Warten auf den Frühling "Costa Concordia" vergammelt vor Giglio
13.01.2014, 12:13 Uhr
Schwer gezeichnet von der Havarie und tief im Wasser: So liegt die "Costa Concordia" derzeit vor der Insel Giglio.
(Foto: AP)
Jeden Morgen blicken die Bewohner Giglios auf das gewaltige Wrack vor ihrer Küste. Die spektakulären Bilder vom Aufrichten des Schiffes wurden zuletzt gefeiert wie sonst nur ein WM-Sieg - dabei ist das Drama noch lange nicht zu Ende.
Nick Sloane ist ganz schön müde, als er am frühen Morgen des 17. September 2013 vor die Kameras tritt. Augenringe dick wie Schleusentore prägen das Gesicht des Südafrikaners, der immer noch seine Rettungsweste trägt. Dann umspielt plötzlich ein Lächeln seine Lippen. "Ich bin erleichtert, es war ein wenig wie Achterbahn-Fahren", gibt der Experte für Schiffsbergungen zu Protokoll. Im Hafen von Giglio brandet donnernder Applaus auf, Sloane und sein 500-köpfiges Team haben es geschafft: Fast zwei Jahre nach ihrer Havarie liegt die "Costa Concordia" wieder aufrecht im flachen Wasser vor der italienischen Mittelmeerinsel.
Es war ein denkwürdiges Spektakel, das sich vor gut vier Monaten auf Giglio abspielte. Hunderte Journalisten und Tausende Schaulustige aus aller Welt waren angereist, um hautnah mitzuverfolgen, wie die Bergungsexperten das gewaltige Kreuzfahrtschiff Millimeter für Millimeter mit Seilen, Flaschenzügen und Schwimmkörpern aus seiner Schieflage befreiten. Die Medien überschlugen sich mit Live-Schalten und Newstickern, die Aufrichtung des gesunkenen Stahlriesen wurde gefeiert wie sonst nur ein WM-Sieg. Bei all dem Bohei mochte man beinahe glauben, eines der verheerendsten Schiffsunglücke der vergangenen Jahrzehnte hätte nun endlich einen halbwegs versöhnlichen Abschluss gefunden. Dabei ist das Drama um die "Costa Concordia" noch lange nicht zu Ende.
"Gehen Sie zurück an Bord, verdammte Scheiße!"
Auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass der Kapitän der "Costa Concordia" seiner neuen Flamme beweisen will, was für ein toller Typ er ist. Francesco Schettino nimmt Domnica Cemortan mit auf die Kommandobrücke - was der neapolitanische Frauenheld dort in der sternenklaren Nacht zu der blonden Moldawierin sagt, ist zwar nicht protokolliert, man kann es sich aber denken: "Schau mal, Schätzchen, die machen alle, was ich ihnen befehle!" Zum Beispiel gefährlich dicht an der Küste von Giglio entlangzufahren, damit die Geliebte einen ungestörten Blick auf die wunderschönen Lichter des Hafens werfen kann. Ein Blick, den 32 Menschen mit dem Leben bezahlen.
Gegen 21.45 Uhr rammt die "Costa Concordia" einen der Insel vorgelagerten Felsen, der den Rumpf des Schiffes auf einer Länge von 70 Metern aufreißt - Wassermassen dringen ein. Was dann folgt, ist eine Chronologie des Versagens: Anstatt die Konsequenzen zu ziehen und den Meeresriesen sofort zu evakuieren, versucht Schettino den Unfall zu kaschieren. Die beunruhigten Passagiere werden überhaupt nicht informiert, gegenüber der Küstenwache spricht der Kapitän von einem Stromausfall. Erst um 22.38 Uhr setzt die Besatzung einen Notruf ab - da weiß die Küstenwache unter Leitung von Kapitän Gregorio de Falco dank des Anrufs einer verzweifelten Passagierin längst, dass ein Stromausfall noch das kleinste Problem auf der "Costa Concordia" ist.
Dem Spürsinn und der Hartnäckigkeit de Falcos ist es auch zu verdanken, dass nicht noch mehr der 4229 Menschen an Bord des Schiffes ihr Leben lassen. Während Schettino um seiner Karriere willen immer noch versucht, die Katastrophe zu vertuschen, koordiniert der Kapitän der Küstenwache zusammen mit dem Bürgermeister von Giglio längst die Evakuierungsmaßnahmen. Hubschrauber und Schnellboote ziehen all diejenigen aus dem Wasser, die vor lauter Verzweiflung vom sinkenden Schiff gesprungen sind. Immer wieder versucht de Falco, dem "Costa"-Kapitän ins Gewissen zu reden. Der aber sitzt längst in einem Rettungsboot und wird später aussagen, "aus Versehen" dort hineingerutscht zu sein - was laut übereinstimmender Zeugenaussagen gelogen ist. Als de Falco davon erfährt, platzt ihm der Kragen: "Vada a bordo, cazzo!" ("Gehen Sie zurück an Bord, verdammte Scheiße!") herrscht er Schettino per Funk an - erfolglos.
Wohin mit der "Costa Concordia"?

Abtransport, Plan B: Ein gewaltiges Halbtaucherschiff könnte die "Costa Concordia" huckepack nehmen, um den Meeresriesen endlich auf seine letzte Reise zu schicken.
(Foto: picture alliance / dpa)
Zurück in der Gegenwart wird überdeutlich, wohin Schettinos Hochmut, Feigheit und Unfähigkeit geführt haben. Wie ein Mahnmal liegt die "Costa Concordia" vor der Küste Giglios: Der rostende Kadaver vergrault nicht nur seit zwei Sommersaisons die Touristen von der Ferieninsel, auch die Umwelt leidet mit jedem weiteren Tag. Doch während sich Schettino selbst am Jahrestag der Katastrophe vor Gericht verantworten muss, gammelt das Wrack derzeit nur vor sich hin.
Schuld sind die Winter- und Frühlingsstürme, die eine endgültige Bergung bis Mitte April zu riskant machen. Dann endlich sollen auf jeder Seite des Schiffes jeweils 15 Schwimmkörper angebracht werden, die der "Costa Concordia" den nötigen Auftrieb verschaffen würden, um sie schließlich Mitte oder Ende Juni auf ihre letzte Reise zu schicken. Oder, und das wäre die deutlich spektakulärere Variante, man ruft die "Dockwise Vanguard" zu Hilfe: Das 275 Meter lange Halbtaucherschiff könnte sein Verladedeck 20 Meter unter die Wasseroberfläche absenken und den Kreuzfahrtriesen Huckepack nehmen - vom Prinzip her also der Sattelschlepper der Meere.
Doch wohin mit der "Costa Concordia"? Zwölf Häfen in der Türkei, Norwegen, Großbritannien, Frankreich, den USA und sogar China haben sich auf eine entsprechende Ausschreibung hin beworben. Sowohl der italienische Umweltminister Andrea Orlando als auch der deutsche Vorstandschef der Reederei Costa Crociere, Michael Thamm, würden allerdings einen der vier italienischen Häfen bevorzugen, die Interesse bekundet haben - je kürzer der Weg, desto geringer die Risiken für die Umwelt.
Am Ende wird dann aber wohl doch wie so oft der Kostenfaktor zum Zünglein an der Waage: Denn weder Genua noch Piombino, Civitavecchia oder Palermo verfügen über die nötigen Voraussetzungen, ein Wrack von so gigantischen Dimensionen zu zerlegen. Sie müssten ihre Abwrackwerften erst teuer erweitern - was sich natürlich auf den Endpreis auswirken würde. Schon jetzt belaufen sich die Bergungskosten allerdings auf 600 Millionen Euro - zum Vergleich: Der Bau des Schiffes schlug 2004 "nur" mit 450 Millionen Euro zu Buche.
Egal wie, wann und wohin es mit der "Costa Concordia" schließlich weitergeht, eines ist bereits jetzt sicher: Nick Sloane wird noch eine ganze Weile mit Augenringen dick wie Schleusentore herumlaufen, bevor sich der südafrikanische Bergungsspezialist schließlich seinen ganz persönlichen Traum verwirklichen kann: "Ich stelle mir vor, wie ich auf der Brücke der 'Concordia' stehe und eine Zigarre anzünde, während sie fortgezogen wird."
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Artikels übersetzten wir die Aussage von Gregorio de Falco ("Vada a bordo, cazzo!") anders. Die jetzige Übersetzung trifft es exakter.
Quelle: ntv.de