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Viel Heroin, wenig Hoffnung Georgiens düstere Seite

Gewalt, Armut und jede Menge Drogen: Der Erzählband "Wenn es nur Licht gäbe, bevor es dunkel wird" zeichnet ein düsteres Bild der jungen georgischen Generation. Vor allem Frauen leben in ständiger Gefahr.

"Biete: 28 Jahre alte, aber gut erhaltene grüne Augen, verschimmelte Träume und gebrochenes Herz mit interessantem Inhalt. Preis: Verhandlungsbasis." Es sind verstörende Kleinanzeigen, die Iunona Guruli ihren 15 Kurzgeschichten zur Seite stellt. Und auch der Titel des Bandes, "Wenn es nur Licht gäbe, bevor es dunkel wird", täuscht nicht: Die Erzählungen sind allesamt düster und berichten von Drogen, Armut und (häuslicher) Gewalt im Georgien der Gegenwart.

Die in Tiflis geborene Guruli lebt seit 1999 in Berlin.

Die in Tiflis geborene Guruli lebt seit 1999 in Berlin.

(Foto: Rusudan Tabukashvili)

Wie so viele zeitgenössische georgische SchriftstellerInnen beschäftigt sich auch Guruli damit, was die Jahre des Um- und Aufbruchs nach dem Zerfall der Sowjetunion und die vielen enttäuschten Erwartungen aus den Menschen gemacht haben. Georgien durchlebte nach der Unabhängigkeit 1991 zwei Kriege und eine lange Zeit der wirtschaftlichen Stagnation. Auch heute noch sind viele der Einwohner arm und arbeitslos. Der Konsum harter Suchtmittel ist Schätzungen zufolge astronomisch hoch.

Vor der Folie dieser Fakten lässt Guruli das schonungslose Bild einer Generation entstehen, die viele innere und äußere Verletzungen mit sich herumträgt. Ein Großteil der Figuren - "gesichtslos" und mit einem "vergilbten, verfaulten Blick" - sucht vergeblich Zuflucht im Heroin. Eine von ihnen stößt in ihrer Manteltasche statt auf ein Drogentütchen plötzlich auf etwas Flauschiges: ein Spatzenkadaver, eingesteckt und dann vergessen.

"Ist es schmerzhaft, sich aufzuhängen?"

Wer keine Drogen nimmt, kämpft gegen andere Dämonen: Eine Mutter sucht für ihr Kind einen Ausweg aus den Depressionen. Aber in ihrem Kopf hämmern ununterbrochen dieselben Fragen: "Ist es eigentlich schmerzhaft, sich aufzuhängen? Und was, wenn ich im letzten Moment Panik bekomme?" Immer wieder bricht sich Gewalt ungehindert Bahn: Ein Ehepaar stellt sich taub, wenn aus der Nachbarwohnung mal wieder Schreie und dumpfe Geräusche zu hören sind - bis es einen Toten gibt. Und auch wenn junge Menschen ins verheißungsvolle Deutschland aufbrechen, landen sie im Unglück. Ein versuchter Diebstahl endet im Gefängnis und eine Schlägerei auf der Intensivstation.

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Ein besonderes Anliegen ist es Guruli, vom Schicksal der Frauen zu berichten. Ihre Lage ist besonders schlimm: Die Öffentlichkeit ist nicht nur konservativ eingestellt und mehrheitlich streng religiös, sondern stark von Männern dominiert. Viele von ihnen glauben, nach Belieben über Frauen verfügen und ihnen Gewalt antun zu dürfen. In ihrem Buch versuche sie, "den Frauen Stimmen zu geben, die sonst in der georgischen Gesellschaft kaum zu hören sind", erklärt Guruli in einem "arte"-Porträt.

Nicht nur einmal muss man bei der Lektüre innehalten, um sich für die nächsten Zeilen zu wappnen. Da ist zum Beispiel der Alkoholkranke, der seine Frau erst bewusstlos schlägt und ihr anschließend mit Mord droht, sollte sie versuchen aus dem Haus zu fliehen. Oder ein anderer, der sich einen Dreck darum schert, dass seine Freundin an den Folgen einer Abtreibung zu verbluten droht. In all dem Elend gibt es auch hoffnungsvolle Momente. Aber sie sind selten. Selbst dann, wenn zwei Menschen wirkliche Liebe verbindet.

Autobiografische Spuren

Durch die Erzählungen ziehen sich autobiografische Spuren. Wo genau sie anfangen und enden, lässt Guruli in der Schwebe. 1978 in Tiflis geboren, ließ sie sich zur Schauspielerin ausbilden. Anschließend studierte sie Journalistik, Politik und Geschichte, erst in Georgien, dann in Berlin, wo sie seit 1999 lebt und als Autorin und Übersetzerin arbeitet. Die Erzählungen, die in ihrem Heimatland bereits 2015 erschienen, hat sie selbst ins Deutsche übertragen.

Trotz aller Trostlosigkeit: Die Erzählungen - prägnant und bewegend verfasst - versprechen eindrückliche Lesestunden. Guruli sei eine "der aufregendsten und intensivsten weiblichen Stimmen der georgischen Gegenwartsliteratur", vermeldet der Klappentext. Auf ihren ersten Roman jedenfalls, an dem sie gerade schreibt, kann man sich freuen.

Quelle: ntv.de

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