Stefan Raab haut rein Und tschüss, du Unsympath!
15.12.2015, 10:56 Uhr
Frührente mit 49? Stefan Raab hört auf.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es ist immer noch kaum vorstellbar, aber am Samstag ist es wirklich so weit: Stefan Raab tritt zum letzten Mal im Fernsehen auf. Es ist der Abschied von einem grandiosen Ideengeber, aber von keinem Sympathieträger.
Es gibt Dinge, von denen weiß man von vornherein, dass sie erfolglos sein werden. Dennoch muss man sie tun. Zum Beispiel bei Stefan Raab ein Interview zu seinem TV-Abschied anfragen. Die Antwort des Managements lautet erwartungsgemäß: Nein, Raab sagt nichts, zu niemandem. Vielleicht rückt er ja von dieser Linie gegenüber seinem baldigen Ex-Arbeitgeber ProSiebenSat1 oder der "Bild"-Zeitung irgendwann ab. Jetzt aber heißt es erst einmal, alle Anfragen abzuwimmeln.
Dabei gäbe es so viele Themen mit Raab zu besprechen. Nicht nur unangenehme wie die Frage nach dem Umgang mit 80 Mitarbeitern seiner Produktionsfirma Brainpool, denen nach Raabs Rückzugserklärung die Kündigung ins Haus flatterte. Nein, man könnte mit ihm die Bilanz einer großartigen TV-Karriere ziehen, über grandiose Formatentwicklungen schwadronieren und in bester Manier über den Eurovision Song Contest (ESC), das TV-Duell Merkel vs. Steinbrück und die Zukunft des Fernsehens sowieso herziehen. Und man könnte ihn fragen, ob die Frührente mit 49 denn um Himmels Willen jetzt wirklich sein Ernst ist.
Das Sackgesicht bei Viva
Als Raab 1993 mit 27 Jahren die Moderation der Sendung "Vivasion" bei Viva übernimmt, ist er im Reigen der sonstigen Plaudertaschen beim damaligen Musiksender gefühlt bereits ein alter Sack. Einer mit einem - sagen wir mal - grenzwertigen Modegeschmack. Und einer, der schon damals nicht als der größte Sympathieträger daherkommt. Neben Niels Ruf bei Viva Zwei ist Raab auch so etwas wie das Sackgesicht der Sendergruppe. Während Ruf sich bei seinen Moderationen gerne von halbnackten Frauen auf allen vieren begleiten lässt, darf der "Zuschauer der Woche" in "Vivasion" eine Stunde lang seinen Kopf durch ein Loch in der Kulisse stecken. Der Moderator veralbert unterdessen seine Gäste, nimmt sie mit einem auf der Ukulele gespielten "Raabigramm" auf den Arm oder begibt sich in eingespielten Straßenumfragen auf die Suche nach Opfern seines Humors, der in der Regel auf die Kosten anderer geht.
Ende 1998 ist damit Schluss. Zumindest bei Viva. Denn Raab hat nach "Vivasion" neue Visionen. Erst einmal die Eurovision. Schon im Frühjahr 1998 komponiert er für Guildo Horn den ESC-Song "Guildo hat euch lieb". Ein Jahr später geht er mit "TV Total" bei Pro7 auf Sendung. Ausgerechnet er, der Oldie und Metzgerssohn mit dem Charme eines Kölner Schiffschaukelschubsers, der Nana-Mouskouri-Gedächtnisbrille und der Kauleiste von Jolly Jumper hat den Sprung vom Nischenfernsehen ins Massenprogramm geschafft, mochte man da despektierlich meinen. Was in dem Mann steckt, konnten außenstehende Betrachter noch nicht erahnen.
Zwischen Genialität und Bauernschläue
Manch einer attestiert Raab Genialität, in jedem Fall aber exzeptionelle Bauernschläue und unbändigen Ehrgeiz. Doch zunächst einmal war er mit den richtigen Erfahrungen bei Viva, dem richtigen Alter und somit der richtigen Reife zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Das Privatfernsehen war zur Jahrtausendwende fast volljährig und endgültig den Kinderschuhen entwachsen. Nicht nur die schwachsinnige Talkshow-Ära neigte sich dem Ende zu, auch als Unterhaltungssendungen getarnte TV-Kaffeefahrten der Marke "Glücksrad", "Der Preis ist heiß!" oder "Geh aufs Ganze" waren ausgelutscht. Der Appetit nach neuen Formaten und Shows wurde zumeist mit der Adaption ausländischer Vorlagen gestillt - von "Popstars" und "Deutschland sucht den Superstar" über "Wer wird Millionär?" bis hin zu "Big Brother".
Raabs wichtigster Beitrag zur Fernsehgeschichte in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten war deshalb auch ganz sicher nicht das stinknormale "TV Total". Klar, die Sendung bildete - trotz nahezu kontinuierlich sinkender Quoten - stets seine Homebase. Aber in ihr drehte der einstige Metzgergeselle dann doch hauptsächlich altbewährte Elemente, die er der klassischen Late-Night-Show entlehnt oder bereits bei Viva entwickelt hatte, durch den Fleischwolf.
"Raab loves to entertain you"
Raabs wesentliche Leistung liegt in dem Ideen-Feuerwerk, das auf sein "TV Total"-Engagement folgte - von der "Wok WM" bis zum "Turmspringen", von "SSDSGPS" bis zum "Bundesvision Song Contest", von der "Pokernacht" bis zu seiner nun wiederum von vielen anderen Ländern adaptierten Parade-Show "Schlag den Raab". Und sie liegt darin, die innovativen Formate reihenweise etabliert und durchgesetzt zu haben. Nicht nur beim Publikum, sondern auch bei seinem Sender. Ja, irgendwann fragte man sich sogar, wer hier eigentlich wen an der Leine durch die Manege führt: Pro7 den Alleinunterhalter Raab oder Raab den ganzen Laden Pro7? "We love to entertain you" bedeutete - von Spielfilmen und US-Serien mal abgesehen - über weite Strecken eigentlich "Raab loves to entertain you".
Seine Wurzeln hat der einstige Viva-Mann dabei nie verleugnet. Im Gegenteil. Einstige Wegbegleiter aus dem Musikfernsehen wie Matthias Opdenhövel und Steven Gätjen machte König Raab zu Ministern für Moderationsfragen in seinem Pro7-Reich. Und - auch das ist eine seiner großen Leistungen - er förderte nicht nur die Ex-Kollegen, sondern auch die Musik an sich. Man mag von Raabs eigenen Blödel-Ergüssen der Marke "Böörti Böörti Vogts", "Maschen-Draht-Zaun" oder "Wir kiffen" halten, was man will - seine Sendungen und Shows gehörten zu den wichtigsten Plattformen für Newcomer, aber auch etablierte Künstler der Rock- und Popszene im deutschen Fernsehen.
Höhepunkt von Raabs musikalischem Engagement war - nach seiner eigenen ESC-Teilnahme mit "Wadde hadde dudde da?" 2000 - zweifellos der Gewinn des Song Contests mit seiner Entdeckung Lena 2010 in Oslo. Er selbst nennt indes einen ganz und gar unmusikalischen Moment sein persönliches Karriere-Highlight - als er SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im TV-Duell mal so richtig grillen durfte. "Da könnte ich mich heute noch drüber beömmeln", sagt Raab.
Joko, Klaas & Palina
Pro7 ohne Raab? Das wirkt bei alledem noch immer schwer vorstellbar, auch wenn man in Unterföhring die Nachfolge händeringend zu bestellen versucht hat. Richten sollen es - natürlich - Raabs Epigonen aus dem Musikfernsehen: Joko und Klaas. Die Verträge der einstigen MTV-Shooting-Stars seien gleich mal "um mehrere Jahre" verlängert worden, heißt es. Und auch für die überdrehte Ex-Kollegin der beiden bei "MTV Home", Palina Rojinski, dürfte sich die Auftragslage bei Pro7 wohl erst einmal nicht verschlechtern.
Doch ob das Anarcho-Duo und die schrille Rothaarige die Lücke, die Raab hinterlässt, wirklich auch nur annähernd schließen können, ist mehr als fraglich. Raab war eben weit mehr als nur der allzeit bereite und für jeden Scheiß zu habende Spaßvogel, der sich im Dienste des Entertainments vor dem Fernsehpublikum zum Affen macht. Er war Unternehmer, Produzent, Komponist, Sänger und - egal, ob genial oder bauernschlau - vor allem der wohl entscheidendste Ideengeber fürs Fernsehen seit der Jahrtausendwende.
Ein großer Bluff?
Raabs Entscheidung, seine TV-Karriere auf ihrem Zenit zu beenden, hat viele überrascht. Die wahren Gründe dafür kennt bislang nur er selbst. Es könnte am gleichen Ehrgeiz liegen, der ihn bislang auch angetrieben hat. Nächstes Jahr wird Raab 50. Und ob es einem gefällt oder nicht - mit 50 kann oder mag man dann vielleicht auch einfach nicht mehr in einem Wok die Bobbahn herunterstürzen, mit einem Stockcar Auffahrunfälle produzieren oder vor Millionen in Badehosen vom Zehn-Meter-Turm springen. Und selbst wenn es mit 50 noch nicht so sein sollte, dann ist es halt eben mit 52, 55 oder 57 so weit. Dem entkommt auch ein Stefan Raab nicht - eher früher als später würde er nicht länger die Mehrzahl seiner Duelle gegen Sportstudenten, Tornadopiloten oder Fitness-Trainer bei "Schlag den Raab" gewinnen. Die Blöße aber würde er sich ganz bestimmt nicht geben wollen.
Oder ist alles nur ein großer Bluff, wie manche mutmaßen, und man sieht Raab schon bald wieder zurück auf dem Bildschirm, etwa bei den Öffentlich-Rechtlichen? Opdenhövel und jetzt auch Gätjen hätten das ja nun schon einmal vorgemacht. Für ein Comeback von "Wetten, dass..?" bräuchte es noch den passenden Moderator. Und auch die ARD könnte beim ESC, wie unschwer zu erkennen ist, mal wieder ein wenig Hilfe gebrauchen. Wir werden aber wohl erst einmal weiter im Dunkeln tappen. Nicht anzunehmen, dass sich Raab in seiner letzten "TV Total"-Ausgabe am Mittwoch oder seinem (vorerst) allerletzten TV-Auftritt bei "Schlag den Raab" am Samstag in die Karten seiner Zukunft blicken lässt.
Vielleicht einfach nur Schnauze voll
Aber vielleicht sind das alles auch nur an den Haaren herbeigezogene Spekulationen. Vielleicht hat Raab vom Medienzirkus auch einfach nur die Schnauze voll. Vielleicht will er nicht wie manch andere Kollegen vor den Augen des TV-Publikums zum Greis werden. Vielleicht reicht es ihm, künftig hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. Oder vielleicht hat er auch wirklich Lust darauf, sich fortan nur noch auf die faule Haut zu legen.
Die Nonchalance, einfach mal eben so zu gehen, wenn es am schönsten ist, verleiht dem ewigen Unsympathen Raab durchaus sympathische Züge. Wäre da nicht die Sache mit den gekündigten Brainpool-Mitarbeitern. Sie müssen vor Gericht um ihre pure Existenz kämpfen. Der letzte Fünfjahresvertrag mit Pro7 soll Stefan Raabs Produktionsfirma 185 Millionen Euro in die Kassen gespült haben. Eines ist klar: Finanziell muss man sich um Raab keine Sorgen machen.
Quelle: ntv.de