Schweden-Thriller im Vergleich Die Erben von Stieg Larsson
13.08.2023, 13:03 Uhr Artikel anhören
Aus Schweden kommen Zimtschnecken und Thriller, die einem das Blut gefrieren lassen.
(Foto: picture alliance / Alexander Farnsworth)
Klar gibt es Wallander schon lange. Auch Kommissar Beck. Aber erst Stieg Larssons "Millennium-Trilogie" tritt eine wahre schwedische Thriller-Lawine los. Zwei Autoren treten nun in große Fußstapfen.
Wer Stieg Larssons "Millennium-Trilogie" nicht kennt, hat entweder nichts für erstklassige Thriller übrig oder die letzten 20 Jahre verschlafen. "Verblendung", "Verdammnis" und "Vergebung" schlagen ein wie eine Bombe. Der Autor wird international gefeiert, die Werke verfilmt für TV und teilweise auch die große Kinoleinwand. "007" Daniel Craig lässt grüßen. Dann stirbt Larsson und es geht um nichts Geringeres als sein literarisches Erbe. Für die zweite Trilogie rund um Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist zeichnet Bestsellerautor David Lagercrantz verantwortlich. Im Rennen um die nächsten drei Werke befand sich auch John Ajvide Lindqvist.
Lindqvist gilt als "Stephen King des Nordens". Seine Thriller sind Bestseller, werden in zig Sprachen übersetzt. Doch an "Millennium" darf er sich nicht versuchen. Die auswahltreffende Stiftung entscheidet sich für einen anderen Autoren. Lindqvist ficht das nicht an: Er startet mit "Refugium" eine eigene Trilogie. Und auch die hat es in sich.
Zwei Charakterköpfe als Erfolgsgeheimnis
Gut, so ganz kalt lässt ihn die Stiftungsentscheidung wohl dann doch nicht. Zumindest lässt er das Scheitern in sein Buch einfließen, greift es auf, schreibt sich so den Frust von der Seele. Wer weiß? Die Story gibt es her, die Charaktere erst recht. Wie bei "Millennium" stehen auch bei der "Stormland"-Trilogie Lindqvists zwei ungleiche Personen im Mittelpunkt. Eine Frau und ein Mann. Eine ehemalige Polizistin, die nun als erfolgreiche Krimiautorin arbeitet. Ein Hacker, der aus stinkreichem Haus kommt und dessen Kindheit die Hölle auf Erden war. Julia Malmros, Frau in den besten Jahren. Kim Ribbing, Computer-Genie in einem von Narben übersäten, asketisch dünnen Körper.
Malmros lernt Ribbing kennen, als ihr das Angebot ihres Lebens unterbreitet wird, die "Millennium"-Reihe fortzusetzen. Sie hat den Plot bereits im Kopf, viel Action, Drogen, Mexiko. Nur mit Computern hat sie es nicht so, weshalb ihr der Verlag Ribbing als Experten empfiehlt. Er, geheimnisvoll und jung, landet bei ihr, getrennt und um die 50 - und sie beide im Bett. Mit "Millennium" wird es dann doch nichts. Aber dafür mischen die beiden - mal on, mal off - in einem wahren Wirtschaftsthriller mit: Malmros alter Bekannter, der überaus erfolgreiche Geschäftsmann Olof Helander, mit dem sie als Kind gespielt hat, wird an Mittsommer auf seiner Schäreninsel erschossen. Hingerichtet trifft es besser. Bei dem Gemetzel zweier Unbekannter sterben alle Partygäste - bis auf Helanders Tochter Astrid.
Die sieht die Gangster, wirft sich unter den Tisch, rollt sich danach ins Wasser und harrt aus. Malmros hört die Schüsse, fährt mit ihrem Boot hin, Ribbing mit an Bord. Der Hacker kümmert sich rührselig um Astrid, während Malmros sich mit der Polizei und ihrem für die Staatsgewalt arbeitenden Ex-Ehemann herumschlägt. Malmros kommt sich vor wie in einem irrwitzigen Thriller. Sie beginnt zu ermitteln, Ribbing ebenfalls. Ihn führt es nach Shanghai und auf Kuba. Es geht um kriminelle Machenschaften, die bis in die Politik reichen und um Milliarden, für die es offenbar lohnt, zu morden. Helanders Tod ist erst der Anfang.
"Refugium" als Beginn der "Stormland"-Trilogie lässt es richtig krachen, kommt aber auch ruhig und gefühlvoll daher. Die Charaktere haben Tiefe, Ecken und Kanten. Als Leser hat man sie sofort ins Herz geschlossen und will wissen, wie es weitergeht. Lindqvist braucht das Prädikat "Millennium"-Autor nicht. Er setzt eine eigene Thriller-Marke.
Düster, direkt, "Millennium" made im Jahr 1994
Das gelingt aus dem Stand auch dem schwedischen Autorenduo Pascal Engman und Johannes Selaker. "Sommersonnenwende" heißt der Start ihrer Thriller-Reihe. Und auch hier gibt es ein ungleiches "Ermittlerduo". Kriminalkommissar Tomas Wolf hat eine düstere Vergangenheit, die er glaubt, hinter sich gelassen zu haben. Ehefrau, zwei Kinder, bald ein eigenes Häuschen. An seine Vergangenheit als rechter Schläger und Nazi erinnern nur die beiden Brüder, die noch voll in der Szene drin sind. Wolf hat den Absprung geschafft. Gerade noch so, wie es scheint.
Doch als eine junge Frau brutal ermordet wird, bricht Wolfs dunkle Vergangenheit sich Bahn. Er muss sich ihr stellen, sonst geht er unter. Ungewollte Hilfe bekommt er von der Journalistin Vera Berg, die ebenfalls vor einer düsteren Vergangenheit flieht: Sie war jahrelang mit einem Biker zusammen, hat mit ihm einen Sohn und versucht nun sich und dem Kleinen ein neues Leben aufzubauen, ohne den Motorradclub-Schläger. Der will seinen Sohn zurück und schickt Vera seine Kumpels auf den Hals, die alles andere, aber keinen Spaß verstehen.
Als ein weiteres Todesopfer auftaucht, kreuzen sich die Wege von Wolf und Berg und der Lesespaß beginnt erst richtig. "Sommersonnenwende" ist Mitte der 1990er in Stockholm angesiedelt. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, rechte Gewalt, hilflose Polizisten, eine ohnmächtige erscheinende Gesellschaft - und mittendrin Wolf und Berg mit den Gespenstern ihrer Vergangenheit. "Sommersonnenwende" legt man als Leser erst weg, wenn die letzte Seite umgeblättert, der letzte Satz gelesen und das letzte Wort verklungen ist. Rauer und direkter als "Refugium", gewissermaßen "Millennium" made im 1994.
Quelle: ntv.de