
Unbeschwerte Tage genießen - und ab und zu echt mal dankbar sein. Dann kann man Glück neu definieren.
Die Kolumnistin hat im Urlaub viel gelesen, ein Buch auf ihrer Liste klingt so gar nicht nach Urlaub. Es heißt "Sterben im Sommer" und spricht ihr aus der Seele. Was Brad Pitt damit zu tun hat und dass sie eigentlich ganz lustig ist, lesen Sie hier.
Wer ist man in den Ferien? Ist man anders als zu Hause, im Alltag? Die meisten geben sich zumindest redlich Mühe: Flatterkleider und lockere Grundstimmung werden hervorgezaubert, wenn möglich, der Teint auf knusprig getrimmt - im Urlaub wollen wir unser anderes Ich zeigen. Wir wollen großzügiger sein, mehr lachen, Fünfe gerade sein lassen, nicht ständig über das Leben und die Welt nachdenken (oder erst recht?), wir wollen, wir müssen uns erholen. In ein paar Tagen oder Wochen, die dann wieder für längere Zeit reichen müssen. Der Akku ist dann aufgeladen, hoffentlich, wir haben Kraft und Zuversicht und überlegen bereits, wo es das nächste Mal hingehen soll.
Wir haben gute Vorsätze - mehr an die frische Luft, mehr Fahrradfahren, mehr Sport, weniger Essen, fast wie am 1.1. eines jeden Jahres - und dann kommt der Alltag und überfällt uns von hinten, schleicht sich heran wie ein Panther, schlägt zu, zack, sind wir wieder in der Falle. Ich nehme mich da nicht aus. Ich habe mir aber vorgenommen, wirklich darauf zu achten, alles langsamer angehen zu lassen. Mir mehr zu gönnen, öfter nein zu sagen, ruhiger zu bleiben. Mal sehen, wie lange ich das durchhalte.
Schwere Kost im Sommer
Eigentlich wollte ich Ihnen aber erzählen, was ich gelesen habe. Ich habe über die letzten Wochen das Buch "Sterben im Sommer" von Zsuzsa Bánk gelesen. Ein Freund fragte mich, warum ich denn so schwere Kost lesen würde, am Strand, warum kein Krimi oder was Lustiges. Weil ich Krimis gar nicht so gerne mag und mich zu Tode grusele - bis auf Ausnahmen - und weil ich gerne Bücher lese, die mit meinem Leben zu tun haben. Die mir was sagen, vielleicht sogar helfen, ohne Ratgeber zu sein, die mich begleiten.
"Sterben im Sommer" also ist ein starker Kontrast zu den Schlagzeilen, die mich sonst über die letzten Wochen von den Kiosken anschreien: "Heidis geheime Liebesinsel", "Julia und Jörg - Schwer verliebt auf Sylt", "Hakoon macht Urlaub mit Skandalsohn Marius", "Eva Longoria beim Sandförmchen-kaufen" und so weiter, Sie kennen das. Die Stars planschen in St. Tropez, neuerdings sind alle Amis auf Malle, oder man fährt Schnellboot vor St. Barth. Einzig und allein die Dauerflitterer Jeff Bezos samt Gattin müssen sich mit der geschwätzigen Verwandtschaft rumstreiten und Brad Pitt den Tod seiner Mutter betrauern (die die Enkelkinder nicht mehr sehen konnte wegen der Streitereien mit Angelina, was für eine schlimme Familie, aber das ist eine andere Geschichte).
Die ersten Male
Wenn ich nun so lange Ferien gemacht habe, werden Sie sich vielleicht fragen, warum habe ich da nur ein Buch geschafft? Erstens stimmt das nicht, denn es waren auch andere darunter (hier nachzulesen), aber dieses Buch von Zsuzsa Bánk, das habe ich mir auf der Zunge zergehen lassen. Müssen. Das heißt, ich habe es hin und wieder weggelegt, weil es nichts ist, was man mal eben schnell so weg liest. Könnte man, denn es ist exzellent geschrieben, aber ich habe an vielen Stellen erst einmal nachdenken müssen. Herrlich, dass man dazu in den Ferien kommt.
Bánk beschreibt den Tod ihres Vaters, und die Zeit danach. Ich bin ein halbes Jahr zurück, denn das Buch endet mit dem ersten Todestag des Vaters, und den habe ich noch vor mir. Ich befinde mich also in diesem Jahr der ersten Male (erstes Ostern, erste Ferien, erster Geburtstag, erstes Weihnachten und so weiter ohne die gestorbene Person). Früher gab es diese offizielle Trauerzeit, und ich weiß nicht, wie lange man trauern "musste", wie lange man in Schwarz zu gehen hatte, wie lange man nicht lachen durfte und dem gesellschaftlichen Leben fernblieb. Ich muss auch feststellen, dass das nichts für mich ist. Wenn ich mich zurückziehen würde, dann wäre das kaum auszuhalten, diese Trauer, denn es ist ja nicht nur ein geliebter Mensch tot, sondern auch das alte Ich. Also das eigene alte Ich. Ich bin nun keine aktive Tochter mehr, ich bin quasi die Nächste. Mein Tipp gegen die Trauer ist daher, sich möglichst wenig schwarz anzuziehen, Gesellschaft zu suchen und das Leben zu feiern. Denn das hätte mein Vater auch gemacht. Ich weiß es, denn ich habe ihn ja über 50 Jahre erleben dürfen.
Voll ins Herz
Ich kann "Sterben im Sommer" nur wärmstens empfehlen. Wenn Sie gerade um jemanden weinen, jemanden vermissen oder Ihnen der ganze Schlammassel noch bevorsteht. Denn Bánk schreibt direkt aus ihrem Herzen, und in meinem Fall direkt in mein Herz hinein. Sie findet es unzumutbar, dass andere alte Menschen noch leben, versteh' ich voll, genau meine Gedanken. Meine Eltern hätten so super gern noch weiter gelebt, sie hätten noch so viel machen, erleben, geben und bekommen können. Dafür leben andere weiter, die das gar nicht zu schätzen wissen.
Es ist eine Art Neid, der mich manchmal erfasst, und dank Zsuzsa Bánk weiß ich, dass ich mit diesem uncoolen Gefühl nicht allein bin. Immer hatte ich mir vorgestellt, dass meine Eltern gemeinsam steinalt werden, die Geburtstage, Schul- und Uni-Abschlüsse, Hochzeiten ihrer Enkel mitfeiern würden. Das ist so gemein, denke ich oft, und Bánk schreibt sogar: "Es ist dumm und beleidigend, es ist unverständlich, warum unsere Eltern gehen müssen. Und dass sie es eines Tages wirklich tun, ist unzumutbar."
Nun, werden Sie ganz rational sagen, es ist der Lauf der Dinge, besser die Eltern als man selbst oder gar die Kinder. Und das ist auch richtig, aber dieser fundamentale Verlust haut doch mehr ins Kontor als gedacht. Bánk schreibt so wunderschön: "Mein Vater hat die Familie zusammengehalten, um ihn haben wir uns gerankt. Äste an einem Stamm, Blätter an einem Zweig. Er hat uns geerdet, aber auch davon flattern lassen. (...) Das Leben ohne ihn müssen wir noch erfinden. Wir haben soeben erst angefangen einzusehen, dass es ihn nicht mehr gibt. Eine Freundin hat gesagt, ihr wart eurem Vater immer so nah. Ja, das waren wir: unserem Vater immer so nah."
Und ich füge hinzu: unserer Mutter auch. Das soll nicht verklärend wirken oder kitschig, ich kann mich an alle unsere Fehler, alle Gemeinheiten und allen Blödsinn, der in Familien so vorkommt, erinnern. Das Leben geht weiter, stimmt, und das ist auch gut so. Aber es geht anders weiter. Und das habe ich nach diesem Sommer, dem ersten Sommer komplett ohne Eltern, ohne die Sorge um sie, den Anruf ("Ich bin angekommen", "Ich bleibe länger", "Wie geht es euch?") verstanden. Intellektuell verstanden. Ich habe aber noch ein halbes Jahr voller erster Male vor mir.
Quelle: ntv.de