Schlagzeug-Wunderkind aus Israel Roni Kaspi: "Deutschland hat coolen Vibe"
14.11.2021, 17:17 Uhr
21 Jahre jung: Roni Kaspi.
(Foto: Privat)
Mit 21 Jahren trommelt die Schlagzeugerin Roni Kaspi bereits auf zahlreichen Bühnen dieser Welt. Als sie wegen Corona - kurz vor ihrem Bachelor-Abschluss am Berklee College of Music in Boston - im März 2020 nach Israel zurückkehren muss, spielt Kaspi nur einige Monate danach dem berühmten Bassisten Avishai Cohen vor, der sie daraufhin zur Drummerin seines Trios macht. Ab Mitte November geht die Formation zusammen auf Welttournee. Mit ntv.de spricht Roni Kaspi über diese Kooperation, ihre Liebe zum Jazz und das Gefühl, in Deutschland aufzutreten.
ntv.de: Du bist erst 21 Jahre alt und schon auf vielen Bühnen der Welt zu Hause. Lebst du deinen Traum?
Roni Kaspi: Das tue ich und bin dafür dankbar.
Seit wann machst du Musik und wie wichtig war Musik in deiner Familie und deiner Ausbildung?
Ich habe mit sieben angefangen, Schlagzeug zu spielen. Zu Hause war Musik sehr wichtig.
Inwiefern?
Meine Eltern lieben Musik und haben alle möglichen Stilrichtungen gehört: von Klassik bis Jazz, von Rock bis sogar chinesischer Musik.
Welche Beziehung hast du zu deinem Instrument?
Es ist ein Teil von mir.
Eine Liebesaffäre?
Es ist eine besondere Beziehung, die sich natürlich anfühlt. Wenn ich zwei Körper für meinen Geist hätte, wäre einer für das Schlagzeug bestimmt.
Wieso gerade das Schlagzeug?
Die Art und Weise, wie es begann, war seltsam. Ich besuchte eine sogenannte "Demokratische Schule" (in ihnen sind alle Mitarbeiter, Lehrer und Schüler stimmberechtigt, Anm. d. Red.), und wir hatten dieses Musikzimmer, das ich eines Tages betrat und anfing zu spielen.
Versuchst du, dich durch das Schlagzeug auszudrücken?
Ich fühle mich dadurch selbstbewusster. Als Musikerin hat man viele Emotionen und der beste Weg, dies auszudrücken, ist durch das Instrument.
Spielst du noch weitere Instrumente?
Klavier und Bass, wünschte aber, alle Instrumente zu beherrschen.
Wie kamst du zum Jazz?
Über Bekannte erfuhr ich vom berühmten "Thelma Yellin" Kunstgymnasium, das in der Nähe von Tel Aviv ist. Als ich mit zwölf Jahren für die Aufnahmeprüfung zum Vorspielen kam, bemerkte ich, dass es nur eine Klassik- oder eine Jazz-Abteilung gab und entschied mich für Letzteres.
Und warum wolltest du in Berklee studieren?
Eines Tages sah ich eine Anzeige von Berklees Sommer-Programm, das sich "Fünf Wochen" nannte. Da gab es einen Jazz-Workshop, den die berühmte amerikanische Schlagzeugerin, Komponistin und Produzentin Terri Lyne Carrington leitete. Ich wurde angenommen und am Ende gab es eine Aufnahmeprüfung für ein Bachelor-Hochschulstudium. Nach meinem Vorspielen erhielt ich ein volles Stipendium und ging gleich nach meinem Schulabschluss dorthin.
Gibt es Jazz-Musiker, die dich beeinflusst haben, und wenn ja, wer sind deine Vorbilder?
Da gibt es viele. In der Jazzmusik beeindruckt mich vor allem Marcus Gilmore, der Enkel des berühmten Drummers Roy Haynes, sowie der inzwischen verstorbene Tony Williams, der unter anderem in der Miles Davies Band spielte.
Wurdest du auch von anderen Musik-Genres beeinflusst?
Popmusik insbesondere. Als Kind hörte ich viel Rock. Heute aber auch Hip-Hop, Funk, Rhythm and Blues. Sogar mehr als Jazz. (lacht)
Du kommst aus Israel, wo die Jazz-Szene seit einigen Jahren floriert. Wie wird diese Musik in Israel wahrgenommen?
Der Jazz existiert hier, es gibt nur eine kleine Szene, aber sie ist sehr gut. Wie in den meisten Ländern auf der Welt gehört diese Musik nicht zum Mainstream.
Sind israelische Jazz-Musiker auch im Ausland bekannt?
Einige haben sich einen Namen gemacht, wie zum Beispiel der Bassist Avishai Cohen, der Trompeter Itamar Borochov oder der Pianist Shai Maestro. Aber auch die Gitarristen Gilad Hexelman und Yotam Silberstein, die mittlerweile in New York leben, sind in der Jazz-Szene bekannt.
Jazz entstand auch als Ausdrucksform gegen Unterdrückung und Schweigen. Ihn charakterisieren künstlerische Freiheit und Prinzipien wie Kooperation und Toleranz. Wie drückt sich dies heute in dieser Musik aus, wenn es zum Beispiel um Gleichstellung der Geschlechter oder Rassismus geht?
Jazz hat immer etwas zu sagen. Auch wenn es politisch ist. Es hängt aber meistens doch von der einzelnen Person, ihrer eigenen Geschichte und Haltung ab. Aber auch davon, wie die Musik entstanden ist und wofür. Manche Künstler sprechen und musizieren über ihre Gefühle und das, was ihnen am Herzen liegt. Andere wiederum haben einige politische Positionen in ihrer Musik.
Bist du in Friedensprojekte involviert, wie die Zusammenarbeit mit israelisch-arabischen Musikern oder palästinensischen Künstlern?
Noch nicht, hoffe aber, demnächst Teil eines solchen Projekts zu sein. Während meiner Zeit in Berklee traf ich einige großartige palästinensische Musiker und spielte mit ihnen.
Wie kam es zu deiner Zusammenarbeit mit Avishai Cohen?
Ich war schon lange ein Fan von ihm. Meine Eltern haben alle seine Alben. Ich ging sogar zu seinen Shows und spielte seine Musik. Letztes Jahr im Sommer sah ich dann auf Instagram ein Video von ihm, in dem er Bass spielte. Ein Freund von mir unterlegte dieses Video mit einer Pianoaufnahme von sich. Das fand ich sehr cool. Also nahm ich zu dieser Musik auch eine Session mit meinem Schlagzeug auf, postete sie auf Instagram und schickte das Avishai.
Und er antwortete dir?
Das ging schnell. Er war begeistert! Nach einigen Wochen rief er an und bat mich, auf eine Session vorbeizukommen. Danach fragte er, ob ich bei der Aufnahme seines neuen Albums dabei sein möchte, worauf ich natürlich sofort zusagte.
Der erste Live-Auftritt kam gleich danach?
Als das Album fertig war, bekam ich von ihm das Angebot, bei seiner Tournee mitzuspielen. Nach dem ersten Konzert fragte er mich dann beim Frühstück, ob ich seine Schlagzeugerin werden möchte.
In seinem Trio bereist du die ganze Welt. Siehst du dich nicht nur als Musikerin, sondern auch als Botschafterin deines Landes?
Auch, aber Botschafterin ist ein großer Titel. Zunächst einmal vertrete ich meine Person. Israel ist natürlich ein Teil von mir und das Land, aus dem ich komme.
Wie das gesamte Trio?
Nur ich und Avishai sind Israelis. Der Pianist stammt aus Aserbaidschan.
Trittst du auch in muslimischen Ländern auf?
Wir haben letzten Monat die Türkei besucht und werden nächsten Monat in Aserbaidschan auftreten.
Könntest du dir vorstellen, dort mit einigen Künstlern zusammenzuarbeiten?
Das habe ich schon. Avishai hat auch dieses "Orchester-Projekt". Während unserer Türkei-Tournee hatte unser Trio die Ehre, mit dem Symphonie-Orchester von Ankara live aufzutreten. Ein tolles Erlebnis.
Die Türkei unter Präsident Erdogan war in letzter Zeit nicht so israelfreundlich. Wie haben euch die Leute dort aufgenommen?
Sehr schön und herzlich. Wir hatten so viel Spaß, dort zu sein. Überhaupt keine Probleme.
Wie werden Musiker aus Israel von der internationalen Öffentlichkeit wahrgenommen? Hast du schon negative - wie antiisraelische - Erfahrungen gemacht?
Auf Tour mit Avishai merke ich das nicht. Denn die Zuschauer, die zu seinen Shows kommen, sind seine Fans. Aber ein paar Mal während meines Studiums in Berklee habe ich es gespürt. Manchmal fühlte ich mich unwohl, zu sagen, woher ich komme.
Du absolvierst ja im Rahmen der Tour auch mehrere Auftritte in Deutschland. Sind das für dich Konzerte wie alle anderen auch oder schwingt da ein besonderes Gefühl mit?
Während meiner Tour mit Avishai letztes Jahr war ich das erste Mal in Deutschland. Wir spielten unter anderem in Berlin und Cottbus. Deutschland hat ein tolles Publikum. Danach hatten wir ein wenig Zeit bis zu den nächsten Konzerten und machten eine Pause. Ich beschloss, Berlin zu erkunden und blieb drei Wochen. Ich liebe diese Stadt. Deutschland hat einen coolen Vibe, und es ist besonders, dort zu sein. Nicht nur wegen der Vergangenheit. Ich denke dort nicht ständig an den Zweiten Weltkrieg, es sei denn, ein Denkmal erinnert daran.
Gerade in Israel drehen sich viele Themen oft um Politik, Emanzipation und Freiheit. Drückt sich das auch in deiner Musik aus?
Auf jeden Fall, doch es kommt auf den einzelnen Musiker an. Jeder versucht, sich anders auszudrücken. Ich bin weniger politisch. Ich versuche, meine künstlerische Freiheit zu nutzen, um mich durch verschiedene Stilrichtungen auszudrücken.
Es gab viel Kritik am Umgang der israelischen Regierung mit der Kunstwelt während dieser Pandemie. Wie hat es deine Arbeit beeinflusst?
I ch hatte das Glück, zu dieser Zeit bei meinen Eltern zu wohnen. Auftreten konnte ich nicht, hatte aber viel Zeit für mich selbst und um an meiner eigenen Musik zu arbeiten. Aber für einige andere Künstler, die ich kenne und die ihren Lebensunterhalt mit Musik verdienen, war es wirklich hart. Die Regierung hat den Kulturbereich kaum unterstützt.
Was sind deine Pläne für die Zukunft? Mit wem würdest du - neben Avishai Cohen - sonst noch gerne arbeiten und auftreten?
Ich möchte gerne mein eigenes Projekt verwirklichen und live präsentieren. Außerdem interessiere ich mich sehr für die Musik-Szene in Los Angeles. Ich würde gerne in diese Stadt ziehen, um mit den dortigen Pop- und Rock-Künstlern zu spielen, und natürlich weltweit auf den berühmtesten Showbühnen auftreten. (lacht)
Kannst du uns von deinem kommenden Album erzählen? Wer schreibt und komponiert die Musik?
Bei meinem eigenen Projekt "Roni-Pony" schreibe, komponiere und produziere ich Hip-Hop-, Fusion- und Pop-Musik in englischer Sprache.
Möchtest du etwa die Jazzmusik verlassen?
Ich möchte einfach nur andere Stilrichtungen ausprobieren. Jazz werde ich immer lieben und immer spielen.
Mit Roni Kaspi sprach Tal Leder
Quelle: ntv.de