Luxusinsel Saint Barth Oligarchen verlassen Klein-Russland in der Karibik
29.07.2022, 10:26 Uhr (aktualisiert)
Die franzöische Insel Saint-Barthélemy in der Karibik war jahrelang ein beliebter Urlaubsort russischer Oligarchen.
(Foto: imago images / robertharding)
9000 Kilometer entfernt von Moskau liegt ein Sehnsuchtsort russischer Oligarchen: Im französischen Überseeparadies Saint-Barthélemy in der Karibik ankern jedes Jahr unzählige Riesenjachten reicher Russen. Doch seit Putins Ukraine-Invasion sind die Jachten weg und auch der bei Inselbewohnern beliebte Roman Abramowitsch kommt nicht mehr.
Weißer Sand, kristallklares Wasser, sündhaft teurer Wein, überall Luxusgeschäfte. So sieht das Paradies für Superreiche aus. Gezahlt wird in Euro, Amtssprache ist Französisch und Emmanuel Macron ist Staatsoberhaupt. Saint-Barthélemy, häufig einfach Saint Barth genannt, ist ein französisches Überseegebiet, Tausende Kilometer vom europäischen Festland entfernt. Und es ist ein Eldorado für Superreiche, vor allem für russische Oligarchen.
Saint Barth gehört zu den Kleinen Antillen, einer Inselkette, die sich von den Amerikanischen und Britischen Jungferninseln im Norden bis zur venezolanischen Isla Margarita im Süden der Karibik erstreckt. Nachbarinseln von Saint Barth sind das niederländisch-französische St. Martin mit seinem weltberühmten Flughafen und der Zwergstaat St. Kitts und Nevis.
Saint Barth ist selbst für karibische Verhältnisse winzig, kaum größer als Hiddensee, fünfmal kleiner als Sylt. Nur 10.000 Menschen leben permanent auf Saint-Barthélemy, in der Haupturlaubssaison von Dezember bis April sind es viel mehr. Vor allem Prominente bevölkern die Insel. Von Leonardo DiCaprio über Dua Lipa bis Sean Penn oder Mike Tyson, sie alle lieben das exklusive Luxus-Eiland. Vielleicht auch, weil die Stars auf Saint Barth kaum auffallen. Im Schatten der Superreichen und Milliardäre wie Jeff Bezos oder vor allem den russischen Oligarchen, die den Großteil der Luxusurlauber auf der Insel ausmachen.
Luxusläden prägen die Inselhauptstadt
"Für die Amerikaner ist Saint Barth eine schicke Hochzeitsinsel. Für Menschen mit viel Geld ist die Insel ein Magnet, weil an der Hauptstraße am Hafen Dior, Hermès, Louis Vuitton und andere Luxusläden alle gleich nebeneinander sind", erzählt Karin Binz im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Sie bereist mit ihrem Mann Holger seit vielen Jahren die Weltmeere. Nicht auf einer Oligarchen-Jacht, sondern mit ihrem Segelboot, der "Rivercafe".
In ihrem Blog "sailrivercafe.com" berichten die beiden über ihre Reisen. Und schreiben auch über Aufenthalte auf Saint Barth. Schon vier Mal waren sie im karibischen Oligarchen-Paradies. Die superreichen Russen sind ihnen sofort aufgefallen. Es gibt kaum einen zweiten Ort auf der Welt, an dem gleichzeitig so viele Megajachten auf engem Raum liegen wie im Hafen der Inselhauptstadt Gustavia.
Die Oligarchen selbst und ihre Freundinnen oder Ehefrauen bevölkern dann die Luxusläden in der Innenstadt. "Sie gucken auch nie nach dem Preis. Die gehen in die Läden, zeigen auf Dinge und sagen: Das möchte ich gerne haben. Die Verkäuferinnen sind oft äußerst überfordert und auch etwas genervt. Aber die Superreichen bringen eben das Geld", erzählt Karin Binz. "Diese Respektlosigkeit ging den Menschen auf der Insel aber schon unheimlich auf die Nerven", ergänzt ihr Mann Holger.
Abramowitsch auf Saint Barth beliebt
Doch nicht alle haben schlechte Erfahrungen mit den Oligarchen gemacht. Ein Insulaner sagte dem Magazin "Business Insider", dass viele Menschen auf Saint Barth gar nicht wollen, dass der Ultrareichen-Tourismus aufhört.
Vor allem Roman Abramowitsch hat auf der Insel tatsächlich einen guten Ruf. Von einem "wunderbaren Menschen" ist die Rede. Mit den Sanktionen gegen ihn hätten Frankreich und die EU "einen Fehler gemacht", sagt ein lokaler Privatkoch, der nach eigener Aussage schon ein Dutzend Mal für Abramowitsch gearbeitet hat, dem Magazin "Forbes". "Abramowitsch ist einer der wenigen Megareichen, die sich ordentlich verhalten, hat uns eine Verkäuferin in einem Möbelladen auf Saint Barth gesagt", berichtet Karin Binz.

Kurz nach Kriegsbeginn hat Abramowitsch seine "Eclipse" aus der Karibik in die Türkei bringen lassen.
(Foto: REUTERS)
Für Roman Abramowitsch ist Saint Barth eine Art zweite Heimat geworden. Schon seit einigen Jahren verbringt der Multimilliardär viele Urlaube auf der Insel, seine Megajacht "Eclipse" ankert regelmäßig vor Gustavia. 2009 hat Abramowitsch auf der Karibikinsel eine Villa für 90 Millionen Dollar gekauft. Dieses Anwesen hat Frankreich nach Beginn des russischen Krieges beschlagnahmt.
Laut "Forbes" besitzt Abramowitsch mitten in Gustavia noch eine zweite Immobilie. Das Gebäude ist nur halbfertig, kurz nach Kriegsbeginn wurden die Bauarbeiter abgezogen. 2010 bezahlte Abramowitsch mit vier Millionen Dollar den Wiederaufbau des örtlichen Fußballstadions, sieben Jahre später nach Hurrikan "Irma" dessen Renovierung. Und er finanzierte laut "Forbes" die Reparatur eines Salzwasserteichs, der für das lokale Ökosystem wichtig ist.
Die Superreichen sind für Saint Barth nicht nur wegen solcher Spenden ein wirtschaftlicher Segen. Liegegebühren für die Jachten, hohe Umsätze in den Luxusgeschäften, sündhaft teurer Wein, der in den exquisiten Restaurants verkauft wird - teilweise für bis zu 20.000 US-Dollar pro Flasche: All das treibt viel Geld in die Inselkassen.
Super-, Mega- und Gigayachten
Doch seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat sich das Leben auf der karibischen Trauminsel verändert. Die russischen Oligarchen sind weg und kommen so bald nicht wieder. Die Insel ist zwar halbautonom und kein direkter Teil der Europäischen Union, unterliegt aber französischem Recht. Und deshalb auch den Sanktionen. "Ein Hafenmeister auf der Nachbarinsel Saint Martin sagte uns mal, dass 60 Prozent aller Superjachten und mindestens 90 Prozent aller Megajachten auf Saint Barth von Russen kontrolliert würden", erzählt Holger Binz im Podcast.
Superjachten sind zwischen 24 und 80 Meter, Megajachten bis zu 100 Meter lang. Alles darüber hinaus wird als Gigajacht bezeichnet. Dazu zählt auch die "Eclipse" von Roman Abramowitsch. Seine Gigajacht ist mit 163 Metern Länge die viertlängste der Welt.
Normalerweise machen sich die großen Jachten im Mai - nach Ende der Hauptsaison - wieder auf den Weg Richtung Europa. In diesem Jahr sind die Jachten der russischen Oligarchen mindestens zwei Monate früher abgereist. Kurz nach Kriegsbeginn haben sie ihre Jachten in Sicherheit gebracht. Aus Angst, dass sie wegen der Sanktionen beschlagnahmt werden.
Ohne die großen Jachten sehe der Hafen von Gustavia jetzt fast schon beschaulich aus, erzählen Karin und Holger Binz. "Die Atmosphäre ist wesentlich entspannter. Die Ladenbesitzer freuen sich, wenn man in den Shop reinkommt. Vorher war jedes Geschäft überfüllt."
Kaum "normaler" Karibik-Tourismus
Doch eine ganze Hauptsaison über - von Dezember bis April - keine russischen Oligarchen, also viel weniger Superreiche, das kann sich Saint Barth wirtschaftlich kaum erlauben. Die Insel ist auf Luxustourismus ausgerichtet. Der "normale" Karibik-Tourist verirrt sich selten auf die Insel, auch weil sie so schwer erreichbar ist. Direktflüge zum winzigen Flughafen gibt es nur von den Nachbarinseln aus. Wer aus Europa anreist, fliegt mit KLM oder Air France von Amsterdam oder Paris zum Internationalen Flughafen auf St. Martin und von dort weiter mit einer kleinen Propellermaschine nach Saint Barth.

Für den riskanten Anflug auf den Flughafen von Saint Barth brauchen Piloten eine spezielle Lizenz.
(Foto: imago/robertharding)
Deutlich schneller kommen US-Amerikaner auf die Insel. Auch sie müssen auf St. Martin umsteigen, aber von Florida oder New York aus dauert der Flug in die Karibik nicht neun, sondern nur drei bis vier Stunden.
"Die Insel wird enorme Veränderungen erleben. Die Chance für Saint Barth besteht darin, dass wieder mehr Amerikaner kommen. Ich hatte schon das Gefühl, dass die in den vergangenen Jahren auch etwas abgehalten wurden von der überwiegend russischen Klientel", vermutet Holger Binz im Podcast. Ein großflächiger Zusammenbruch des Tourismus hätte dagegen fatale Folgen, ist der Weltumsegler überzeugt. "Dann wird es für Saint Barth wirklich schwierig, wenn die ganzen Luxusgeschäfte eines Tages leer stehen würden. Das sind ja ganze Straßenzüge."
Millionäre statt Milliardäre
Luxusgeschäfte und teure Restaurants hoffen jetzt auf US-amerikanische Millionäre statt russischer Milliardäre. Die kommen zwar in der Regel nicht mit Mega- oder Gigajachten, aber dafür immer noch mit genügend Geld. Die vergangenen Urlaubssaisons seien "eine Nummer zu dekadent" gewesen, findet Holger Binz. Jetzt habe Saint Barth die Chance, "mal durchzuatmen".

Seitdem keine russischen Oligarchen mehr kommen, sind auch die großen Jachten auf Saint Barth weniger geworden.
(Foto: picture alliance / Bildagentur-online/Webeler-McP)
Aber es brauche eben dringend eine neue Tourismusstrategie. Und Perspektiven für die Inselbewohner. "Ich glaube, stand jetzt ist es eine gewisse Erleichterung, dass sie die Insel mal wieder für sich haben. Aber das kann ja nicht so bleiben."
Zumal die Auswirkungen nicht nur Luxusläden und Gourmetrestaurants treffen, sondern etliche weitere Branchen. "Viele Oligarchen besitzen auch überteuerte Villen. Dahinter steckt auch eine wahnsinnig große Industrie. Ich habe in meinem Leben noch nie so viele Poolreiniger oder Gärtner gesehen wie auf Saint Barth. Die wird das auch alle betreffen", ergänzt Holger Binz.
Saint-Barthélemy steht vor einem großen Umbruch. Weniger Dekadenz, weniger Megajachten, vielleicht etwas preiswerterer Wein. An Ostern durfte sogar ausnahmsweise am Strand gecampt werden. Saint Barth geht neue Wege.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+, Apple Podcasts und Spotify. "Wieder was gelernt" ist auch bei Amazon Music und Google Podcasts verfügbar. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.
Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de
(Dieser Artikel wurde am Montag, 25. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de