das Ziel muss sein, dass wir 50 Prozent weibliche Regisseure bis zum Jahr 2020 haben. Wenn wir es schon 2019 schaffen, noch besser."

Bei neuen Formaten ist die Trendwende bereits angekommen. Venedig zeichnet 2019 zum zweiten Mal auch die besten Filme in Virtueller Realität aus. Bei den 30 VR-Projekten führen zwölf Frauen die Regie - und das ganz ohne Quote. Die Kuratorin der VR-Filme in Venedig Liz Rosenthal vermutet hinter diesem Erfolg für Gleichberechtigung fehlenden Machtstrukturen bei dem neuen Medium: "Wenn man mit Innovationen arbeitet, gibt es nicht die gleichen etablierten Strukturen. Das machen wir uns zunutze und sind sehr stolz auf die Ergebnisse."

Die Filmfestspiele in Venedig dauern noch bis zum 8. September.

Quelle: ntv.de

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