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20 Jahre Lindholm-"Tatort" Ein Geschenk, das keines ist

Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) ist zu ihrem 20. "Tatort"-Geburtstag anderer Meinung als Kollegin Schmitz (Florence Kasumba).

Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) ist zu ihrem 20. "Tatort"-Geburtstag anderer Meinung als Kollegin Schmitz (Florence Kasumba).

(Foto: NDR/Christine Schroeder)

Seit 20 Jahren ermittelt sich Maria Furtwängler schon durch Niedersachsen. Zur Feier des Tages dürfen die Zuschauer ein neues Wort lernen: "Flüchtlingsfolklore". Viel mehr ist aus der Jubiläumsfolge aber leider nicht rauszuholen.

Themen-"Tatorte" heißen im ARD-Jargon die Krimis, in denen es um mehr gehen soll als die banale Antwort auf die Frage, wer denn nun der Mörder ist. Wer bereits jetzt ein mulmiges Gefühl in der Magengegend bekommt, liegt damit ganz richtig: Wie so häufig ist auch der neueste Fall aus Göttingen ein Paradebeispiel dafür, dass ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema noch lange keinen guten Film garantiert.

"Die Rache an der Welt" ist nicht nur Maria Furtwänglers 20. Geburtstag als "Tatort"-Kommissarin Charlotte Lindholm, es soll auch ein Lehrstück über die feine Linie zwischen Vorurteilen und begründetem Verdacht sein. Der Film will die Auswüchse von negativem und positiven Rassismus gleichermaßen zeigen und wie schnell man vor allem in letzteren hineinrutscht. Drehbuchautor Daniel Nocke und Regisseur Stefan Krohmer deklinieren das anhand der Frage durch, wie sensibel die Polizei bei einer Mordermittlung im Umgang mit Geflüchteten sein muss – oder eben nicht.

Ganz konkret geht es um den Mord an einer jungen Flüchtlingshelferin: Hauptverdächtiger sind zuerst ein sehr deutscher Serien-Triebtäter und später ein syrischer Geflüchteter, mehr dazu in unserem Schnellcheck. Am Ende ist keiner der Beiden für den Mord verantwortlich, aber das ist dann auch schon so ziemlich die einzige Überraschung in diesem "Tatort".

Ein unfreiwillig flaches Geburtstagsgeschenk

Zelte an der Seitenlinie und zu Klappstuhlweitwurf neigende Trainer: Wenn man auf unfreiwillig komisches Kino steht, hat "Die Rache an der Welt" einiges zu bieten.

Zelte an der Seitenlinie und zu Klappstuhlweitwurf neigende Trainer: Wenn man auf unfreiwillig komisches Kino steht, hat "Die Rache an der Welt" einiges zu bieten.

(Foto: NDR/Christine Schroeder)

"Die Rache an der Welt" will unheimlich viel Material in 90 Minuten Sendezeit verpacken und scheitert damit kläglich. Fast jede Szene verkommt zum Klischee: Mal liefert der Prototyp eines Alltags-Rassisten die Täterbeschreibung, dann wieder tanzt eine Gruppe schwarzer Fußballer in einer Spielpause zwischen Wäscheleinen vor ihren an der Seitenlinie aufgebauten Zelten. Wenn dann noch die völlig überdrehte Lindholm einem Rudel testosterontriefender Fußballer "Hier können Frauen euch sogar einsperren!" entgegenbrüllt, versendet sich auch das letzte Stückchen Relevanz.

Der Film will mit der Erwartungshaltung der Zuschauer und der Ermittler gleichermaßen spielen, die immer wieder auf ihre Vorurteile zurückgeworfen werden und sie dann konsequenterweise auch immer wieder hinterfragen müssen. So zumindest der Plan, der aber in keiner Weise aufgeht: Zu holzschnittartig die Charaktere, zu oberlehrerhaft die Dialoge.

Immerhin: Der als einer der wenigen Charaktere nicht völlig stereotyp dargestellte syrische Hauptverdächtige wirft irgendwann den Begriff "Flüchtlingsfolklore" in den Raum. Er meint damit das Programm, das er für seine Helfer abspult: Die erwarten nämlich scharfes syrisches Essen und Gruselgeschichten aus der Folterkammer, um ihre Anstrengungen zu rechtfertigen. Ein passendes Wort für einen interessanten Spin, der ruhig noch mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. So aber bleibt "Die Rache an der Welt" ein unfreiwillig flaches Geburtstagsgeschenk zu Lindholms 20. Jubiläum.

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 09. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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