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Vip Vip, Hurra! "Wir sind im Krieg mit dummen Menschen"

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Vincent van Gogh: Selbstporträt.

Vincent van Gogh: Selbstporträt.

(Foto: picture alliance)

Dschungelfieber oder Bildungsdesaster? In der aktuellen Promi-Kolumne geht es um schockierende Ahnungslosigkeit im TV-Camp - und eine Generation, die Allgemeinbildung für überflüssig hält. Seit wann ist "Das war vor meiner Zeit" eine Entschuldigung für Desinteresse?

Lieber Leser, hat Sie das Dschungelfieber auch gepackt? Dieser alljährliche Wahnsinn aus Trash, Tränen und tierischen Prüfungen? Nun, in diesem Jahr bietet das Camp neben ekelhaften Essensprüfungen noch eine weitere Mutprobe: das blanke Entsetzen über die schwindelerregende Unwissenheit mancher Kandidaten. Es ist nicht neu und ich sorge mich gerade ein wenig, es könnte vermessen oder arrogant rüberkommen, wenn ich mich diesem Thema etwas ausführlicher widme.

Besonders ein Dschungelcamper hat es in dieser Woche nämlich geschafft, eine ganz neue Stufe der - ich sage es mal ganz vorsichtig - Ahnungslosigkeit zu erklimmen: Maurice Dziwak, besser bekannt als der selbsternannte "Löwe". Er ist 26 Jahre alt, kürzlich Vater geworden und hat nach eigenen Angaben Abitur. Angeblich würde er sogar studieren. Aber er hat keine Ahnung, wer Thomas Mann war. Julius Caesar? Nie gehört. Van Gogh, Chagall? Sagt ihm alles nix. Genauso wie seine Mitcamperin Yeliz Koc angeblich nicht weiß, wer die Tennislegende Boris Becker ist und was der "so gemacht hat".

Während Jürgen Hingsen, ehemalige Sportlegende, sichtlich konsterniert versuchte, den jungen "Löwen" auf die Sprünge zu helfen, machte sich im Camp (k)ein kollektives Kopfschütteln breit. Muss man diese Leute kennen? Wer soll das sein? Wozu muss man sowas wissen? Ich frage mich: Ist das nicht traurig, dieses Bildungsdesaster? Doch, wie gesagt, Camper Maurice ist kein Einzelfall. Leider.

"Das war vor meiner Zeit"

Ich habe mein Befremden darüber in den sozialen Medien geteilt und prompt viele, teils böse Nachrichten bekommen. Viele, vor allem junge Leute, verteidigten sich mit einem Argument, das für mich so dämlich ist, dass es mir fast die Sprache verschlug: "Das war vor meiner Zeit." Ach so, na dann! Ist es also völlig in Ordnung, nichts über Geschichte, Literatur, Kunst oder Kultur zu wissen, weil es vor der eigenen Geburt passiert ist?

Elvis war auch vor meiner Zeit. Die Beatles, die Rolling Stones. Marlene Dietrich. Der Zweite Weltkrieg. Die Französische Revolution. Die Entdeckung Amerikas. Alles unwichtig und unnützes Wissen, weil man es nicht selbst miterlebt hat? Wow. Diese erschreckende Haltung zieht sich durch eine ganze Generation, die nur noch das für relevant hält, was auf ihrem Insta-Feed landet. Und natürlich meine ich damit nicht alle! Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen die Regel.

Sicher, Jürgen Hingsen hätte seine Verwunderung über so viel Unwissen vielleicht weniger drastisch formulieren können, aber ist es nicht viel alarmierender, dass wir überhaupt in einer Zeit leben, in der Unwissenheit als Selbstverständlichkeit hingenommen wird? Wo Menschen, die etwas können und wissen, als "altbacken" und "arrogant" abgestempelt werden? Stattdessen werden Leute zu Stars gemacht, die nichts können außer sich selbst zu inszenieren. "Die interessieren sich mehr für ihren Lipgloss", sagte Hingsen. Recht hat er.

Ich bin in der ehemaligen DDR zur Schule gegangen. Eine Zeit ohne Smartphones, ohne Internet. Und dennoch wusste jeder in meiner Klasse, wer Goethe, Brecht oder van Gogh war. Weil es nicht um individuelle Vorlieben ging, sondern um eine grundsätzliche Bildung, die jedem Menschen ein Fundament gibt. Heute lese ich stattdessen: "Wenn es mich nicht interessiert, brauche ich es auch nicht wissen." Diese Gleichgültigkeit ist nicht nur traurig, sondern gefährlich. Denn Wissen ist kein Konsumgut, das man sich je nach Lust und Laune zusammenstellen kann wie eine Playlist. Es ist die Basis für jede Gesellschaft, die nicht im Chaos versinken will.

Wir brauchen wieder echte Stars!

Neulich habe ich mit einem Freund gesprochen, der in vielen Ländern gelebt hat, darunter Amerika und China. Er ist Fotograf und schickte mir ein Foto, das er kürzlich in London geschossen hatte. Darauf stand: "We are at war with stupid people and somehow they are winning." ("Wir sind im Krieg mit dummen Menschen und irgendwie gewinnen sie.")

Und genau das ist der Punkt. Die Dummen übernehmen die Macht, weil sie laut sind, weil sie sich durch Likes und Follower definieren, weil sie in einer digitalen Blase leben, in der nur noch zählt, wie oft ein Video geteilt wird, nicht aber, ob der Inhalt irgendeinen Wert hat.

Und das wirklich Erschreckende: Plötzlich ist nicht mehr der Dumme das Problem, sondern derjenige, der darauf hinweist. Hingsen bekommt einen Shitstorm, weil er den jungen Maurice "bloßgestellt" hat. Er hätte behutsamer sein müssen. Wirklich? Seit wann müssen wir aufpassen, wie wir Unwissenheit benennen, damit sich bloß keiner auf den Schlips getreten fühlt?

Nein! Wir brauchen wieder echte Stars. Menschen, die etwas geleistet haben, die wirklich etwas können. Keine Influencer, die ihren Tag mit "Hey Leute, heute zeige ich euch meine neue Lippenpflege" beginnen. Wir brauchen Vorbilder, die inspirieren, die etwas zu sagen haben und nicht nur wissen, wie man sich im perfekten Licht für Instagram inszeniert.

Bildung ist nicht optional. Allgemeinwissen ist nicht elitär. Und die Tatsache, dass so viele das heute anders sehen, sollte uns allen Angst machen.

Quelle: ntv.de

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