Zukunft braucht einen Anker"Maya & Samuel" - ein Liebesroman ohne Kitsch
Sabine Oelmann
Es geht um ein junges Paar, Ende zwanzig, um Liebe, Leid, Verlust und Hoffnung. Einsamkeit zu zweit, Alleinsein, und darum, dass es manchmal einfach Zeit braucht, bis die Wunden heilen. Bis die Worte und die Gefühle wieder aus ihren Schubladen gezogen werden können.
Dieses Buch saugt dich ein. Es zieht dich in die Welt von Maya und Samuel, die sich mehr als ein halbes Leben lang kennen, nebeneinander aufgewachsen sind und sich dann als beste Freunde ineinander verliebt haben. Sowas soll es geben. Sie ziehen zusammen, in ein hübsches Haus, das sie sich mithilfe ihrer Eltern leisten können, Maya schreibt für eine lokale Zeitung und hat ein Fotostudio, Samuel etabliert sich mit seinem Gamingchannel. Dieses Paar kennt sich ganz genau, sie sind eine Einheit, nichts und niemand kann sie auseinanderbringen. Beide gärtnern gerne.
Sie ergänzen sich perfekt: Maya ist forsch, wirft sich ins Leben, auch schon als Kind und Jugendliche. Samuel denkt über alles ein bisschen zu lange nach, aber er ist ihr Ruhepol. Sie sind Ende zwanzig und glücklich miteinander - bis ein Verlust sie auseinanderreißt. So weit auseinander, dass es kaum Wege zueinander gibt. Selbst dieses Paar, das sich so gut, so lange und so intensiv kennt, die Nacken des anderen, die Vorlieben der anderen, trauern beide für sich und auf ihre eigene Art und Weise.
Abwechselnd erzählt Franziska Fischer ("In den Wäldern der Biber", "Unsere Stimmen bei Nacht") aus der Perspektive von Maya und Samuel. So, dass man beide verstehen kann. So, dass man beide hin und wieder anstupsen möchte. "Tu was". "Sprich mit ihr". "Frag sie". "Nimm ihn in den Arm". Und doch folgt man ihnen, in ihren Gedanken, ihren Rückblicken, Wünschen und Hoffnungen. Die Sprache ist so klar, so nachvollziehbar: "Diese Lichter, Sammy, das ist so schön." "Darf ich deine Hand halten?" "Ausnahmsweise darfst du das." In den Rückblicken ist so klar, warum die beiden zusammen sind. Mayas Witz, seine Geduld. Mayas Selbstverständnis, sein Alles-immer-in-Frage-stellen - sie sind so ideal zusammen.
Keine Worte mehr
Und doch ist nun in Maya alles zerbrochen; erst nach einer längeren Zeit - ihre Mails quellen über, die Blumen im Garten vertrocknen, die Kunden bleiben aus - tastet sie sich als Fotografin langsam wieder hinaus in die Welt. Und Samuel? Der verstummt ebenfalls, schleicht um sie herum, traut sich nicht, weiß nicht, wohin mit sich, flüchtet sich während seiner Streams in seine Community und versucht dennoch, ihren gemeinsamen Alltag aufrechtzuerhalten. Er kocht für sie, ganz vorsichtig, er sorgt für sie, sehr schüchtern, und auch, wenn sie das zur Kenntnis nimmt, fällt es ihr doch so schwer, auf ihn zuzugehen, während er befürchtet, sie zu überrumpeln. Früher hatten sie so viele Worte füreinander, sie scheinen alle aufgebraucht zu sein.
Ein typischer Satz von Samuel, dem Gamer: "Vermutlich haben die meisten von uns Gründe, sich die Welt auf Distanz zu halten. Die soziale Interaktion mit Sicherheitspuffer auszustatten und dann einen Beruf daraus zu machen." Oder auch, und da spricht er als Junge, der schon unsterblich in seine Freundin verliebt ist: "Wenn ich meine Hand nur ein bisschen ausstrecken würde, könnte ich Mayas erreichen."
Happy End?
Inzwischen denkt er allerdings: "Ich denke daran, wie wir uns früher unser Leben ausgemalt haben. In den Jahren haben sich viele Ideen angesammelt. Jetzt schweigen sie alle. Zukunft braucht einen Anker in der Gegenwart."
Maya resümiert: "Die Nähe zum Tod ist auch Nähe zum Leben, zwei Dinge, die nicht gegensätzlich sind, sondern zusammen gehören." Denn selbst Menschen, die nicht besonders optimistisch sind, stellen sich ihre Zukunft besser vor als ihre Gegenwart. Wir hoffen immer irgendwie, dass es bergauf geht. Das wir zukünftig mehr schaffen als jetzt.
Und dann, nach dem vielen Schweigen, und den Gedanken, an denen die Lesenden teilhaben können, gelingt es Maya und Samuel mit der Zeit, wieder aufeinander zuzugehen.
