Thriller-Autor Arne Dahl "Schreiben ist für mich Freiheit!"
18.03.2022, 16:45 Uhr
Dahl plant schon eine neue Thrillerserie. Es wäre nach der "A-Gruppe", "Opcop" sowie "Berger & Blom" bereits die vierte des schwedischen Bestsellerautors.
(Foto: Piper)
Arne Dahl ist Schwedens heißester Thriller-Export: Seine Bücher sind Bestseller, die dazugehörigen Verfilmungen Quoten-Highlights. ntv.de verrät der Schwede seine Erfolgsgeheimnisse, den Grund, weshalb er die "Berger & Blom"-Reihe nun sterben lässt - und was sich hinter Schwedens Pippi-Langstrumpf-Romantik wirklich verbirgt.
ntv.de: Herr Dahl, die "Berger & Blom"-Reihe ist Ihre bislang erfolgreichste Thrillerserie. Weshalb beenden Sie sie jetzt?
Arne Dahl: Das hat System bei mir. Ich habe bislang drei große Reihen geschrieben: Die "A-Gruppe" um Paul Hjelm und Kerstin Holm war die bislang umfangreichste; die globaler angelegte "Opcop"-Serie kam danach und dann die auf einer viel persönlicheren, zwischenmenschlicheren Ebene angelegten "Berger & Blom"-Bücher. Jede dieser Serien hatte von Anfang an eine natürliche Lebensdauer. Bei Sam Berger und Molly Blom waren es fünf Bücher. Fünf Bücher im Zeichen von Spannung pur in Psychothriller.
"Null gleich eins" ist der Titel des Buches. Worum geht es?

Arne Dahl wird am 1. Januar 2023 60 Jahre alt und sieht sich noch nicht in der Schriftsteller-Rente.
(Foto: Thron Ullberg)
Kurz gesagt: Die Jagd der Menschheit nach dem ewigen Leben (lacht). Länger leben und was es im Endeffekt kostet, wie weit man dafür bereit ist zu gehen. Das Buch beginnt nicht mit Sam und Molly, sondern mit Deer, Desiré Rosenkvist, der dritten Hauptprotagonistin der Reihe. Sie hat im vierten Buch sehr gelitten, ihre Beine verloren und versucht nun, einen Weg zurück in ihr altes Leben zu finden. Zurück in die Normalität einer Polizistin. Ihr Chef legt ihr dabei Steine in den Weg. Deer gelingt es, einen Zusammenhang zwischen mehreren Toten, abgelegt auf dem Strand verschiedener Schäreninseln vor Stockholm, herzustellen. Deer darf aber nicht ermitteln und ruft so die beiden Privatermittler Berger und Blom auf den Plan, die dann herausfinden, dass alles anders ist, als viele zu Beginn geglaubt haben.
Auf der einen Seite ist Schweden Pippi Langstrumpf, Bullerbü und Inga Lindström. Auf der anderen Seite ist Schweden auch Arne Dahl, Psychothriller und menschliche Abgründe. Was zeichnet Ihre Bücher aus? Wofür stehen Sie?
Gute Literatur sollte immer das Offensichtliche hinterfragen, unter die Oberfläche gehen, hinter die Fassaden schauen. Die schwedische Fassade ist Licht, ist Sonne, ist Sommer in den Schären oder ein schöner Postkartenwinter. Ich stehe mehr für die Dunkelheit, das Düstere, das, was sich hinter dem Licht verbirgt, was sich hinter der Fassade abzeichnet.
"Null gleich eins" spielt im Frühjahr, in Richtung Mittsommer. Mehr Licht diesmal bei Arne Dahl?
(lacht) Es scheint vielleicht so. Nein. Mir war aber der dadurch entstehende Kontrast wichtig. Düsterer Plot, lichtdurchflutete Jahreszeit. Das klassisch romantische Bild von Schweden. Ich benutze dieses Bild: Die Sonne taut das Eis des Winters und zum Vorschein kommt die Wahrheit, die Realität. So entsteht eine besondere Atmosphäre.
Wo holen Sie sich Ihre Inspiration? Woher kommen die Ideen zu Ihren Thrillern?
Ganz einfach: von der Welt. Ich schaue, was um mich herum passiert. Im Kleinen und im Großen. Als Autor denkt man zwar: Jetzt habe ich alle Verbrechen, die es auf dieser Welt gibt, gesehen. Jetzt habe ich alle kriminellen Abgründe erkundet. Aber so ist das nicht. Immer wieder gibt es neue Dinge, neue Verbrechen, neue Abgründe. Es wird nie langweilig.
Müssen die Ideen lange reifen?
In der Regel nicht. Es gibt ein Grundgerüst, eine Grundidee. Die kann sich dann natürlich in alle Richtungen weiterentwickeln - und manchmal dementsprechend auch reifen. Erst gibt es die Idee, die Wirklichkeit und dann kommt die Fiktion.
Wie lange arbeiten Sie im Schnitt an einem Thriller?
In der Regel ist es immer in etwa ein Jahr, wenn ich mich in einer Reihe befinde. Wenn ich allerdings eine neue Serie starte, dauert es ein bisschen länger. Ich muss dann erst für mich selbst verstehen, worüber ich schreiben möchte, wie der Rahmen aussehen soll.
Das heißt: Nach "Berger & Blom" ist noch nicht Schluss? Arne Dahl geht nicht mit 60 in Schriftsteller-Rente?
(lacht) Nein! Aber es kann jetzt erst einmal etwas dauern. Ich muss meine Akkus erst wieder aufladen. Energie tanken. Und ich habe auch gewisse Ansprüche: Ich liebe Plots und Geschichten. Aber ich weiß auch, dass gute Hauptfiguren das eigentliche Salz in der Suppe sind. Die Hauptprotagonisten müssen zusammen funktionieren. Sie müssen interessant sein. Das ist das Wichtigste! Ohne starke Hauptpersonen verblasst auch die beste Geschichte. Ich suche daher immer nach Freunden, nach Sympathieträgern, aber mit Ecken und Kanten. Leser wollen sich identifizieren, wollen sozusagen einen Freund in der Story finden. Und Deer ist so eine Sympathieträgerin. Ihr kann der Leser vertrauen. Bei Sam Berger und Molly Blom ist das nicht immer der Fall.
Das macht Deer doch zur perfekten Hauptdarstellerin der neuen Serie! Planen Sie ein Spin-off?
(lacht) Das ist eine großartige Idee! Nein, es wird eine komplett neue Serie sein. Wie viele Bücher sie umfassen wird, weiß ich noch nicht. Aber es könnte durchaus meine letzte Reihe werden. Aber ich sage auch niemals nie! Nichts ist endgültig: Die Figuren meiner Bücher können immer wieder zum Vorschein kommen. Also wer weiß …
Apropos, wer weiß: Warum sind Krimis und Thriller aus dem hohen Norden, seien sie aus Dänemark (Jussi Adler Olsen), Schweden (Arne Dahl, Hakan Nesser, Henning Mankell) oder Finnland (Max Streeck, Arttu Tuominen), gerade hierzulande so beliebt?
Das habe ich mich auch schon gefragt. Was verbindet uns, die Skandinavier und Finnland? Ich denke, es ist diese romantisch-verklärte Stimmung. Die Mentalitäten, voller Sehnsucht. Dazu die politisch-düstere Färbung der Krimis und Thriller. Moralische Grenzfragen. Das alles zusammengenommen ist vielleicht der Erfolgsfaktor der Nordic-Thriller in Deutschland.
Wie sind Sie überhaupt zum Schreiben gekommen?
Als Kind habe ich sehr viel gelesen, aber keine Kinderbücher. Ich habe mir immer Werke aus dem Bücherregal meines Vaters genommen. Das war zwar nicht sehr groß, aber mit Krimis und Thrillern sehr gut bestückt, etwa von Agatha Christie oder Frederick Forsyth. Und irgendwann hatte ich dann das Gefühl: Es wäre doch super, selbst etwas zu schreiben. Mit 12 oder 13 ging es dann los, natürlich noch keine Bücher. Aber so hat alles angefangen. Schreiben ist für mich Freiheit!
Weshalb das Pseudonym, Herr Jan Lennart Arnald?
Das ist eine lange Geschichte. Aber kurz gesagt: Ich habe wie gesagt viel geschrieben, veröffentlichte schon mit 26 mein Debüt. Ich wollte danach zu viel, hatte zu große Ambitionen. Ich setzte mich zu sehr unter Druck. Schreibblockade. Dann entdeckte ich Henning Mankell und dachte mir: Neustart mit neuen Namen. Vielleicht kommt dann der Spaß am Schreiben zurück? Und er kam zurück.
Wird es für Sam Berger zu viel, zieht er sich innerlich zurück, sucht seinen "still point of the turning world"? Haben Sie auch einen solchen Punkt oder Ruhepol?
Ja, den sollte übrigens jeder Mensch haben. Bei Berger sind es seine Zwillinge. Bei mir sind es meine beiden Töchter.
Mit Arne Dahl sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de