Perfekte Krimi-Hommage"Die Einladung": Ablehnen ist keine Option!
Thomas Badtke
Ein abgelegenes uraltes Herrenhaus. Ein Schneesturm. Eine Party mit illustren Gästen. Dann ein Mord. Die Gastgeberin ist tot und der Rest der Party-People eingeschlossen, ohne Strom und abgeschnitten von der Außenwelt. Für Mimmy und ihre Enkelin Addie sind sofort drei Dinge sonnenklar.
Ein uraltes Herrenhaus. Mit Zugbrücke und geheimem Landungssteg. 47 Zimmer, dunkle Kellergewölbe, ein Observatorium. Dazu zahllose Geheimgänge, verwinkelte Flure und eine "Flüsterkneipe", denn das "Haus" diente in Zeiten der Prohibition als Treffpunkt für Halbseidene, Trinker und für diverse Partys. Und genau dort plant die in die Jahre gekommene Jane, äußerlich auf jung getrimmt und mit dem Ex-Freund ihrer Tochter liiert, ein Fest. Eine Party im Stil der 1920er Jahre. Die geladenen Gäste sind handverlesen. Das hat einen Grund.
Zu den Gästen zählt auch Rosemary McLaine, 76 Jahre. Fast schon eine Nachbarin Janes, bewohnen sie doch die gleiche kleine Insel, gelegen vor der US-Küste. Im Sommer und Herbst ein Touristenmagnet gehört sie im Winter den wenigen Einheimischen. Rosemary bewohnt seit dem Tod ihres Mannes allein ein süßes Cottage, liebt ihre Pflanzen, ihre Kreuzworträtsel und die Ruhe. Doch als die Einladung zu Janes Party in ihrem Haus landet, ist es damit vorbei. Der Grund: Ein Nichterscheinen wird nicht toleriert. Bleibt Rosemary der Party fern, wird ihr dunkelstes Geheimnis der breiten Öffentlichkeit präsentiert.
Rosemary ist zwar außer sich - aber zur Party muss sie. Um wenigstens ein bisschen Spaß dort zu haben, holt sie kurzerhand ihre Enkelin Addie mit ins Boot. Die arbeitet eigentlich als Videospieleentwicklerin, war glücklich verbandelt, doch der überwältigende Erfolg eines ihrer Spiele lässt die zarte Liebe platzen wie eine Seifenblase: Ihr Freund will die Lorbeeren und das große Geld für sich allein haben. Microsoft ist an der Firma interessiert.
Eine illustre Gesellschaft
Ein guter Zeitpunkt für Ablenkung und so landen Oma und Enkelin auf der Party. Es schneit, ein Sturm ist angekündigt. Die Zugbrücke wird hochgezogen, das Herrenhaus bald darauf von der Außenwelt abgeschnitten. Neben Rosemary, Addie, Jane und deren "Liebhaber" Matthew befinden sich ein paar weitere Gäste in dem Gemäuer: Jim, Besitzer eines Printshops; Lilian, eine Blondine im blauen Kleid; Sebastian, Moderator von Gameshows; Veronique, berühmte Parfümeurin; Woody, Pianist; Kimiko, erfolgreiche Manga-Autorin. Dazu gesellen sich noch Gus, Matthews Bruder und Koch in Janes Haus, sowie die Haushälterin Barb. Let's get the party started!
Die ersten Gläser sind noch nicht richtig geleert, die ersten Klänge Woodys am Klavier noch nicht richtig verhallt, da gibt es auch schon die erste Tote: Jane, die Hausherrin und Party-Hostess. Aber keiner der Gäste scheint der Dahingeschiedenen auch nur eine Träne nachzuweinen. Das macht Rosemary stutzig. Ist sie vielleicht nicht die Einzige, die zur Teilnahme erpresst wurde? Mit Addie will sie der Sache auf den Grund gehen, schließlich besitzt diese ein schier enzyklopädisches Krimiwissen. Und überhaupt: Draußen tobt ein Schneesturm, weg kommt man eh nicht. Wieso also die Zeit nicht für ein bisschen Detektivarbeit nutzen? Und Addie sagt: "Die ersten 24 Stunden nach einem Mord sind immer die wichtigsten!"
Rosemary und Addie sind sofort drei Dinge klar: Zum einen ist nicht Jane die Strippenzieherin dieser Party. Zum zweiten ist der Mörder unter ihnen, entweder als Gast oder Angestellter. Und drittens müssen sie herausfinden, weshalb sie wirklich auf der Party gelandet sind. Die Zeit drängt zudem, denn kurz darauf ist auch Matthew mausetot, er liegt mit einer Kopfwunde im Weinkeller. Zwei Morde in knapp zwei Stunden. Wer wird der Nächste sein? Auf wen hat es der Mörder oder die Mörderin nun abgesehen?
Die perfekte Hommage
Wer die Lösung dieses kriminalistischen Rätsels in bester Agatha-Christie-Manier finden will, muss "Die Einladung" von Holly Mullens annehmen. Keine Angst: Sie werden es freiwillig tun! Das bei Rowohlt und Argon erschienene Werk macht einfach zu viel Spaß, um es nach dem Beginn wieder aus der Hand zu legen oder abzuschalten. Klar ist die Idee hinter dem Plot nicht neu. Aber das Ambiente für dieses mörderische Kammerspiel, die Protagonisten sind es, der schwarze Humor, die pointierten Dialoge, die Mullens Geschichte zu etwas Besonderem machen.
Man fiebert mit. Man rätselt mit. Man führt im Kopf Buch, fertigt eigene Listen an, was für jede Person oder besser gegen sie spricht. Wer könnte hinter all dem stecken? Und: Warum? Man ist Teil dieser eingeschlossenen Gemeinschaft, sieht sich selbst durch die dunklen Geheimgänge des Hauses wandeln, versteckte Räume entdecken, Spuren finden, vielleicht ja sogar den Faden, der einen am Ende zur Mutter aller Lösungen führen wird.
Geführt wird man neben dem Plot auch von der Stimme Astrid Kohrs. Sie ist die kongeniale Mitermittlerin, pflanzt die Ideen und Gedanken von Rosemary und Addie in die Köpfe der Hörenden. Schmeichelnd. Ironisch. Verzückend. Kohrs und "Die Einladung" - das passt. Perfect match, sozusagen. Bei einer möglichen Verfilmung (und die sollte es unbedingt geben!) sollte Kohrs auf alle Fälle involviert sein. Das letzte Wort hat dann Krimi-Kennerin Addie: "Poirot hat es schon sehr gut ausgedrückt: Jeder Mörder ist vermutlich irgendjemandes alter Freund." Na, nehmen Sie Mullens "Einladung" an?
