Panorama

Die meisten Hotspots sind in NRW Die vierte Welle rollt von West nach Ost

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Die vierte Corona-Welle ist da, die Inzidenz klettert über 50. Doch die Zahlen steigen sehr unterschiedlich. Während vor allem in NRW die Inzidenzen schon enorm hoch sind, sind sie in weiten Teilen Ostdeutschlands noch sehr niedrig. Woran könnte das liegen und wie problematisch ist die Entwicklung?

Anfang Juli lag die bundesweite 7-Tage-Inzidenz noch bei fünf Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, seitdem steigt sie kontinuierlich und immer schneller an und steht aktuell kurz vor der 60. Doch die vierte Welle rollt nicht gleichmäßig durch Deutschland. Im Westen türmt sie sich bereits hoch auf, während sie im Osten vielerorts noch gar nicht begonnen hat.

Neun von zehn Hotspots in NRW

Dunkelrot leuchtet auf der Deutschlandkarte Nordrhein-Westfalen, dessen Inzidenz heute schon 103 erreicht hat. Neun der zehn Landkreise und Städte mit den höchsten Fallzahlen befinden sich in dem Bundesland. Leverkusen führt die Liste mit 205 an, gefolgt von Solingen (170) und Bielefeld (162).

Hinter Nordrhein-Westfalen zählen derzeit die Stadtstaaten Hamburg mit 71,6 und Berlin mit 67,1 Fällen die meisten Neuinfektionen. Dabei ist die Hauptstadt ein Ausreißer im Osten, denn ansonsten zählen derzeit die fünf neuen Bundesländer die niedrigsten Inzidenzen. In Sachsen-Anhalt und Thüringen ist der Wert mit rund 13,5 noch besonders tief. Auch Sachsen verzeichnet nur knapp 16 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Es folgen Brandenburg mit etwa 26 und Mecklenburg-Vorpommern mit rund 30.

Viele Ansteckungen bei Familienbesuchen im Ausland

Sars-CoV-2 ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch - diesmal aber unter anderen Vorzeichen.

Sars-CoV-2 ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch - diesmal aber unter anderen Vorzeichen.

(Foto: imago images/MiS)

Die Entwicklung ist umso erstaunlicher, da die dritte Welle im Winter vor allem im Osten sehr hoch war und lange nicht abflauen wollte. Für Bertram Häussler hat das einen einfachen Grund. Im Grunde wiederhole sich die Situation des vergangenen Jahres, "dass im Grunde genommen die Kreise, die die höchsten Ausländeranteile haben, auch wieder die höchsten Inzidenzen haben", sagte der Medizinstatistiker des IGES-Instituts dem MDR. Denn viele Menschen mit ausländischen Wurzeln kehrten in den Ferien in die Heimat zurück.

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Laut Bundeszentrale für Politische Bildung lebten 2019 in der Bundesrepublik von rund 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund 2019 mehr als 95 Prozent in Westdeutschland, in den neuen Bundesländern gibt es also so gut wie keine Reiserückkehrer, die ihre Familien im Ausland besucht haben.

Westliche Ballungsräume mit höherem Migranten-Anteil

Mit fast 26 Prozent hat NRW den mit Abstand höchsten Anteil an Einwanderern und deren Nachfahren. Auf den Plätzen 2 und 3 liegen Baden-Württemberg und Bayern mit rund 17 und 16 Prozent. Die Stadtstaaten Bremen (36,5 Prozent), Hamburg (33,9 Prozent) und Berlin (33,1 Prozent) haben den größten Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund, auch in Hessen (34,4 Prozent), Baden-Württemberg (33,8 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (30,8 Prozent) ist er sehr hoch. In den neuen Bundesländern beträgt er dagegen nur 8,2 Prozent.

Besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund haben türkische Wurzeln, es sind fast 1,5 Millionen. Und die Türkei ist das Land, dass laut RKI fast 2700 Mal in den vergangenen vier Wochen als wahrscheinlicher Ansteckungsort genannt wurde, gefolgt von Spanien und Kroatien mit rund 1200 und 1000 Fällen.

Auch ländliche Regionen betroffen

Die meisten Menschen mit ausländischen Wurzeln leben zwar in Ballungsgebieten, aber auch in ländlich geprägten Regionen scheinen derzeit Reiserückkehrer einen hohen Anteil am Infektionsgeschehen zu haben - selbst wenn die großen Ferien erst vor rund drei Wochen begonnen haben, wie ein Blick nach Bayern zeigt. Der Freistaat selbst hat an sich keine sehr hohe Inzidenz (43,6), aber in der südlichen Landeshälfte befinden sich etliche Hotspots.

Der Landkreis Eichstätt zählt beispielsweise rund 66 Neuinfektionen. Dort sagte die Leiterin der Koordinierungsgruppe Corona im Landratsamt dem "Donaukurier", rund die Hälfte der derzeit Infizierten seien Reiserückkehrer, vor allem aus Kroatien. Das hält auch die Münchner Virologin Ulrike Protzer für gut möglich. Südbayern habe ebenfalls einen großen Anteil an ausländischer Bevölkerung, sagte sie dem MDR.

Dazu dürfte der Tourismus in einigen Regionen Bayerns die Inzidenzen in die Höhe treiben. Viele Urlauber könnten auch der Grund dafür sein, dass Mecklenburg-Vorpommern unter den neuen Bundesländern mit rund 30 Neuinfektionen relativ viele Neuinfektionen aufweist.

Sozioökonomische Faktoren sehr wichtig

Die Reiserückkehrer bilden oft Schnittmengen mit anderen Bevölkerungsgruppen, in denen es häufiger zu Infektionen kommt. Eine Analyse des Berliner Senats kam im vergangenen Herbst zu dem Ergebnis, dass ein geringes Einkommen beziehungsweise Arbeitslosigkeit, beengte Wohnverhältnisse und ein hoher Migranten-Anteil maßgebliche Faktoren für höhere Inzidenzen sind.

"Grundsätzlich ist festzustellen, dass Bezirke, die eine ungünstigere Sozialstruktur aufweisen sowie dichter besiedelt sind und in denen weniger Frei- und Erholungsflächen zur Verfügung stehen, signifikant stärker von der Covid-19-Epidemie betroffen sind", heißt es im Fazit der Analyse. Das RKI stellte ebenfalls fest, dass unter anderem Beruf, Einkommensstruktur, Bildungsniveau oder Wohnverhältnisse relevant sind.

Hohe Impfquote ändert Bedingungen grundlegend

Obwohl es dazu keine offiziellen Zahlen gibt, scheinen sich ein Migrationshintergrund und ein niedriger sozioökonomischer Status auch negativ auf die Impfbereitschaft auszuwirken. Das geht unter anderem aus einer Befragung der Gutenberg Covid-19 Studie hervor.

Inzwischen sind fast 60 Prozent der Gesamtbevölkerung beziehungsweise mehr als 66 Prozent der Bevölkerung über 12 Jahren vollständig geimpft. Das hat die Bedingungen im Vergleich zum August 2020 grundlegend verändert.

Gesamtinzidenz wertlos, Altersinzidenzen entscheidend

Das führt zunächst mal dazu, dass die Aussagekraft der Gesamtinzidenzen gegen null strebt. Stattdessen muss man die Werte der einzelnen Altersgruppen betrachten. Da zuerst die Älteren dran waren, steigen die Fallzahlen vor allem bei den jüngeren Menschen. So waren bundesweit schon am 15. August die 7-Tage-Inzidenzen der 15- bis 19-Jährigen und 20- bis 24-Jährigen mit 87 und 94 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner besonders hoch.

Regional sind die Fallzahlen bei den jungen Menschen teilweise noch extremer nach oben gegangen, und oft sind auch wesentlich mehr Kinder als im Bundesdurchschnitt betroffen. Das spielt auch eine Rolle bei den vergleichsweise hohen Inzidenzen von Migranten-Familien, da sie oft kinderreich sind. In Köln beispielsweise beträgt die Inzidenz bei den 0- bis 14-Jährigen bereits 277, in der Altersgruppe bis 34 Jahren liegt sie bei 173. Insgesamt zählt die Stadt derzeit knapp 134 neue Fälle pro Woche und 100.000 Einwohner.

In Berlin liegen die Inzidenzen bei den jüngsten Altersgruppen mit 133 und 101 ebenfalls am höchsten. Die sehr detaillierten Angaben der Hauptstadt zeigen, dass der Wert bei den 12- bis 14-Jährigen sogar schon fast 220 erreicht hat und auch bei den 15- bis 19-Jährigen sich schon der 165 nähert.

Noch zu wenig über 60-Jährige geimpft

Die relativ hohe Impfquote bedeutet außerdem, dass eine hohe Inzidenz alleine kein Grund ist, sich allzu große Sorgen zu machen, solange vor allem Jüngere sich anstecken, deren Risiko, schwer zu erkranken, sehr niedrig ist. Lässt man die noch nicht ausreichend erforschte Long-Covid-Gefahr außen vor, gilt es, vor allem die Fallzahlen der über 60-Jährigen im Auge zu behalten. Denn auch in dieser Altersgruppe sind immer noch 17 Prozent nicht vollständig geimpft.

So hat unter Umständen der Landkreis Mainz-Bingen in Rheinland-Pfalz ein viel größeres Problem, obwohl seine Gesamtinzidenz mit 39 viel niedriger als in Köln oder Berlin ist. Denn dort beträgt der Wert bei den besonders vulnerablen über 80-Jährigen 85,5.

Tatsächlich gab es in dem Kreis einen Ausbruch in einem Altenheim, wie "Nahe-News" berichtet. Dabei handelt es sich offenbar um Impfdurchbrüche, dem Kreisbeigeordnetem Erwin Malkmus zufolge blieb es aber überwiegend bei leichten Krankheitsverläufen.

Der Osten darf sich nicht zu sicher fühlen

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Man sieht also, dass hohe Inzidenzen bei hohen Impfquoten an sich kein Drama sind - vor allem, wenn die sehr alten Menschen geschützt sind. Und was das betrifft, stehen Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin mit 86, 82 und 85 Prozent vollständig geschützten über 60-Jährigen schon ganz gut da, obwohl auch das bei sehr vielen Ansteckungen im Herbst und Winter noch nicht ausreicht.

Andererseits dürfen sich vor allem Sachsen, Brandenburg und Thüringen nicht darauf verlassen, dass ihre Inzidenzen niedrig bleiben. Denn sie haben bei den über 60-Jährigen mit 75, 78 und 79 noch erschreckend niedrige Impfquoten.

Quelle: ntv.de

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