Kino

"Bist du eigentlich glücklich?" Cannes endlich losgehen: "Toni Erdmann"

Eltern können so peinlich sein. Und so ein mieses Timing haben.

Eltern können so peinlich sein. Und so ein mieses Timing haben.

(Foto: NFP)

"Toni Erdmann" erzählt von Winfried und Ines, Vater und Tochter, die sich im Laufe der Jahre entfremdet haben. Die beiden könnten kaum unterschiedlicher sein: Winfried, dargestellt von Peter Simonischek, ist ein lebenslustiger Musiklehrer, der sein schiefes Spaß-Gebiss immer in seiner Brusttasche parat hat. Die kontrollierte Ines (Sandra Hüller) dagegen, Ende 30, macht als Unternehmensberaterin Karriere und setzt sich in der Männerwelt durch. Als Winfrieds Hund stirbt, besucht er Ines kurzentschlossen bei ihrem aktuellen Projekt in Rumänien. Es kommt zum Eklat, Winfried reist ab und kommt als "Toni Erdmann" verkleidet wieder zurück - sehr zum Leidwesen seiner Tochter. Im Interview erzählt Regisseurin Maren Ade, was sie zu ihrem dritten Spielfilm gebracht hat. Bei der ersten Vorführung des Films gab es spontanen Szenenapplaus, die internationalen Kritiker sind begeistert. "Ich arbeite wahnsinnig lange an so einem Projekt", so die 39-Jährige. An "Toni Erdmann" habe sie viereinhalb Jahre gearbeitet, fast jeden Tag. Hat sich ja aber auch gelohnt. PS: Marion Ade sitzt ab sofort in der neu zusammengesetzten Oscar-Academy, die nach den Protesten #Oscarssowhite mit neuen Mitgliedern bestückt wurde, darunter mehr Farbige, Frauen und weitere "Minderheiten", um es so deutlich zu sagen. 

n-tv.de: Sie haben wahrscheinlich einen ganz schönen Marathon hingelegt, seit Sie aus Cannes wieder da sind, oder?

Maren Ade: Ja, doch, kann man sagen (lacht). Aber in Cannes selbst war es krasser, ich kam mir vor wie in einem schrägen Film.

Wir haben damit gerechnet, dass Sie in Cannes einen Preis bekommen ...

Simonischek, Ade und Hüller in Cannes.

Simonischek, Ade und Hüller in Cannes.

(Foto: dpa)

Ja, ich habe gehört, dass ich oder die Schauspieler theoretisch bereits auf einigen Zeitungscovern waren, dann aber eilig wieder runtergenommen wurden, als klar war, dass wir doch nicht gewonnen haben (lacht).

Wie haben Sie das denn weggesteckt?

Ach, ich bin eher misstrauisch veranlagt und hab' damit gar nicht gerechnet. Und ich habe mich über so vieles gewundert, aber so schön gewundert. Wir waren da alle so zufrieden und glücklich. Und alles kam anders als erwartet. Ich hab' mich nicht geärgert, ehrlich nicht. Und so eine Jury, also wirklich, das weiß man doch nie, was da am Ende rauskommt. Das habe ich schon oft von außen beobachtet, dass die Filme mit dem größten Hype nicht zwangläufig die Filme sind, die einen Preis bekommen. Eine Jury ist ja auch wirklich zu Recht und zum Glück unabhängig.

Drei bis fünf Minuten Standing Ovations - ist das nicht wie ein Hauptpreis? Oder wie ein Rausch?

(lacht) Ich war eher perplex. Mir sind auf einmal total viele Kleinigkeiten aufgefallen. Ich fand' das Schlusslied zu leise - dabei war es nur so laut, weil alle geklatscht haben.

Sandra Hüller und Peter Simonischek - wie sind Sie auf die beiden großartigen Schauspieler gekommen?

Ganz klassisch: Ich hab' die zum Casting eingeladen. Das war richtig ausführlich - und ehrlich, ich wäre auf die Konstellation nicht gekommen. Aber während des Castings kommt man sich ja näher, man probiert ganz viel aus, und gerade Vater und Tochter blind zu besetzen, das geht gar nicht. Aber die beiden waren perfekt, das wurde uns gleich klar.

Schafft man es eigentlich jemals, erwachsen zu sein in der Gegenwart seiner Eltern? Die beiden Hauptdarsteller fallen ja auch in ihre alten Vater-Tochter-Muster zurück.

Vielleicht wenn man selbst Kinder hat?

Ja, aber dann auch nur, wenn die Kinder dabei sind, oder?

Ja, das stimmt schon. Diese festen Rollen verändern sich ganz schwer.

Schrei dich frei!

Schrei dich frei!

(Foto: dpa)

Geben Sie in "Toni Erdmann" eigentlich viel von sich preis?

Ja, schon, aber das ist nichts Autobiografisches. Klar kennt man die Situationen, oder hat von anderen darüber gehört, aber das muss man ja nicht zwangsläufig alles selbst erlebt haben, um eine Geschichte erzählen zu können. Ich wollte eine gewisse Offenheit zeigen, so, dass sich jeder wieder finden kann. So, dass jeder seinen eigenen Film sieht. Für jeden spiegeln sich da hoffentlich eigene Erlebnisse wider.

Bei mir hat das funktioniert - hätte aus meinem Tagebuch sein können, als der Vater zu der Tochter sagt: "Ich habe mir jemanden als Ersatztochter engagiert." Und sie dann, pampig, antwortet: "Ist doch gut, dann ruft die dich auch zum Geburtstag an."

Naja, man kann vieles in seinem Leben ändern, die Eltern nicht. Und die Kinder eigentlich auch nicht. Das hat mich als Thema schon immer interessiert. Das ist was Statisches, und dennoch verändert sich das Gefüge ständig. Die Frage, was wäre, wenn man sich als Eltern und Kinder nochmal als Fremde begegnen könnte? Manchmal sind Eltern einem ja peinlich, Eltern sind so privat. Warum eigentlich? Von außen betrachtet sieht das doch oft ganz anders aus. Andere finden fremde Eltern ja meist lieb, nachzuvollziehen, süß. Aber für die Ines ist es im Film natürlich besonders prekär: Sie spielt eine Rolle auf der Arbeit, sie möchte dabei nicht beobachtet werden von ihrem Vater, und sie möchte nicht entblößt werden.

Man möchte von seinem Vater vor allem nicht als Sekretärin Miss Schnuck vorgestellt werden ...

Hello, I'm Toni, Toni Erdmann ...

Hello, I'm Toni, Toni Erdmann ...

(Foto: dpa)

(lacht) Nein, das möchte man nicht! Vor allem, wenn man gerade versucht, auf der Leiter einer Unternehmensberatung nach oben zu klettern. Dann möchte man von seinem Alt-68er-Vater nicht vorgeführt werden, selbst wenn er es noch so gut meint und die Tochter eigentlich nur glücklich sehen will.

Er fragt sie das ja ...

... und sie weiß kaum, was sie darauf antworten soll.

Die Sandra Hüller spielt das fantastisch, dieses Einsame, dieses Abstrampeln, dieses Wollen, dieses Am-Handy-hängen und trotzdem so einsam und verletzlich sein.

Beide sind natürlich extrem gute Schauspieler, denen wurde bei dem Dreh wirklich eine Menge abverlangt. Das Spiel von Simonischek, dessen Film-Tochter so anders geworden ist als er wollte, ist auch so fein, so nuanciert. Trotz der falschen Zähne (lacht).

Was haben Ihre Eltern zu Ihrer Berufswahl gesagt?

Die fanden das gut. Ich hatte Glück, schon als Teenager wollte ich filmen. Meine Eltern sind mit mir ins Kino gegangen. Die haben mich unterstützt.

Wie ist es denn inzwischen für Frauen hinter der Kamera, immer noch schwieriger?

Ich denke, es ist wie im Journalismus: Vielleicht komplizierter, vielleicht braucht man eine Quote, aber machbar (lacht). Aber ich habe einen Sonderfall: ich arbeite mit meiner eigenen Firma. Es gibt eine Bewegung, dass die Arbeit an die Bedürfnisse der Menschen, nicht nur der Frauen, angepasst wird. Ich arbeite gerne und eher unbewusst oft mit Frauen zusammen, vielleicht, weil ich denen einfach näher bin. Aber das ist keine Absicht, oder Gesetz. Und eine Frauenrolle kann ich mir besser vorstellen. Grundsätzlich gibt es aber viel zu wenige Regisseurinnen.

Sie können die Arbeit mit der Familie vereinbaren?

Ja, das klappt ganz gut, aber das ist nicht die Regel, ich weiß. Und ständig ist man gehetzt oder hat ein schlechtes Gewissen. Und - ganz wichtig - man muss Glück haben mit seiner privaten Infrastruktur.

Sieger der Herzen: Die Crew von "Toni Erdmann".

Sieger der Herzen: Die Crew von "Toni Erdmann".

(Foto: AP)

Die Unternehmensberater kommen in letzter Zeit ja eher schlecht weg im deutschen Film, oder?

Kommen die nicht schon immer schlecht weg (lacht)?

Konnten Sie sich denn gut in diese Welt hineinversetzen?

Naja, das reizt mich natürlich, mich in einem Film einer Welt zu nähern, die ich nicht so gut kenne. Sonst fischt man ja nur in seinen eigenen Gewässern. Ines' Job und ihre Welt ist mir fremd und ich habe viel recherchiert. Aber Unternehmensberatung fand ich interessant, weil man da eine ständige Performance hinlegen muss. Und während er, der Vater, seine Rolle immer weiter aufbaut, lässt sie immer mehr nach. Und ich habe viele Leute kennengelernt, die einfach sehr offen sind, immer wieder neugierig an Dinge herangehen, viel reisen müssen ... Je näher man einer Person, oder ein Organisation, oder einem Feindbild kommt, desto mehr fallen auch die Vorurteile, die man sich so schön aufgebaut hatte (lacht).

Wann sind Sie glücklich?

Das sind so Momente: Tage, an denen ich alles gut unter einen Hut bringen konnte. So könnte es dann idealerweise bleiben.

Mit Maren Ade sprach Sabine Oelmann

"Toni Erdmann" kommt am 14. Juli 2016 in die deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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