Musik

"Paris war der Horror" Deftones – Zwischen Himmel und Hölle

Die Deftones auf dem "South by Southwest"-Festival in Texas, am 17. März 2016.

Die Deftones auf dem "South by Southwest"-Festival in Texas, am 17. März 2016.

(Foto: imago/Future Image)

November 2015: Kurz nachdem die Deftones ihr Album "Gore" im Kasten haben, freuen sie sich auf das ausverkaufte Konzert im Pariser Club Bataclan. Doch daraus wird nichts. 24 Stunden vor der Show richten Terroristen dort ein Blutbad an. Sänger Moreno erinnert sich.

Die Deftones sind eine Band, die man zwar in der gängigen Radiolandschaft so gut wie gar nicht wahrnimmt, die aber dennoch Millionen Menschen aus aller Welt an einen Tisch bringt. Manch einer redet gar von der vermeintlich größten Konsensband der Neuzeit. Wenn die Mannen um Frontmann Chi Moreno etwas Neues an den Start bringen, spitzen selbst genrefremde Musikliebhaber die Ohren. Der bandeigene Mix aus mystischer Wave-Tiefe und brachialem Alternative bezirzt die Massen nun schon seit fast 30 Jahren. Im Deftones-Universum müsste demnach eitel Sonnenschein herrschen, zumal die Band dieser Tage ihr langersehntes achtes Studioalbum "Gore" an den Start bringt. Dem ist aber nicht so; zumindest nicht durchgehend. Vor allem in der jüngeren Vergangenheit musste die Band so manch tiefes Tal durchschreiten. Dabei ging es um nicht weniger als um die Konfrontation mit Gefühlen wie Trauer, Angst und Ohnmacht. So musste die Band im April 2013 den tragischen Tod ihres langjährigen Bassisten Chi Cheng verarbeiten. Zweieinhalb Jahre später dann der nächste Schock: ein Tag vor ihrem geplanten Konzert im Pariser Bataclan-Club hinterlassen Terroristen in der beliebten Location ein Meer aus Blut und Tränen. Um ein Haar wären auch Mitglieder der Deftones den Gräueltaten zum Opfer gefallen. Wenige Wochen danach verabreden wir uns mit Sänger Chino Moreno in Berlin zum Gespräch. Wir treffen auf einen Mann, der noch komplett im Verarbeitungsprozess steckt.

Chino Moreno freut sich über die Ablenkung, die die Veröffentlichung des neuen Albums bringt.

Chino Moreno freut sich über die Ablenkung, die die Veröffentlichung des neuen Albums bringt.

(Foto: imago/ZUMA Press)

n-tv.de: Chino, Anfang April erscheint euer neues Album "Gore". Mal Hand aufs Herz und vor allem im Vergleich zu euren bisherigen Veröffentlichungen: Wie groß ist die Vorfreude?

Chino Moreno: Riesengroß. In Anbetracht der Umstände bin ich sogar froh, dass sich die Produktion diesmal etwas in die Länge gezogen hat. So fällt die Vorfreude auf den Erscheinungstag in eine Phase, in der ich mir keine bessere Ablenkung vorstellen könnte.

Bevor wir uns den jüngsten Ereignissen zuwenden: Was war eigentlich der Grund für die Verzögerung?

Es gab zwei "Baustellen". Zum einen haben wir für dieses Album unseren Songwritingprozess geändert. Bisher haben wir uns immer einen Zeitrahmen gesetzt, in der alles fertiggestellt werden sollte. Diesmal sind wir entspannter an die Sache rangegangen. Jeder von uns sollte sich seine Gedanken zum Album machen. Das aber ohne Zeitdruck. Wir wollten so mehr Raum für Kreativität schaffen. Das klappte auch alles wunderbar. Aber es dauerte halt etwas länger. Hinzu kam, dass wir kleinere Probleme beim Mixen hatten. Das hat noch zusätzlich Zeit gekostet.

Aber der ganze Aufwand hat sich gelohnt.

Findest du?

Definitiv! Du nicht?

Doch, doch. (lacht) Ich bin sehr glücklich mit dem Album. Es ist sehr intensiv geworden. Ich denke, unsere Fans werden nicht enttäuscht sein. Und ich mache mir auch keine Sorgen wegen der Verzögerung. Unsere Fans sind sehr geduldig. Sie wissen genau, dass wir nichts veröffentlichen würden, das nicht unseren Ansprüchen genügt. Manchmal dauern die Dinge eben etwas länger. Aber wir sind mittlerweile in der glücklichen Lage, uns Zeit lassen zu können, bis alles perfekt sitzt. Und jetzt sitzt alles perfekt: das schöne Cover, der Mix, einfach alles.

Das perfekte Paket, um wieder etwas Licht ins Dunkle zu bringen, oder?

Absolut. Wie schon gesagt: Ich bin sehr dankbar, dass ich in diesen Tagen über das Album sprechen kann.

Das kann ich gut verstehen. Darf ich die Uhr dennoch ein bisschen zurückdrehen?

Sicher.

Paris, 13. November 2015: Du warst nicht nur in der Stadt, als die Terror-Angriffe losbrachen. Um ein Haar wärst du sogar selbst ins Fadenkreuz der Terroristen geraten.

Der Club Bataclan erlangte durch die Anschläge im November 2015 traurige Berühmtheit.

Der Club Bataclan erlangte durch die Anschläge im November 2015 traurige Berühmtheit.

(Foto: AP)

Ja, Paris war der Horror. Wir sollten einen Tag später im Bataclan auftreten. Ich war an jenem Abend mit meiner Frau und meiner Tochter im Hotel. Wir hatten überlegt, auch zur Show der Eagles (Eagles Of Death Metal) zu gehen. Wir kennen die Jungs ziemlich gut. Und ich liebe ihre Musik. Wir haben uns dann aber zum Glück umentschieden.

Warum?

Meine Tochter war das erste Mal in Europa. Sie war total happy und aufgeregt. Sie war vorher auch noch nie auf einem Konzert. Dieses Häkchen wollten wir aber an jenem Wochenende machen. Es gab also zwei Möglichkeiten: entweder das Konzert der Eagles oder aber die Deftones einen Tag später. Wir haben uns dann für die Papa-Variante entschieden.

Unvorstellbar.

Ja, es ist mit Worten nicht zu beschreiben. Ich meine, wir hatten wirklich Glück. Viele Kids mussten ihr Leben lassen. Und das an einem Ort, der eigentlich für das komplette Gegenteil steht: das Leben. Die Leute wollten einfach nur eine gute Zeit haben. Es ist eine Tragödie, die ich erst noch verarbeiten muss.

Euer Gitarrist Stephen (Stephen Carpenter) war vor Ort. Glücklicherweise aber nicht allzu lange.

Stephen ist ein paar Minuten vor der Attacke wieder gegangen. Ich kann mich nur wiederholen: Wir hatten alle – die gesamte Band – unheimliches Glück. Wäre Stephen noch länger geblieben … Ich will gar nicht darüber nachdenken. Die anderen Jungs waren zu dem Zeitpunkt auch alle unterwegs in der Stadt. Als wir uns trafen, hatte jeder von ihnen Tränen in den Augen. Da waren nur noch Ohnmacht und Angst. Und der Wunsch, so schnell wie nur irgendwie möglich wieder nach Hause zu kommen.

Du sprachst eben den Verarbeitungsprozess an. Wer oder was hilft dir dabei?

In erster Linie natürlich meine Familie und mein Umfeld. Ich meine, viele Leute da draußen haben nur ein eindimensionales Bild von mir. Sie nehmen mich nur als den energiegeladenen Frontmann wahr. Ich bin privat aber ganz anders. Ich brauche Menschen um mich herum, denen ich vertrauen kann. Ich habe eine sehr emotionale und sensible Seite. Und wenn einem dann so etwas widerfährt, dann ist man froh, wenn man irgendwie halbwegs aufgefangen wird. Meine Familie und meine Freunde sind in solchen Momenten wichtiger denn je. Das war auch schon während der Zeit so, als Chi von uns gegangen ist. Ohne mein Umfeld wäre ich wahrscheinlich verrückt geworden. Und dann ist da natürlich auch noch die Musik. Sie gibt mir ebenfalls viel Kraft.

Hilft es dir auch geholfen, in der Öffentlichkeit darüber zu reden?

Ja, irgendwie schon. Es fühlt sich allerdings auch komisch an. Ich merke es gerade wieder. Eigentlich habe ich noch nicht viel darüber erzählt. Die meisten deiner Kollegen wollen dann doch mehr über das neue Album sprechen. Aber es tut mir gut. Es kommt natürlich auch darauf an, wie und was man fragt. Aber wenn, wie hier und jetzt, eine Gesprächsebene entsteht, die nicht nur aus voyeuristischen Gründen aufgebaut wird, dann hat das auch schon etwas Heilendes.

Einige Künstler haben nach den Ereignissen bewusst die Live-Fahne hoch gehalten. Ihr hingegen habt danach den Rest eurer Tour abgesagt. Gab es dahingehend Diskussionen innerhalb der Band?

Nein, gar nicht. Wir waren alle ganz klar. Es ging einfach nicht. Ich habe auch noch keine Ahnung, wie es weitergeht. Sicher, die nächsten Shows werden kommen. Aber ich habe keinen Schimmer, mit was für einem Gefühl ich dann die Bühne betreten werde. Der Gedanke daran macht mir schon ein bisschen Angst.

Würdest du das Geschehene lieber verdrängen?

Nein. Die Angst ist wichtig. Ich kämpfe lieber mit echten Gefühlen als mir im Inneren eine Schutzwand zu aufzubauen.

Hab Dank für deine offenen Worte.

Ich habe zu danken.

Das Interview führte Kai Butterweck

Das Album "Gore" der Deftones erscheint am 8. April 2016 - bei Amazon bestellen oder bei iTunes runterladen

Quelle: ntv.de

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