Mit dem "Tatort" in "Eine andere Welt" Kommissar Faber bleibt unberechenbar
17.11.2013, 21:53 Uhr
Bleibt ein Rätsel: Hauptkommissar Peter Faber alias Jörg Hartmann.
(Foto: WDR / Thomas Kost)
Das Team aus Dortmund kommt in seinem dritten Fall endlich besser in Form. Der abgedrehte Hauptkommissar macht seinen Kollegen allerdings weiter so einige Probleme - und den Zuschauern auch.
Gleich zu Anfang des Films gibt es wieder eine dieser Szenen, die uns zeigen sollen, wie schlecht es um Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) steht. Da begibt er sich auf eine Landstraße im Nirgendwo, an die Stelle, an der Frau und Tochter an einen Baum gerast sind. Faber sucht Beweise, dass es kein Unfall war, sondern mehr dahintersteckt. Plötzlich glaubt er, die lieben Toten in der Ferne zu erblicken, und dieses Trugbild ist so real, dass er erst wieder erwacht, als er mitten auf der Straße steht und fast von einem Auto erfasst wird.

Daniel Kossik (Stefan Konarske, l.) und Nora Dalay (Aylin Tezel) ermitteln im familiären Umfeld der Ermordeten.
(Foto: WDR / Thomas Kost)
Ein Kommissar mit Wahnvorstellung - das ist im "Tatort" etwas Besonderes. Und die Halluzinationen sind bei Weitem nicht der einzige Hinweis darauf, dass etwas mit diesem Mann nicht stimmt. Der WDR will mit dieser krassen Figur an die Grenzen gehen, wie auch der dritte Auftritt des Dortmunder Teams beweist. Faber brüllt, zerstört Mobiliar, pöbelt Zeugen an und demütigt Mitarbeiter. Als er mit der Kollegin Bönisch die Tat nachstellt, würgt er sie so fest, dass man glaubt, er lässt sie nicht mehr los.
Es hilft aber alles nichts. Man kommt diesem Faber auch diesmal nicht näher. Man liebt ihn nicht, man hasst ihn auch nicht. Man ist froh, wenn er endlich mal stillsitzt, weil nicht zu verstehen ist, was ihn antreibt. Zu stark lässt sich das Bemühen seiner Erfinder spüren, einen originellen Charakter zu schaffen. Einem so charismatischen Schauspieler wie Jörg Hartmann ist zu wünschen, dass er mehr Raum für leise Töne erhält und weniger große Posen markieren muss. Vielleicht lässt es sich mit diesem Faber dann doch noch warm werden.
"Raus aus der Scheiße"
Zum Glück hat der dritte Film des neuen WDR-Teams andere Stärken - und funktioniert deutlich besser als die ersten beiden Folgen. Das Quartett Faber, Bönisch, Dalay und Kossik aus Dortmund kehrte nach fast genau einem Jahr auf den Bildschirm zurück. Weil Schauspielerin Anna Schudt schwanger war, hatte es eine Pause eingelegt. In "Eine andere Welt" spielen sich die Ruhrgebiets-Ermittler spürbar ein - und machen Hoffnungen für das kommende Jahr, wenn es wieder zwei Folgen aus Dortmund geben wird.
Der Film dreht sich um den Mord an der 16-jährigen Schülerin Nadine Petzokat. Die Gymnasiastin feiert in einem noblen Club, wenige Stunden später treibt ihre Leiche in einem See. Die Obduktion ergibt, dass sie am Abend vor dem Mord vergewaltigt wurde - allerdings rätselhafterweise zwei Stunden, bevor sie starb. Die Ermittler finden schnell heraus, dass die tote Jugendliche ein Doppelleben führte: Sie wollte mit ihrer Herkunft aus einer schwierigen Familie in einer Hochhaussiedlung nichts mehr zu tun haben. Also zog sie mit einer reichen Clique um die Häuser.
Um den Gegensatz dieser beiden Lebenswelten zu erzählen, bedient dieser "Tatort" munter alle Klischees zum Thema Armut – auf eine tiefgreifende Sozialstudie legt es Regisseur Andreas Herzog nicht an. Die Mutter trägt Tattoo und raucht Kette, Nadines Ex-Freund ist ein aus dem Libanon stammender Drogendealer. Der Vater arbeitet als Security-Mann und hat morgens schon eine Flasche Bier auf dem Tisch stehen. "Nadine wollte raus aus der Scheiße hier", erklärt er den Kommissaren. Wenigstens kommen die reichen Freunde genauso holzschnittartig daher.
Zwischen mädchenhaft und tough
Spannende Momente hat die Geschichte trotzdem. Das liegt vor allem daran, dass man dem Opfer sehr nahe kommt. Geschickt erzählt der Film die letzten Wochen in Rückblicken. Die Polizisten finden etliche Handy-Videos, die Nadine aufgenommen hat; durch diese Filme erfahren Zuschauer und Ermittler mehr über Liebe und Leid der Pubertierenden und ihren Freundeskreis um den arroganten Sohn eines Staatsanwalts und den schmierigen Besitzer des Nobelclubs.
Was den Dortmunder Tatorten richtig gut tut, ist die ungewöhnliche Größe des Ermittlerteams. Bei vier Hauptfiguren gibt es viel zu erzählen, so dass der Fokus nicht nur auf dem Hauptkommissar liegt. Dieses Mal steht vor allem das junge Polizisten- und Liebespaar aus der selbstbewussten Nora Dalay (Aylin Tezel) und dem stoffeligen Daniel Kossik (Stefan Konarske) im Vordergrund, das gut harmoniert. Auf den Dienstfahrten und der heimischen Couch plaudern die beiden über den komplizierten Chef und die Schwierigkeiten einer türkischen Hochzeit, und es macht Spaß, ihnen zuzuhören, vor allem, weil Aylin Tezel glaubhaft zwischen mädchenhaft und tough wechseln kann. Auch über die westfälisch kühle, unglücklich verheiratete Beamtin Martina Bönisch (Anna Schudt) will man mehr wissen.
Bleibt nur noch das Problem mit dem Hauptkommissar. Möglicherweise beruhigt der sich ja, wenn er das Rätsel um den Tod seiner Familie gelöst hat. Dieser Schicksalsschlag hatte ihn schließlich in die aggressive Form der Verzweiflung getrieben, unter der er und seine Mitmenschen leiden müssen. Jetzt hat Faber Hinweise erhalten, dass mehr hinter dem angeblichen Autounfall steckt. Ihm, seinen Kollegen und den Tatort-Zuschauern wäre eine zügige Aufklärung des Falls zu wünschen.
Quelle: ntv.de