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Operation "Kalter Sommer" Kindsmord mitten im Mafia-Krieg

Sommer 1992, in Bari herrscht Krieg zwischen zwei Mafia-Gangs. Als der entführte Sohn eines Bosses tot aufgefunden wird, bietet sich ein Mafioso der Polizei als Kronzeuge an. In seinem Roman "Kalter Sommer" verarbeitet Carofiglio reale Verbrechen.

Es sind zwei Daten, die sich tief ins kollektive Gedächtnis der Italiener eingeschrieben haben: Am 23. Mai 1992 wurde Giovanni Falcone zusammen mit seiner Frau und drei Leibwächtern nahe Palermo von einer Bombe getötet. Falcone bekämpfte als Richter die Cosa Nostra. Genau wie sein Kollege Paolo Borsellino. Er und fünf Mitglieder seiner Eskorte kamen am 19. Juli 1992 in der sizilianischen Hauptstadt durch einen Sprengsatz ums Leben.

Am 23. Mai 1992 wurde Richter Falcone zusammen mit seiner Frau und drei Leibwächtern von einer Autobombe in den Tod gerissen.

Am 23. Mai 1992 wurde Richter Falcone zusammen mit seiner Frau und drei Leibwächtern von einer Autobombe in den Tod gerissen.

(Foto: imago/Leemage)

In diesen Tagen des Entsetzens, als die Mafia den italienischen Staat massiv bedrohte, siedelt Gianrico Carofiglio seinen neuen Roman an. "Kalter Sommer" spielt in Bari und erzählt vom Krieg innerhalb eines Mafia-Clans. Mehrere Mafiosi sind binnen kurzer Zeit ermordet worden, weitere spurlos verschwunden, es kommt zu Schießereien auf offener Straße. Dann eskaliert der Machtkampf auf tragische Weise: Der kleine Sohn von Mafia-Boss Grimaldi wird entführt und wenig später tot aufgefunden.

Alle haben den einstigen Stellvertreter und jetzigen Gegenspieler Grimaldis, Lopez, im Verdacht. Der taucht plötzlich bei der Polizei auf und bietet sich als Kronzeuge an. Mit Entführung und Tod des Jungen aber will er nichts zu tun haben. Kann man ihm trauen? Diese Frage muss Mareschiallo Pietro Fenoglio zusammen mit seinem Team und der zuständigen Staatsanwältin klären.

Roman mit autobiografischen Spuren

Auch wenn der Krimi einen fiktiven Plot entwickelt: Die blutige Fehde in Bari ist nicht erfunden, die Verbrechen haben sich im Laufe der 1990er in Apulien zugetragen, als die Mafia regelrechte Blutbäder anrichtete. Autor Carofiglio war als Antimafia-Staatsanwalt in die damaligen Ermittlungen involviert. Schon im Buchtitel finden sich autobiografische Spuren: Da es 1992 ungewöhnlich frisch war, trug die erste von Carofiglios Operationen gegen die apulische Mafia den Namen "Kalter Sommer".

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In seinem Roman geht es Carofiglio vor allem darum, die Machenschaften der Mafia und die Polizeiarbeit authentisch darzustellen - anders als in vielen Krimis, TV-Serien und Filmen, die es mit der Realität oft nicht so genau nehmen. Und so beschreibt der Verhörspezialist die mühsamen Ermittlungen: An den Tatorten will niemand etwas gesehen oder gehört haben, Informanten geben sich wortkarg, Handyüberwachung ist noch ein Novum und die Omertà, das Gesetz des Schweigens, steht über allem. Nur Lopez redet. Seine Aussagen geben tiefe Einblicke in das System des Organisierten Verbrechens, in die Hierarchien, Aufnahmerituale, "Karrieren" und Codes.

Sprachlich ist das wunderbar gemacht. Ohne den Erzählrhythmus zu unterbrechen, zieht Carofiglio verschiedene Register. Nüchterne Prosa und dialogische Passagen wechseln sich mit philosophischen Reflexionen und der technisch-distanzierten Sprache von Verhörprotokollen ab und ergänzen sich hervorragend.

Wer ist böse, wer ist gut?

Das Personal bleibt hingegen auch im zweiten Fenoglio-Krimi etwas konturlos - ganz anders als etwa in der Justizroman-Reihe um den charmant selbstironischen Anwalt Guido Guerrieri, mit der Carofiglio sich als Autor einen Namen gemacht hat. Persönliche Details - gerade ist die Frau von Fenoglio aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen - streut Carofiglio sehr sparsam ein.

Vielmehr rückt er auch anhand der Figuren die Polizeiarbeit in den Fokus. Fenoglio, von seinen Kollegen hinter vorgehaltener Hand "Mister Stock-im-Arsch" genannt, wird als besonnener Carabiniere charakterisiert. Kurzschlusshandlungen sind nicht sein Ding, bevor er aktiv wird, denkt er gewissenhaft nach - vorzugsweise wandert er dabei durch die Säle der baresischen Gemäldegalerie oder dreht eine seiner Lieblingsopern laut auf.

Es sind vor allem seine differenzierten Gedanken, die dem Roman Tiefe verleihen. Zum Beispiel, wenn er über "dumme und abscheuliche Verbrecher" sinniert, "die einem einfachen, beruhigenden Klischee entsprachen: Ihr seid anders als wir. Ihr seid die Bösen, wir die Guten. Alles war klar und eindeutig." Aber nur auf den ersten Blick, denn da seien auch "die klugen Dealer, die netten Räuber, die zu erstaunlich humanen Gesten fähigen Mörder", die alles wieder verkomplizieren.

In "Kalter Sommer" verschwimmen die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß tatsächlich und es gibt mehr als nur einen Grauton. Am Ende des Romans steht eine bittere Wahrheit.

Quelle: ntv.de

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