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Alf Ator von Knorkator "Glück ist nur ein chemischer Zustand im Gehirn"

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Knorkator mit Songwriter Alf Ator (unten links) und Frontmann Stumpen (unten rechts).

Knorkator mit Songwriter Alf Ator (unten links) und Frontmann Stumpen (unten rechts).

(Foto: Tino Pohlmann / Heynstudios)

Seit Mitte der 1990er-Jahre treiben Knorkator aus Berlin als "Deutschlands meiste Band der Welt" ihr musikalisches (Un-)Wesen. Seither haben sie elf Alben veröffentlicht und mehr als 2000 Konzerte gespielt. Zudem waren sie auf sämtlichen großen Festivals - von Bizarre bis Wacken - zu Gast.

Anlässlich ihres 30. Bandjubiläums gehen Stumpen, Alf Artor und Co. nun mit einem weiteren Longplayer ins Rennen. Auf "Weltherrschaft für alle!" gibt es neben dem üblichen Blödsinn auch wieder durchaus tiefgründigere Gedanken. Im Interview mit ntv.de spricht Songwriter Alf Artor über die Krux des Älterwerdens, seine Qualitäten als Band-Diktator und fantastische Pläne für die anstehende Tour.

ntv.de: Euer neues Album trägt den Titel "Weltherrschaft für alle!". Das klingt nach einem gewaltigen Anspruch - oder auch nach einer eher schlechten Idee. Wie ist das gemeint?

Alf Ator: Ganz ehrlich: Der Spaß besteht darin, dass das Ganze völlig paradox ist. "Weltherrschaft für alle" geht ja gar nicht - man müsste ja über jeden anderen herrschen, während gleichzeitig jeder dieselbe Herrschaft über alle hätte. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Es ist im Grunde ein leerer Begriff, der einfach nur cool klingt.

Leere Worthülsen kennt man von euch sonst eher nicht.

Doch, doch. Wir haben schon einige Songs geschrieben, die einfach nur schön klingen sollten, aber inhaltlich keine Bedeutung haben.

Das Album erscheint pünktlich zum 30. Bandjubiläum. Macht so ein Jahrestag etwas mit euch - auch mit dem Blick aufs Älterwerden?

Da gibt es zwei Tendenzen. Die eine: Wir fragen uns schon, wie lange wir das noch machen können. Die andere: Unser Leben ist seit 30 Jahren so sehr auf die Band ausgerichtet, dass der Gedanke "Letzte Tour - und dann?" völlig absurd wirkt. Es gibt eigentlich nichts danach. Und da keiner von uns wirklich vorsorgt, bleibt uns am Ende wohl nichts anderes übrig, als am Tropf oder im Rollstuhl auf die Bühne zu kommen.

Viele machen sich Sorgen um die Rente, selbst wenn sie eingezahlt haben.

Stimmt. Das System ist ja eigentlich so gedacht, dass es sich ausgleicht. Wer früh stirbt, bekommt nichts - ärgert sich dann aber auch nicht mehr. Tragisch wird's nur, wenn man noch lange als Pflegefall lebt.

Ihr habt auch ältere Songs neu aufgenommen. Wie kam die Auswahl zustande?

Den Drang hatte ich schon lange. Ein Beispiel: "Jugendliche". Textlich beliebt - sogar auf T-Shirts und bei Lehrern im Klassenraum - aber musikalisch nie zu Ende gedacht. Live hat er nicht funktioniert. Erst als ich ihn schneller machte und im Refrain den Rhythmus marschieren ließ, funktionierte er richtig. Also war klar: So muss er noch einmal erscheinen. Ein anderes Beispiel: Wir haben live irgendwann eine Halbzeit-Version von "Böse" gespielt, die viel besser ankam. Aber im Netz steht nur die alte Version - zumal neue Hörer nicht unbedingt zu Konzerten gehen. Deshalb war es mir wichtig, die Live-Stärke auf Platte einzufangen.

Es ging also darum, älteres Material aufzuwerten?

Genau, die "Stiefkinder", die vorher nicht richtig funktioniert haben. Aus Versehen habe ich mit einer offenen Frage an die Band so etwas wie Demokratie ausgelöst. Die Kollegen dachten, sie dürften mitreden - und plötzlich standen auch Songs wie "Hardcore" oder "Liebeslied" auf der Liste, die ich gar nicht wollte. (lacht) Aber am Ende war das okay. "Hardcore" bekam zum Beispiel ein ausladendes Ende, das live schon immer besser war. "Liebeslied" war bislang nur als Single erschienen - also gehört es eigentlich auf ein Album.

Also bist du eigentlich doch ein bisschen Diktator und hast dich nur widerwillig den Wünschen der Band gebeugt?

Eigentlich nicht. Ich genieße das Vertrauen der Band, würde aber bei einer Meuterei sofort meine Macht verlieren.

Heute sieht man sehr genau in den Streamingzahlen, was funktioniert. Beeindruckt dich das, wenn es darum geht, neue Songs zu schreiben?

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Ich versuche, es auszublenden. Aber natürlich bleibt es nicht ohne Einfluss. Mich ärgert, dass Künstler bei Streamingdiensten so wenig verdienen. Hätten ein paar ganz Große früh den Mut gehabt, Spotify zu boykottieren, würde es anders aussehen. Stattdessen rennen alle hinterher - jetzt sitzen wir in der Falle.

Dazu kommt KI-Musik, die inzwischen millionenfach geklickt wird. Hast du selbst schon ausprobiert, Texte damit zu schreiben?

(lacht) Alles, was ich jetzt sage, kann gegen mich verwendet werden! Nein: Momentan kann KI einem Massenhit-Produzenten gefährlich werden - weil sie das berechenbare Mittelmaß perfekt liefert. Aber echte, originelle Gedanken, die man unter Schmerzen gebiert, schafft sie noch nicht. Das mag sich ändern - und dann klage auch ich.

Früher sagtest du, Politik sei zu schnelllebig für Songs, auf dem neuen Album tauchen aber doch wieder auch sozialkritische Themen auf. Warum?

Weil Politik heute viel stärker ins Leben jedes Einzelnen eindringt. Früher saßen da ein paar Leute im Fernsehen und diskutierten. Heute verändert jede Entscheidung unmittelbar unseren Alltag. Und wenn wir über das schreiben, was uns bewegt, gehört das jetzt dazu. Wir sind keine Weltverbesserer, aber manche Sachen müssen benannt werden.

Wie demokratisch geht es innerhalb der Band bei den Texten zu?

Knorkator auf RTL+ Musik.
knorkator.jpg

(Foto: Tino Pohlmann / Heynstudios)

Hören Sie die Musik von Knorkator auf RTL+ Musik.

Eigentlich schreibe ich Texte und Kompositionen. Aber das Arrangement lebt von den anderen. Mein Schlagzeug ist in den Demos schlicht - unser Drummer gibt dem dann seine Handschrift. Der Bassist optimiert meine manchmal unfassbar spielunfreundlichen Basslinien (lacht). Und Stumpen ist durch seinen Gesang sowieso der prägende Faktor. Er singt, was ich schreibe - dafür hat er bei Layout und Covergestaltung komplett freie Hand. Eine gute Arbeitsteilung: Er behält sein Ego in der Gestaltung, ich meins bei der Musik.

Klingt wie eine lange Ehe.

Ja. Wir haben auch Phasen voller Streit hinter uns. Aber irgendwann macht man Frieden und merkt, bis wohin man gehen kann. Wir wollen alle, dass die Bandatmosphäre stimmt. Und das geht nur mit gegenseitigem Respekt.

Du hast dich selbst als Optimisten bezeichnet. Wie gelingt es dir auf Dauer, optimistisch zu sein?

Solange ich nicht in Ketten liege und mir jemand den Stiefel ins Gesicht setzt, fällt mir Optimismus nicht schwer. Glück ist letztlich nur ein kurzer chemischer Zustand im Gehirn. Es pendelt sich immer wieder auf den Normalwert ein, egal ob man reich ist oder plötzlich einen Pool am Mittelmeer hat. Dann ärgert man sich eben nicht über Armut, sondern über den Poolreiniger, der zu spät kommt. Ich hatte mal eine Kommode, die mir täglich blaue Flecken an der Hüfte bescherte. Ich habe sie absichtlich nicht verrückt - so konnte ich mich jeden Tag über etwas ärgern, das harmlos ist, statt über Wichtiges, das einen wirklich unglücklich macht. Funktioniert nicht ewig, aber für eine Weile.

Inzwischen sind eure Kinder Teil der Band. Könntet ihr Knorkator also irgendwann vererben?

Die Idee steht im Raum. Als Stumpen nach der Pandemie krankheitsbedingt ausfiel, haben wir erstmals ein Konzert ohne ihn gespielt - seine Tochter sprang ein. Es war ein Experiment, aber es hat funktioniert. Mein Sohn spielt mittlerweile Gitarre, singt Soloparts, verstärkt die Chöre. Wir müssen sie nur noch ordentlich zu Rampensäuen erziehen. Ob es wirklich mal eine zweite Knorkator-Generation gibt, wird die Zeit zeigen.

Eure Jubiläumstour startet im Herbst. Worauf dürfen sich Fans freuen?

Wir tragen uns seit Jahren mit einer ziemlich absurden Idee: ein riesiges Aquarium auf die Bühne stellen und mit dem Publikum eine Walgeburt erleben. Klar, Timing ist schwierig - und die Tierärzte sind noch nicht soweit, künstliche Wehen bei Walen einzuleiten. Aber die Vision steht. Vielleicht wären Delfine als Einstieg realistischer. (lacht)

Mit Alf Ator sprach Nicole Ankelmann

Das Album "Weltherrschaft für alle!" ist ab sofort überall erhältlich.

Quelle: ntv.de

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