"Betreff: Falls ich sterbe" Wenn das Unfassbare eintrifft
12.09.2021, 15:23 Uhr
Nach dem Tod des Partners dreht sich das ganze Leben der Frau um ihr Kind.
(Foto: imago images/MASKOT)
Gesunde Menschen sterben nicht einfach mit Anfang 30. Mit diesem Gefühl liest Carolina eine E-Mail ihres Partners Aksel, der ihr seine Passwörter schickt. Für den Fall, dass er sterben sollte. Fünf Monate später ist Aksel tot.
Am 8. Mai 2014 bekommt Carolina von Aksel eine E-Mail. Betreff: Falls ich sterbe. Ohne Anrede schreibt Aksel seiner Partnerin: "Gut zu wissen, falls ich mal den Löffel abgebe: Mein Computerpasswort ist ivan2014 Eine ausführliche Liste befindet sich im Dokument Falls ich sterbe.rtf Hoffen wir das Beste! LG Aksel". Man weiß schon in diesem Moment, dass das Beste für Carolina und Aksel nicht eintreffen wird.
Im Oktober 2014 ist Aksel tot, liegt an einem Montagmorgen in seinem Bett, seltsam verdreht und krumm, "in vorgekippter Seitenlage, dein Gesicht ins Kissen gedrückt". Carolina Setterwall braucht in ihrem autofiktionalen Buch "Betreff: Falls ich sterbe" gerade einmal 20 Seiten, um mit voller Wucht auszuteilen. Dann ist Aksel tot, und die Buch-Carolina bleibt mit dem gemeinsamen Sohn Ivan zurück. Deshalb also ivan2014 als Passwort, denkt man kurz, bevor sich die Geschichte des Kennenlernens, des Sich-Aneinander-Gewöhnens und schließlich des Abschieds entfaltet.
Aksel hat sich nicht den besten Zeitpunkt für sein Ableben ausgesucht, wenn es den denn überhaupt gibt. Aus einem Liebespaar sind vor wenigen Monaten Eltern geworden, gerade sind sie umgezogen, eine dieser Hauruck-Aktionen, die man manchmal macht, weil man glaubt, es würde etwas verbessern. Die schon seit Monaten vorherrschenden Dauerstreitigkeiten hat das nicht behoben und auch das Baby will noch immer dauernd gestillt werden. Alle sind müde, wie man es nur in den Babyjahren von Kindern ist. Und wenn Aksel nicht gestorben wäre, hätte man diesem Paar vielleicht nicht mehr viele gemeinsame Jahre zugetraut.
Zu langsam oder zu schnell
Während Carolina in diesem neuen Leben, ihrem Leben als Witwe, anzukommen versucht, reist sie durch die fünf Jahre, in denen sie Aksel kannte und liebte. Eine bindungsängstliche Frau, die auf einmal mehr Bindung will, viel mehr als dieser Mensch mit dem schiefen Lächeln. Der erst nach 15 Monaten verliebt ist, und offenbar sehr viel mehr Zeit für sich selbst braucht. Irgendwas stimmt mit "unserem Tempo" nicht, stellt die Erzählerin fest und kann es doch nicht ändern, dass da zwei offenbar in ganz unterschiedlichen Tempi unterwegs sind. Sie, der alles nicht schnell genug gehen kann. Er, dem alles viel zu schnell geht.
In die Trauer mischen sich Schuldgefühle, als hätte irgendwas in diesem gemeinsamen Leben gemacht, dass Aksels Herz aufgehört hat zu schlagen. Und das unangenehme Gefühl, dass es vermutlich schwierig geworden wäre, mit Aksel Vereinbarungen über ein gemeinsames Leben mit Ivan zu treffen. Immer gibt es Arbeit und Sehnsucht nach Stille, auch Carolina zieht es zurück ins Büro. Aber wer soll zurückstecken, wer darf sein Leben leben? Diese Frage war völlig offen, als Aksel nicht mehr aufwachte.
Genauso wie die, wie es nach seinem Tod weitergehen soll. Wie sie sich allein um Ivan kümmern soll, der für immer einen toten Vater haben wird, der noch immer nicht gut schläft und den sie kaum loslassen kann. Carolina kämpft sich durch die Tage, die endlos langen Wochenenden und Urlaubswochen, fühlt sich unfassbar allein und überfordert, zieht um und versucht, "ein besserer Mensch, eine bessere Mutter, eine bessere Freundin und eine bessere Tochter" zu sein. Am Ende der 475 Seiten hat sie sogar versucht, wieder Partnerin zu sein.
Eine Version der Geschichte
Setterwalls Trauerarbeit war es offenbar, dieses Buch zu schreiben. Tagebuchartig alles hineinfließen zu lassen, was an Erinnerungen in ihr aufwallt, jeden Tag Revue passieren zu lassen, mit allem, was an Gedanken und Gefühlen da ist - das Vermissen, die Schuld, die Verzweiflung, das Selbstmitleid, die Wut und die Ohnmacht, die Liebe. In knappen Sätzen, ohne sprachliche Schnörkel. Die tatsächliche Carolina hat nach dem Tod ihres Partners mit Blogeinträgen begonnen, ihre Tage zu beschreiben. Trotzdem betrachtet sie das Buch nun als Geschichte. "Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es meine Version, meine Perspektive von Ereignissen in meinem wirklichen Leben ist, aber es ist immer noch eine Geschichte", sagt die Autorin in einem Interview der American Booksellers Association. Für sie sei es nicht möglich gewesen, die Trauer von der Liebe zu trennen.
Das ist schmerzhaft authentisch und auch gar nicht immer sympathisch. Es ist vielleicht nicht einmal Literatur. Trotzdem ist es schwer, sich dem Sog dieser rohen Trauer und der schonungslosen Selbstbefragung zu entziehen, auch wenn man der echten wie der literarischen Carolina einen Partner mit dem gleichen Tempo wünscht.
Quelle: ntv.de