Neues Album "nur liebe, immer." Casper schwimmt sich frei vom eigenen Pathos
24.11.2023, 15:52 Uhr Artikel anhören
Hat "aus Versehen" ein gutes Album gemacht: Casper.
(Foto: Björn Hoffmann / Warner Music)
Mit "nur liebe, immer." veröffentlicht Casper das ungewöhnlichste Album seiner Laufbahn. Nach mehreren Platten mit einheitlicher Sound- und Bildsprache ist das neueste Werk eher eine musikalische Fingerübung. Und das ist gut so.
Schon das Veröffentlichungsdatum überrascht. Lagen zwischen Caspers Alben in der Vergangenheit immer vier Jahre, erscheint mit "nur liebe, immer." ungewöhnlich früh der Nachfolger von "Alles war schön und nichts tat weh." Noch während er mit besagter Platte im Sommer 2023 über die größten deutschen Festivalbühnen tourt, wird bereits die erste neue Single "Emma" veröffentlicht. Es ist der Vorbote eines Projekts, in der Casper die prägendste Konstante seiner Karriere hinter sich lassen kann: den Perfektionismus.
Vor dem Release seines endgültigen Durchbruchs "XOXO" im Jahr 2011 hat er bereits ein anderes Album mehr als zur Hälfte fertig. Doch Casper verwirft das Projekt, unter anderem habe es ihm zu sehr nach US-Rapper Drake geklungen. Nur der Song "230409" erblickt später das Licht der Welt. Während der Produktion von "XOXO" hängen er und sein Team Regeln im Studio auf, nach denen die Songs entstehen sollen. Für den Nachfolger "Hinterland" denkt er dann auch noch die Live-Auftritte mit. Alles soll groß und wuchtig klingen. In einem Interview mit "thegap.at" erklärt er, nachdem das Album fertig ist: "Ich foltere mich immer unter Schwanengesängen durch die Plattenproduktion, weil ich da eigentlich keinen Bock drauf habe."
Neuanfang? Mitnichten
Während Caspers eigener Anspruch ihm ein steter Begleiter ist, ändert sich der Sound von Album zu Album. Fast wie ein Freizeitpark, in dem alle paar Jahre eine neue Themenwelt öffnet. Das 2022 veröffentlichte "Alles war schön und nichts tat weh" wirkt dann wie ein Fazit seiner bisherigen Diskographie. Ist "nur liebe, immer." also ein Neuanfang?
(Foto: picture alliance / HMB Media/ Markus Koeller)
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Nein. "nur liebe, immer." ist eine musikalische Fingerübung und macht genau deswegen so viel Spaß. Der zehnte Track auf dem Album heißt "luft holen", doch so wirkt die ganze Platte. Bar jeden größeren Konzepts hält Casper kurz inne und genießt das Privileg, für einen Moment das machen zu können, worauf er Lust hat. Wie sich das fürs Innehalten gehört, wird es auf Tracks wie "immer noch nervös" oder "verliebt in der Stadt die es nicht gibt" nostalgisch.
Der Sound des Albums hingegen trifft den Zeitgeist, am offensichtlichsten auf "wimpernschlag" und "falsche zeit, falscher ort". Alles andere als zufällig, hat doch mit Nilly maßgeblich ein Produzent am Album gearbeitet, der sonst den Klangteppich für die Berliner New Wave um Ski Aggu und Sampagne knüpft. Einziger Feature-Künstler der Platte ist Cro auf dem Track "sommer". Beide singen von ihrer Sehnsucht nach selbigem, womit mal die Jahreszeit, mal einfach nur ein Gefühl von Leichtigkeit gemeint ist. Und spricht Casper in dem Song zwar auch über dunkle Gedanken ("Im Kopf ist Gewitter"), kommt der Beat beschwingt und sommerhit-artig daher.
Zwischen M83 und Paula Hartmann
Die musikalische Begleitung wird nur einmal richtig düster. "sowas von da (hellwach)" klingt, wie ein Stranger-Things-Plakat aussieht. Begleitet von nicht enden wollenden Flächen aus Synth-Gewaber spricht Casper über Panikattacken und (erfolglose) Besuche beim Arzt. Im experimentellsten Stück des Albums gibt es Anleihen der französischen Dreampop-Band M83, im Refrain wird beinahe komplett auf Drums verzichtet, Caspers Gesang hatte noch nie so viel Platz.
Gesungen wird in den zehn Songs (plus Intro und Outro) ohnehin sehr viel. Auf dem bereits angesprochenen "emma" sogar ausschließlich. Und obwohl "nur liebe, immer." Caspers vielseitigstes Werk ist, mag "emma" einfach nicht ganz hineinpassen.
Das liegt mitnichten am Gesang, vielmehr fällt der Song thematisch durchs Raster. Das Lied handelt von den Drogenerfahrungen eines jungen Mädchens und bleibt in den drei Minuten stets sehr vage und ungefähr. Das imposant komponierte Finale lässt den Hörer ratlos zurück, die Figur des etwas verschrobenen Mädchens wirkt zu keiner Zeit greifbar. Die Stimmung erinnert an Songs von Paula Hartmann, die drogendurchsetzte Nächte aber deutlich nahbarer erzählt.
Wie ein Kind im Spielwarenladen
Im Podcast "Oh, Schuhen!" sagt Casper über sein neuestes Werk, es sei "komplett aus Versehen passiert" und "vielleicht hätte man es früher Mixtape genannt". Das hört man dem Album an, im bestmöglichen Sinne. Wie ein Kind im Spielwarenladen springt Casper auf "nur liebe, immer." mit leuchtenden Augen von einer Idee zur nächsten.
Davon zeugen kleine Spielereien wie die Erwähnung von drei Drake-Alben in drei Zeilen auf "sommer", aber auch der raptechnisch hochkomplexe Einstieg ins Album "echt von unten / zoé freestyle". Alles vorgetragen mit einer Leichtigkeit, die Casper zuletzt auf "1982" ausstrahlte, dem gemeinsamen Album mit Marteria. "nur liebe, immer." ist keine neue Themenwelt im Casper-Freizeitpark, dafür aber ein kurzweiliger und unterhaltsamer Jahrmarktbesuch.
Quelle: ntv.de
