Musik

"Habe große Künstler abgelehnt" Sean Paul bittet wieder in die Dancehall

Topstar bei Tiktok? Das wäre albern: Sean Paul.

Topstar bei Tiktok? Das wäre albern: Sean Paul.

(Foto: Charlotte Rutherford / Island Records / Universal Music)

Mit einer Mischung aus Dancehall, Reggae, Ragga und Pop wird der aus Jamaika stammende Sean Paul zum Weltstar. Nach unzähligen Hits legt er mit "Scorcha" nun sein achtes Studioalbum vor. Mit ntv.de spricht er über das Musikgeschäft früher und heute, das Tour-Leben mit Kindern und seine Wunsch-Duett-Partner.

ntv.de: Mit "Scorcha" kommt nun dein achtes Studioalbum. Doch ich will zunächst auf ein anderes Album von dir zu sprechen kommen: "Dutty Rock". Das ist vor genau 20 Jahren erschienen, bescherte dir den weltweiten Durchbruch und hat dein Leben sicher auf den Kopf gestellt. Wie denkst du an diese Zeit zurück?

Sean Paul: Da kommen in mir natürlich unglaubliche Emotionen und Gefühle hoch. Es ging alles wahnsinnig schnell, zugleich ist seitdem aber auch extrem viel passiert. Wenn so eine Karriere Fahrt aufnimmt, hat man auf einmal sehr viel zu tun. Gleichzeitig scheint das Leben aber auch an einem vorbeizuziehen. Wenn ich die 20 Jahre Revue passieren lasse, vergingen sie deshalb einerseits wie im Flug, andererseits kommt es mir wie eine Million Jahre vor. Das ist ziemlich paradox.

Viele Künstler sind noch sehr jung, wenn sie ihren internationalen Durchbruch feiern. Du hingegen hattest bereits eine erfolgreiche Zeit als Musiker in Jamaika hinter dir und warst schon fast 30, als "Dutty Rock" erschien. War das ein Vor- oder Nachteil?

Tatsächlich war ich auch schon 24, als ich überhaupt damit begonnen habe, erste Songs zu veröffentlichen. Und stimmt, als der internationale Durchbruch kam, war ich 29. Gute Frage, wie sich das ausgewirkt hat. Jedenfalls kann ich sagen: Mit 24 wusste ich, wer ich bin. Mit 17 oder 18 war ich dagegen noch damit beschäftigt, mich selbst zu finden. Aber ich denke, jeder geht seinen eigenen Weg. Nimm zum Beispiel Prince. Als er 24 war, glich sein Leben bereits einem Spielfilm. (lacht) Er schrieb da schon für alle möglichen anderen Menschen Songs. Und er wusste definitiv schon längst, wer er war und konnte all das reflektieren.

Ich erinnere mich, das Video zu deinem Hit "Get busy" zum ersten Mal auf MTV gesehen zu haben. Seither hat sich das Musikbusiness stark verändert. Ist es besser, schlechter oder einfach nur anders geworden?

Anders ist es auf jeden Fall. Ob besser oder schlechter, kann ich nicht sagen. Heute kommt viel von Facebook, Myspace, Twitter, Instagram, Tiktok oder was eben gerade angesagt ist. Da entstehen so viele verschiedene Dinge, die auch wieder die Musik beeinflussen und neue Künstler hervorbringen. Zugleich gibt es aber auch eine so große Informationsflut, dass selbst große Künstler und Hitsongs in ihr untergehen können. Du musst gucken, wo du dich im Markt verortest und wie du dir die ständig neuen Entwicklungen zunutze machen kannst. Als Künstler, der groß geworden ist, bevor es das alles gab, wäre es albern, sich darüber zu ärgern, dass man nicht der Topstar bei Tiktok ist. Aber man kann eben auch davon profitieren.

Wie zum Beispiel bei deinem Song "No Lie". Er erschien bereits Ende 2016, knackte aber erst vor Kurzem die Marke von einer Milliarde Abrufen auf Youtube ...

Ja, das Lied war vor allem in Deutschland und Großbritannien schon ein Hit, als es herausgekommen ist. Aber durch seinen Einsatz bei Tiktok ging es später noch einmal durch die Decke, was toll ist.

Apropos Deutschland, Großbritannien und Europa. Auch hier hast du es mit Dancehall-Sound zum Star gebracht, obwohl diese Länder vielleicht nicht das klassische Terrain dafür sind. Wie erklärst du dir das? Ist es, weil du die perfekte Kombination aus Dancehall, Reggae, Ragga und Pop gefunden hast?

Mir gefällt natürlich der Gedanke, die perfekte Kombination gefunden zu haben. (lacht) Das geht sicher allen Künstlern so. Jeder bemüht sich, seine Musik auf einem so hohen Level zu produzieren, dass der Vibe bei den Fans auch richtig ankommt. Grundsätzlich denke ich, dass es wichtig ist, auf die richtige Balance zu achten. Man sollte nicht überheblich werden und die Dinge für selbstverständlich halten. Und man sollte sich auch mal zurücknehmen und den Leuten eine Pause von sich gönnen. Wenn ich in den Spiegel gucke, mag ich mein Gesicht schließlich manchmal sogar selbst nicht mehr sehen. (lacht)

Deutschland mag nicht das Nummer-1-Land dafür sein, aber ein paar sehr erfolgreiche Dancehall-Künstler haben wir dann doch, zum Beispiel Gentleman und Seeed. Sagen die dir was?

Ja, Seeed sagen mir was und Gentleman kenne ich sogar persönlich. Mit ihm habe ich auch einen Song gemacht. Er ist ein echt cooler Typ und toller Künstler.

Kommen wir zu deinem neuen Album "Scorcha". Es folgt auf das Album "Live N Livin", das erst im vergangenen Jahr erschienen ist. Wie kommt es, dass du gleich zwei Alben in so kurzer Zeit aufgenommen hast?

Vor ungefähr zwei Jahren habe ich mit der Arbeit an den neuen Songs begonnen. Dann wusste ich aber plötzlich nicht mehr so recht, wann ich wohl wieder auf Tour gehen kann. Deshalb habe ich mich auf die Songs konzentriert und viel Arbeit in sie gesteckt. Jetzt sieht es natürlich so aus, als seien zwei Alben herausgekommen. Aber gefühlt war es für mich, als ob ich an nur einem gearbeitet hätte. Und tatsächlich sitze ich im Moment sogar bereits an einem weiteren Album, denn ich habe noch eine Reihe Songs, die ich bisher nicht veröffentlicht habe.

Wie kommt das?

Eigentlich arbeitet man ständig an neuen Songs. Bei einigen denkt man: Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt dafür, sie zu veröffentlichen. Andere erscheinen dagegen noch nicht reif dafür, sodass man sie auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt. Deshalb liegen manche Songs bei mir über Jahre in der Schublade. Einer davon ist zum Beispiel "Light My Fire", der Song mit Gwen Stefani auf "Scorcha".

Du sagst, eigentlich seien "Live N Livin" und "Scorcha" nur ein Album für dich. Auf "Live N Livin" versammelst du aber alle möglichen Dancehall-Größen um dich, während "Scorcha" für mich eher in klassischer Sean-Paul Manier daherkommt. Liege ich falsch?

Am 6. Juli 2022 gibt Sean Paul ein exklusives Deutschland-Konzert in Berlin.

Am 6. Juli 2022 gibt Sean Paul ein exklusives Deutschland-Konzert in Berlin.

(Foto: Charlotte Rutherford / Island Records / Universal Music)

Nein, das stimmt schon. Als "Live N Livin" erschienen ist, hatte ich das Bedürfnis, ein richtiges Hardcore-Dancehall-Album zu machen, das zurück zu den Wurzeln geht. Über die Jahre habe ich so viele Kollaborationen gemacht, auch mit Produzenten. Das Album spiegelt das wider, weshalb es sich sicher etwas anders anhört. Mir ging es dabei auch darum, die Dancehall-Community zusammenzubringen - und das über die Generationen hinweg. So kommen auf dem Album so unterschiedliche Künstler wie Buju Banton und Intence zusammen. Auch "Scorcha" ist Dancehall - nur in einem anderen Stil. Für mich fließt das zusammen. Es ist ein und dasselbe Genre. Es sind nur unterschiedliche Variationen.

Auch auf "Scorcha" hast du wieder ein paar Gäste, wenn auch nicht ganz so viele wie auf "Live N Livin": Gwen Stefani hast du schon erwähnt, aber zum Beispiel auch Tove Lo und einmal mehr Sia sind mit von der Partie. Wonach wählst du dir deine Kooperationspartner und -partnerinnen aus?

Ganz einfach danach, ob mir gefällt, was jemand tut. So simpel ist das. Es ist mir zum Beispiel egal, ob alle möglichen Leute meinen, dass ein bestimmter Song ein Hit werden könnte. Wenn ich selbst kein Gefühl dazu habe, werde ich es nicht machen. Aber andersrum wurde ich auch schon gefragt, warum ich mich ausgerechnet auf diese oder jene Sache eingelassen habe. Auch da ist es ganz einfach: Weil mir der Song und der Künstler zu der Zeit gefallen haben. Das sind ganz natürliche Entscheidungen für mich, die nicht am grünen Tisch getroffen werden. Tatsächlich habe ich auch schon Anfragen von wirklich großen Künstlern abgelehnt, weil es mir in der spezifischen Situation nicht getaugt hat.

Hast du noch jemanden auf der Liste, mit dem oder der du gern mal einen Song machen würdest?

Auf jeden Fall. Ich mag zum Beispiel Billie Eilish und als Band Twenty One Pilots total gern. Auch im Hip-Hop gibt es noch viele Menschen, mit denen ich echt gern mal zusammenarbeiten würde. Gerade mit dieser jungen Generation an Rappern, die sich derzeit ihren Weg bahnt. Lil Uzi Vert hat zum Beispiel tolle Melodien. Das gefällt mir sehr.

Demnächst kannst auch du endlich wieder auf Tour gehen. Im Juli kommst du nach Europa. Der Kontinent wird gerade vom Krieg in der Ukraine erschüttert. Beschäftigt dich das oder willst du mit Politik lieber in Ruhe gelassen werden?

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Eigentlich will ich mit Politik nichts zu tun haben. Aber das beschäftigt mich natürlich schon. Ich gehe seit 1996 auf Tour. In dieser Zeit gab es einige Kriege - in Irak etwa oder in Afghanistan. Freunde von mir sind auch dort gewesen. Auf meinem neuen Album gibt es den Song "Good Day". Es geht darum, sich immer wieder das Glück bewusst zu machen, wenn die Sonne einem wieder ins Gesicht strahlt. Das ist, was ich tue. Und ich bete für Frieden. Man darf nie die Hoffnung verlieren.

Du bist inzwischen Vater von zwei Kindern, einem fünfjährigen Sohn und einer zweijährigen Tochter. Manche Künstler nehmen ihre Kinder mit auf Tour. Du auch?

Nein, das nicht. Aber vor der Pandemie war mein Sohn bei zwei Shows dabei, eine in Orlando und die andere auf den Kaimaninseln. Seither interessiert er sich echt für Musik. Er singt viel und spielt am Schlagzeug herum. Ich hoffe, dass diese Leidenschaft weiter anhält. Jetzt brauchen die beiden erst einmal Stabilität. Und sie müssen zur Schule gehen. In der Zukunft werde ich sie aber sicher mal mit auf Tour mitnehmen, damit sie erleben können, was abgeht - vorausgesetzt, meine Knie spielen so lange mit. (lacht)

Mit Sean Paul sprach Volker Probst

Quelle: ntv.de

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