Panorama

Vor 100 Jahren Das Beben von Messina

Das Beben dauerte eine gute halbe Minute, schien aber endlos zu sein. Es riss Millionen Menschen verängstigt aus dem Schlaf und Zehntausende in den Tod. Kurz vor dem Morgengrauen ereilte dieses Drama das einst stolze Messina auf Sizilien: Die alte Barockstadt und auch das prächtige Reggio Calabria auf der anderen Seite der Meerenge zwischen Italiens größter Insel und dem Festland lagen in Trümmern.

Was Minuten nach dem Erdbeben der Stärke 7,1 folgte, nannte man damals noch nicht Tsunami: Zehn Meter hohe Flutwellen überrollten die bis dahin so zauberhafte Hafenstadt. Mehr als 80.000 Menschen kamen am 28. Dezember 1908 durch Europas folgenschwerste Naturkatastrophe des 20. Jahrhunderts um. Und Experten befürchten, dass sich das alles durchaus wiederholen könnte - womöglich in den nächsten 25 Jahren.

Das gewaltige Beben von 05.20 Uhr in der Meerenge von Messina, dort wo Sizilien und Kalabrien sich am nächsten kommen, machte im Nu tausende Gebäude dem Erdboden gleich - vor allem den Dom in beiden Städten, Basiliken, ganze Palastzeilen und damit das architektonische Erbe vergangener Jahrhunderte. Wer sich aus den Trümmern des Grauens retten konnte, versuchte in Messina zum Hafen zu gelangen, nur um von einer der drei riesigen Monsterwellen mitgerissen zu werden, die acht Minuten nach dem Beben alles unter sich begruben, was nicht niet- und nagelfest war. Wie viele Menschen in einstürzenden Häusern oder durch den Tsunami umkamen, das konnte nie genau gezählt werden. Unmittelbar nach der Katastrophe schrieb der "Corriere della domenica" noch - wie unter Schock - von etwa 200.000 Toten auf Sizilien und in Kalabrien.

Nahezu unmögliches Unterfangen

Wer das Beben überlebt hatte, der irrte ohne Dach über dem Kopf, ohne Brot und Wasser, durch die Schuttberge. In allem Unglück war diese schlimmste Naturkatastrophe dann aber auch ein frühes Beispiel einer gelungenen internationalen Hilfsaktion. "Als erstes kamen vier russische Marineschiffe, dann britische, deutsche und amerikanische Marineverbände", erläutert Alberto Quadrio Curzio von der Mailänder katholischen Universität. Das waren zusammen immerhin 30 Schiffe. Die Soldaten mussten ganz umsichtig in den Ruinen graben, um Verschüttete nicht zu gefährden. Nach und nach rollte aus ganz Italien ein Heer von Freiwilligen an. Die Menschen stifteten Geld, Essbares, Kleider. Das Chaos lud aber auch zum Missbrauch ein. So setzten geldgierige Krisenmanager die Retter lieber dafür ein, Geldschränke zu sichern.

"Ja, theoretisch kann das durchaus wieder passieren, wir wissen nur nicht, wann", so meint der römische Geologe Andrea Billi von der Universität Roma Tre. Und gerade dort will Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi sein Lieblingsprojekt, eine gigantische Brücke über die Meerenge, bauen lassen? "Ich denke, dass die Ingenieure heute in der Lage sind, dort eine Brücke zu errichten, die einem solch starken Beben standhalten kann", meint der Fachmann. Brückentechniker haben Berlusconi jedenfalls versprochen, seinen Milliarden-Traum vom "Ponte sullo Stretto" sicher zu machen: Auch Erdbeben der damaligen Stärke dürften den Pfeilern nichts anhaben können, selbst wenn sie höher als der Eiffelturm sein werden. Die Arbeit an der Brücke hat indes noch nicht begonnen. Was wird sein, wenn die Erde dort noch stärker bebt?

"Das Erdbeben vor 100 Jahren war ein historisches. Es war Teil des sich fortsetzenden Bebenzyklus in der Region, also bedingt durch die Verschiebung Siziliens in nordöstliche Richtung", sagt aber auch der römische Geologe Annibale Mottana. Und er warnt: "Wir benötigen daher vorsorgliche Schutzpläne für die Bevölkerung und ihre Umsiedelung in weniger gefährdete und von der Küste entfernte Gebiete." Solche Pläne in Italien umzusetzen, ist jedoch ein nahezu unmögliches Unterfangen. Das zeigten die erfolglosen Bemühungen der Regierung, die in der Nähe des Vesuvs bei Neapel wohnenden Massen mit finanziellen Anreizen dazu zu bewegen, aus der Gefahrenzone des Vulkans wegzuziehen. Ein neues Beben bei Messina zöge jedenfalls - wie gehabt - unermessliche Folgen nach sich. Das von 1908 hatte Schäden von umgerechnet 100 Milliarden Euro angerichtet und urbane Juwelen wie Messina untergehen lassen.

Quelle: ntv.de, Hanns-Jochen Kaffsack, dpa

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