Musik

Breiti zu 40 Jahre Tote Hosen "Unser Erfolg war fern jeder Vorstellungskraft"

Ihr exzessiver Drogenkonsum hätte zwischendurch fast das Ende der Toten Hosen bedeutet.

Ihr exzessiver Drogenkonsum hätte zwischendurch fast das Ende der Toten Hosen bedeutet.

(Foto: Robert Eikelpoth)

Seit genau 40 Jahren stehen Die Toten Hosen nun schon als Band gemeinsam auf der Bühne. Dass es die fünf Punkrocker einmal so weit bringen würden, hätten damals nicht nur ihre entsetzten Eltern niemals für möglich gehalten, sondern auch sie selbst. "Während der ersten Jahre war es fern jeder Vorstellungskraft, damit jemals unseren Lebensunterhalt verdienen zu können", erinnert sich der Gitarrist Michael Breitkopf, besser bekannt als Breiti.

Doch allen Widrigkeiten zum Trotz dürfen sich Die Toten Hosen heute die langlebigste und erfolgreichste deutschsprachige Band der Musikgeschichte nennen. Anlässlich der Feierlichkeiten zum Jubiläum gönnen sie sich nicht nur eine umfangreiche Werkschau aus alten Hits und neuen Songs, sondern auch eine ausgiebige Tournee. Zwischendurch nehmen sich Campino, Andi, Kuddel, Vom und Breiti auch Zeit für Interviews. Letzterer etwa spricht mit ntv.de über das berüchtigte Mädchen aus Rottweil, Drogenexzesse innerhalb der Band und ihre Liebe zu Argentinien.

ntv.de: Gibt es Pläne, das Mädchen aus Rottweil zu suchen?

Breiti: Wir haben lange davon geträumt, sie noch einmal zu treffen, aber das ist nie passiert. Und in Wirklichkeit - jetzt kann ich es dir ja verraten - kam das Mädchen gar nicht aus Rottweil. Sie war die Tochter eines Wirts, bei dem wir irgendwo in Österreich auf dem Weg nach Jugoslawien angehalten und in die wir uns alle fünf in sie verliebt haben. Wir mussten aber weiter und sind doch lieber alle zusammen wieder ins Auto gestiegen, da keiner sich auf die Schnelle entschließen konnte, zu bleiben und vielleicht dort sein Glück zu suchen.

40 Jahre Die Toten Hosen! Hättet ihr je gedacht, dass ihr mal so richtig erwachsen, mit "normaler" Haarfarbe und Klamotten, vor allem aber nüchtern auf der Bühne stehen würdet?

Am Anfang haben wir wenig über die Zukunft nachgedacht. Unser größter Wunsch war einfach, in dieser Band zu spielen. Da haben wir alle Zeit und Energie reingesteckt. Wir wollten aus der Stadt raus, Abenteuer erleben, Konzerte spielen, neue Leute kennenlernen. Und was daraus mal werden würde ... Während der ersten Jahre war es fern jeder Vorstellungskraft, damit jemals unseren Lebensunterhalt verdienen zu können. Trotzdem haben wir immer weiter gemacht. Wir empfinden es als großes Glück, nach 40 Jahren sagen zu können, dass wir das immer noch machen.

Wenn ihr zunächst keinen Plan oder eine Strategie verfolgt habt, wann wart ihr an dem Punkt, etwas ändern zu wollen, damit ihr von eurer Musik leben könnt?

Die fünf Bandmitglieder verliebten sich alle in das Mädchen aus Rottw ... äh, Österreich!

Die fünf Bandmitglieder verliebten sich alle in das Mädchen aus Rottw ... äh, Österreich!

(Foto: Tereza Mundilova co Shotview Artists)

So einen Punkt gab es tatsächlich nie. Es kamen aber immer mehr Leute zu den Konzerten und ein Sprung war dann das Album "Ein kleines bisschen Horrorshow", das auf einmal sehr erfolgreich war. Da ist uns bewusst geworden, dass es vielleicht eine ganze Weile klappen könnte, von der Musik zu leben und wir vor allem auch unsere Projekte mit der Band finanzieren könnten.

Wie habt ihr denn bis dahin Geld verdient?

Wir haben alle möglichen Jobs gemacht, zum Beispiel Plakate für Konzerte von erfolgreichen Bands an Bauzäune geklebt. Das war illegal und es musste immer einer aufpassen, ob die Polizei kommt. Eine Anzeige hat damals bis zu 1000 Mark gekostet. Im Winter bei Minustemperaturen war es schwierig, da ist der Kleister sofort gefroren. Und wenn man dann abends ausgegangen und an den beklebten Stellen wieder vorbeigelaufen ist, hatte das Sportstudio Ellermann die ganzen Zäune sehr oft wieder mit ihren Plakaten überklebt und wir haben uns tierisch geärgert. (lacht)

Und wurdet ihr von der Polizei erwischt?

Nee, wir sind ziemlich clever geworden! Campino ist einmal in eine Peepshow geflüchtet, wo sie nicht hinterhergekommen sind.

Ihr habt früher viel gesoffen und Drogen genommen. Gab es irgendeinen entscheidenden Moment, an dem ihr beschlossen habt, euren Lifestyle zu ändern?

ANZEIGE
Alles aus Liebe: 40 Jahre Die Toten Hosen (Limitierte Erstauflage im Digipack)
741
54,95 €
Zum Angebot bei amazon.de

Wir waren total lebenshungrig und wollten alle Drogen mal ausprobieren - außer Heroin, da waren wir schon immer schlau genug, das sein zu lassen. Es war auch eine Art Bandritual, wir wollten Grenzen austesten, die Nächte verlängern und auf keinen Fall etwas verpassen. Auf Dauer gab es körperliche Grenzen, die erreicht wurden. Ich hatte mit Anfang 30 eine Bauchspeicheldrüsenentzündung, als gerade eine Tournee losging. Ich musste eine Woche lang alle Konzerte spielen, obwohl es mir überhaupt nicht gut ging und ich nichts essen konnte. Wenn man so einen Warnschuss kriegt, muss man auch darauf hören. Das andere waren Erlebnisse wie ein Konzert in Zürich, das wir nach 20 Minuten abbrechen mussten, weil wir vorher 48 Stunden durchgefeiert hatten. Das ist das Schlimmste, was einer Band passieren kann, das wollten wir niemals wieder erleben.

Hat seine Mutter mit seinem Punkerdasein oft "in Not gebracht": Michael "Breiti" Breitkopf.

Hat seine Mutter mit seinem Punkerdasein oft "in Not gebracht": Michael "Breiti" Breitkopf.

(Foto: imago images / snapshot)

Wenn du dir jetzt eure Interviews von früher anguckst, was geht dir da durch den Kopf?

Ich lebe lieber in der Gegenwart, aber wenn ich dann mal etwas von früher sehe, fällt mir auf, dass die Welt, in der wir uns bewegten und die Welt der Fernsehshows oft nicht im Geringsten zusammenpassten. Manchmal war das peinlich, manchmal sind aber auch skurrile Momente dabei herausgekommen, die im durchgeplanten Fernsehen von heute in dieser Form wohl nicht mehr möglich wären.

Es ist nicht selbstverständlich, so lange so erfolgreich zu sein wie ihr. Gab es mal Zeiten, in denen nicht klar war, ob eure Band überhaupt bestehen bleibt?

Ja, das hatte auch wieder mit dem Drogenkonsum zu tun. Der hatte sich irgendwann mehr ins Private verlagert und war keine Gruppenangelegenheit mehr. Es verändert auf Dauer die Persönlichkeit, wenn man gewohnheitsmäßig Kokain nimmt. Wir hatten plötzlich Auseinandersetzungen, die wir vorher nie gekannt hatten. Es war immer darum gegangen, was die beste Idee für ein neues Lied ist und nicht, von wem sie kommt, das war auf einmal ganz anders. Das hat uns an einen Punkt geführt, an dem vorstellbar wurde, dass es vielleicht nicht ewig so weitergeht. Das mussten wir erstmal auf die Reihe kriegen.

Ältere Lieder von euch wie "Wünsch dir was" oder "Willkommen in Deutschland" sind leider immer noch sehr aktuell. Woher nehmt ihr die Motivation, weiterzumachen, obwohl sich die Welt zu der gewandelt hat, gegen die ihr früher schon angesungen habt?

Man muss einsehen, dass es nicht so ist, wie wir mit 18 oder 20 vielleicht geglaubt haben - dieses: "Wenn wir uns richtig reinhängen, können wir die Welt verändern" -, sondern dass es eine Sache von kleinen Schritten ist. Von ganz viel Geduld, von Hartnäckigkeit, von nicht aufgeben, damit Sachen nicht noch schlimmer werden oder in Kleinigkeiten Verbesserungen erreicht werden können. Es ist auch nicht so, dass die Privilegien, die wir haben, was Demokratie und Meinungsfreiheit angeht, Gott gegeben sind und sich daran nie etwas ändert. Ganz im Gegenteil: Man muss jeden Tag etwas dafür tun, jeder an seinem Platz, nach seinen Möglichkeiten. Deswegen spielen wir auch Lieder wie "Willkommen in Deutschland" noch. Wir versuchen, uns einzubringen und nützlich zu machen. Durch Lieder, die hoffentlich viele Menschen berühren und einen Denkanstoß geben, in unserer nächsten Umgebung, die wir vielleicht beeinflussen können, oder indem wir Organisationen wie Pro Asyl unterstützen.

Warum liegt euch das Thema so am Herzen?

Die Familie meiner Mutter hat mit neun Kindern Nazidiktatur, Krieg, russische Besatzung, Vertreibung und jahrelanges Überleben in einem Flüchtlingslager mitgemacht. Mit den Erzählungen davon bin ich groß geworden, deswegen habe ich früh ein Bewusstsein dafür bekommen. Wer die Rechte von Flüchtlingen einschränkt, greift letztendlich die Rechte von uns allen an. Als unser politisches Bewusstsein erwacht ist, gab es überall in Deutschland in den wichtigen Funktionen - in der Politik, in der Justiz, in den Behörden - immer noch Altnazis, die ganz selbstverständlich ihr Leben gelebt haben und sich niemals verantworten mussten für ihre Verbrechen. Das hat uns sehr geprägt, ebenso wie die Auseinandersetzung mit Nazi-Skinheads in den 1980er-Jahren.

Hast du auch gegen ein (konservatives) Elternhaus rebelliert?

Das fiel bei mir unter anderem aus, weil mein Vater früh gestorben ist und klar war, dass die Familie zusammenhält, koste es, was es wolle. Es war eher ein totales Unverständnis, das zwischen mir und meiner Mutter aufeinanderprallte. Überhaupt bei uns und unseren Eltern. Wenn man einen Krieg und alles, was damit zusammenhängt, miterlebt hat, dann musste einem die Bundesrepublik der 60er-, 70er- und 80er-Jahre wie ein Paradies vorkommen. Die konnten unsere Musik, unsere Haltung und unser Problem nicht verstehen, das wir mit diesem Land hatten. Das hat bei uns den Generationenkonflikt ausgemacht.

Von Campino und Andi ist bekannt, dass ihre Eltern ein riesiges Problem mit Punk und den gefärbten Haaren hatten und sie deswegen sogar Hausverbot bekamen. War das bei dir auch so krass?

Ja, natürlich. Meine Mutter wollte mich vor Bekannten immer verteidigen, aber für sie war es oft das Allerletzte, wie wir uns gegeben und angezogen und was für Musik wir gespielt haben. Da habe ich sie echt in Not gebracht.

Habt ihr eigentlich nach 40 Jahren noch Lampenfieber?

Oh ja! Ich glaube, an dem Zeitpunkt, an dem man kein Lampenfieber mehr hat vor einem Konzert, sollte man übers Aufhören nachdenken. Aufregung ist super und gehört dazu. Es ist ein bisschen wie Achterbahn fahren: Wenn man sich darauf freut, wird's geil. Wenn man sich innerlich dagegen wehrt, wird einem schlecht.

Genauso leidenschaftlich wie eure eigenen Songs spielt ihr auch sehr oft Lieder anderer Bands. Was ist daran so reizvoll?

Wir haben zum Beispiel in den 90ern das Album "Learning English" gemacht, für das wir viele der für uns wichtigsten Punkrock-Songs aufgenommen haben - immer mit demjenigen, der das Lied geschrieben hat. Wir hatten mit "Auf dem Kreuzzug ins Glück" gerade unser erstes Nummer-eins-Album gehabt. Zu unserer eigenen Überraschung wurden wir auf einmal zum musikalischen Establishment gezählt und wussten gar nicht, wie wir das mit unseren Wurzeln vereinbaren sollten. Dieses Album sollte eine Neuorientierung sein. Die Coverversionen hatten eine große Bedeutung für uns als Band. Abgesehen von der Freude daran und der Respektbezeugung den anderen Bands gegenüber haben wir auch einiges dazugelernt, weil viele vermeintlich einfache Lieder viel cleverer gemacht sind, als man beim Hören zunächst denkt.

Apropos Establishment: Von alten Fans wird euch häufig vorgeworfen, zu kommerziell und nicht mehr Punk zu sein. Beschäftigt euch so eine Kritik?

Der Vorwurf begleitet uns, seit wir von unserer ersten Single mehr als 1000 Stück verkauft haben. Wenn jemand konstruktive Kritik übt, ist das in Ordnung, uns interessiert Meinung. Aber letztendlich können wir uns nur an uns orientieren. Wir machen die Lieder so, wie sie in uns stecken und aus uns herauskommen. Wir stellen sie zur Verfügung und im glücklichsten Fall berühren sie viele Leute, die bei Konzerten die Texte mitsingen und für sich einen Gewinn daraus ziehen. Aber da reagiert nicht jeder gleich drauf, man kann es also nicht allen recht machen.

Euch verbindet eine Liebesgeschichte mit Argentinien. Ihr gebt dort viele Konzerte und habt euren Fans zu Ehren Lieder auf Spanisch aufgenommen. Warum gebt ihr euch gerade dort so viel Mühe, wenn ihr in anderen Ländern auch eine aktive Fanbase habt?

Argentinien ist von Anfang an aus verschiedenen Gründen etwas Besonderes gewesen. Ein Grund war der legendäre Radiomoderator Ruso Verea, der auf Anregung des Sängers Pil Trafa von der Band Los Violadores unsere Musik gespielt hat, noch bevor wir 1992 das erste Mal hingereist sind. Das war ein guter Startschuss. Außerdem hatten wir eine Beziehung zu den Ramones, die in Argentinien Legenden waren und uns 1996 zu ihrem offiziellen Abschiedskonzert eingeladen haben. Darüber hinaus sind die Argentinier mit die am Besten informierten und am Weitesten interessierten Leute auf der Welt. Sie wussten lange vor dem Internet, was wir in Interviews erzählen und worum es in unseren Liedern geht, weil sie dem auf den Grund gehen wollten. Sie lieben es, wenn man auf der Bühne alles gibt, weil sie auch immer alles geben. Wenn dir ein Argentinier seine Freundschaft anbietet, dann ist er dein Freund, in guten wie in schlechten Zeiten. Und in der Beziehung zu ihrer Lieblingsband ist das genauso.

Zwischen euch und den Ärzten gab es eine lange Rivalität - zumindest wurden die Gerüchte darüber auch von euch befeuert und sind erst abgeklungen, als euer Schlagzeuger Vom Ritchie letztes Jahr in ihrem Video zu "Noise" zu sehen war. War das also alles mehr Show?

In den 80er-Jahren war das wirklich mal so, weil wir meinten, die hätten sich zu früh zu sehr mit der Jugendzeitschrift "Bravo" eingelassen. Die Gründe sind albern und kaum mehr nachvollziehbar. Aber die Rivalität hat uns auch damals nicht daran gehindert, mit ihnen zu reden. Als sich die Ärzte Anfang der 90er aufgelöst haben, hat Campino mit Farin Urlaub gewettet, dass sie vor Ablauf von fünf Jahren wieder zusammenkommen. Sie haben einen 1000-Mark-Schein zerschnitten und gesagt: Wenn es so kommt, wird der wieder zusammengeklebt und verfeiert. So war es dann auch. Wir haben schon längst ein gutes Verhältnis zu ihnen. Aber es macht ja auch Spaß, das ein bisschen im Ungefähren zu lassen, damit die Leute denken, da wäre was. (lacht)

Im Gegensatz zur ersten Frage ist die letzte ernst gemeint: Wollt ihr immer noch nicht ins Paradies?

Auf einer Art sind wir das schon seit vielen Jahren, weil wir noch immer in dieser Band spielen dürfen und sehr dankbar dafür sind. Das ist unser Paradies.

Mit Michael "Breiti" Breitkopf sprach Linn Penkert

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen