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Das Spiel des Erwachsenwerdens Ewald Arenz lebt "Zwei Leben"

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Ein bisschen autobiografisch, aber dennoch aus der Perspektive der Frau: Ewald Arenz erzählt in "Zwei Leben" vor allem vom Weitermachen.

Ein bisschen autobiografisch, aber dennoch aus der Perspektive der Frau: Ewald Arenz erzählt in "Zwei Leben" vor allem vom Weitermachen.

(Foto: IMAGO/APress)

"Zwei Leben" heißt das neue Buch von Ewald Arenz, und es landet - natürlich - in den Bestsellerlisten des Landes. Im Roman beschreibt er die Lebensläufe zweier Frauen; im echten Leben fährt er auch zweigleisig: Er ist trotz des literarischen Ruhms noch immer Lehrer. Denn Bildung weiterzugeben, empfindet er als Privileg.

Ewald Arenz trägt gar nicht ständig eine Fliege, sondern auch mal Krawatte, ist aber auf jeden Fall sehr korrekt gekleidet. Das ist gut so, denn neben seiner überaus erfolgreichen Tätigkeit als Autor von Bestsellern ist er auch noch (immer) Lehrer. In einer Schule bietet es sich an, anständig angezogen zu sein, denn man will ja Vorbild sein für die Jugend - die selbige gern in der Jogginghose verbringt, aber da ist ein Lehrer wie Ewald Arenz großzügig. Wie er überhaupt sehr entspannt rüberkommt und so wenig hat von den Lehrern, von denen einem die eigenen Kinder oder die der Freunde erzählen: Ungerecht, unlustig, ungeduldig, unvorbereitet, unpässlich. Er unterrichtet momentan Mittel- und RealschülerInnen, die ans Gymnasium übergetreten sind. "Die kommen alle als gute Schüler", sagt er ntv.de. "Denen kann ich doch nicht sagen, naja, ein Drittel von euch wird das eh nicht schaffen, ihr werft sowieso hin."

Arenz versucht es mit dem Gegenteil: Er sagt den jungen Menschen zwar, dass sie fortan wahrscheinlich schlechtere Noten haben werden, denn es ist eine andere Leistungsstufe, auf der sie sich jetzt bewegen werden, aber das Ganze sei irgendwie auch ein Spiel. Ein Spiel? "Ja, das Spiel des Erwachsenwerdens!" Er gibt zu: "Ich bin selbst durchgefallen, sogar in einem der Fächer, die ich heute unterrichte." Das kann also nur Englisch oder Geschichte sein. "Englisch", sagt er und lacht, weil er weiß, wie beruhigend das für Horden von Schülern und Schülerinnen sein muss, dass man Lehrer werden kann, obwohl man mal durchgefallen ist. Das müssen auch seine Kinder sich gedacht haben, die teilweise denselben Beruf ergriffen haben, ohne dass es, laut seiner Aussage, jemals so aussah, als würden sie das wollen.

"Da geht noch was!"

Aber wenn man Lehrer oder Vater Arenz vor der Nase hat, dann fühlt man sich verstanden: "Ich weiß wirklich, wie es ist, mit schlechten Noten nach Hause zu kommen, obwohl man supertolerante Eltern hat: Man fühlt sich scheiße. Aber ich weiß auch, dass da immer noch mehr geht, man muss es nur aus sich herausholen." Der Autorin dieser Zeilen fällt augenblicklich ein Stein vom Herzen, denn als ehemalige schlechte Schülerin (nicht immer) und überaus tolerante Mutter erinnert sie sich daran, wie oft sie schon dachte: "Hätte ich das doch nur früher gewusst, dann hätte ich das vielleicht gern gelernt!" Sich nun von einer echten Lehrkraft bestärkt zu fühlen, macht vieles wett.

Wir wollen aber vorwiegend gar nicht über Arenz' ursprüngliche Profession reden - und das würde so auch nicht stimmen, denn bevor Arenz Lehrer wurde, hat er viele andere Jobs gemacht. Wenn man über seine Bücher spricht, dann kann es jedoch nicht nur um seinen aktuellen Roman - "Zwei Leben" - gehen, ohne andere - "Die Liebe an miesen Tagen", "Alte Sorten" oder "Der große Sommer" zum Beispiel - zu nennen.

"Zwei Leben" jedenfalls klingt so, als könnte das Buch auch eine Frau geschrieben haben, und das ist natürlich ein Kompliment. Es geht um zwei Frauen, die Perspektive ist weiblich, was hat er sich denn dabei gedacht, der Herr Arenz? Er lacht: "Jetzt rufen Sie mal Donna Leon an und fragen sie, wie sie ihre Krimis um Commissario Brunetti angelegt hat." Nach seiner Aussage hat er sich anfangs sowieso keine Gedanken gemacht: "Ich wusste nur, dass es die Perspektive zweier Frauen sein muss. Und ich erinnere mich an meine Kindheit in einem riesigen, alten, kalten, steinernen Pfarrhaus, das aber trotzdem toll war, in einem fränkischen Dorf, und an meine Mutter. Da muss ich sieben gewesen sein, und meine Mutter wollte wieder arbeiten."

Arenz weiß noch, wie seine Eltern sich aufgeregt haben über die Tatsache, dass der Vater der Mutter tatsächlich eine Arbeitserlaubnis geben musste. "Mein Vater fand das hoffnungslos veraltet", erinnert er sich, vor allem, weil die Mutter eine so patente und starke Frau war. "Mein Vater war eher ein Philosoph. Meine Mutter konnte mit dem Schraubenzieher umgehen, und mein Vater hat das Taschengeld bekommen", lacht er, als er daran denkt, wie es bei ihm zu Hause damals zugegangen ist.

"Und da hakt es doch!"

In den Leistungskursen, die er gibt, Englisch und Geschichte, sitzen meist mehr Mädchen. Und er wundert sich, dass die Mädchen denken, im Hinblick auf das Thema Emanzipation wäre bereits alles erledigt. "Für euch ist noch gar nicht alles erledigt, sage ich denen dann", und dass es zwar stimme, dass an den Unis 60 Prozent weibliche Studierende säßen und dann 55 Prozent einen Doktor machen würden, aber was ist danach? Eine Frau muss ihren Mann nicht mehr um Erlaubnis bitten, arbeiten zu gehen, aber "an den Unis lehren nur 15 Prozent Professorinnen", sagt Arenz seinen Schülerinnen, "da hakt es doch!"

Sicher, es kommt irgendwann die Familiengründung, aber in einer Beziehung darf man von seinem Partner oder seiner Partnerin finanziell nicht abhängig sein, findet der 58-Jährige, "es reicht doch schon das Emotionale". Was ihn vollends richtig stutzig macht, ist das komplett Rückwärtsgewandte: "Da posten Frauen sich auf Instagram und TikTok beim Kochen und Backen und sehen so aus, als hätten sie noch nie ihre vier Wände verlassen", wundert er sich, "aber die mögen das. Und andere mögen es, sich das anzuschauen."

Arenz ist der älteste Bruder von sechs jüngeren Geschwistern, er hat noch drei Brüder und drei Schwestern, man kann sich vorstellen, dass es allein in dieser Familie unendlich viele Geschichten zu erzählen gibt - die in seinen Romanen eine Rolle spielen? "Ich selbst komme in 'Zwei Leben' nicht vor", sagt er ntv.de im Gespräch, "es sind eher die Bilder meines siebenjährigen Ichs Anfang der Siebzigerjahre." Um es für ihn abzurunden und weil der Kontrast zum Jetzt so riesig ist, ist er in das Dorf seiner Kindheit zurückgekehrt, literarisch. Es war eine Zeit, als die Bauern und andere Dorfbewohner zum Pfarrer gekommen sind, nicht nur um zu beten und zu beichten, sondern auch um zu telefonieren. "Autos gab es damals gar nicht viele in einem Dorf", erinnert sich Arenz, "zwar sehr viel technisches Gerät, aber Autos? Wozu? Das heißt nicht, dass die Menschen technikfeindlich waren, aber man verließ eben nur selten sein Dorf."

Als Pfarrerssohn wächst Arenz behütet auf; dieses Gefühl der Sicherheit, dass er in jedem Haus, bei jedem Bewohner, eine offene Tür und ein Mittagessen hätte bekommen können, ist aus der heutigen Sicht faszinierend. Traumhaft? "Naja, das Gegengefühl dazu ist die Enge, die mit einem solchen Leben einhergeht: Während in den Städten die freie Liebe, Rolling Stones, Miniröcke und Benno Ohnesorg Einzug hielten, blieb auf dem Land alles, wie es immer war. Dass das Leben anders sein kann und weitergeht, hat man unter Umständen gar nicht mitgekriegt. Und diese Spannung spielt in meinem Buch eine große Rolle."

Arenz erzählt eine - anfangs - ruhige Liebesgeschichte. Seine Beschreibungen nehmen uns mit aufs Dorf, in die Natur, wir spüren die saubere Luft, sehen den klaren Himmel, hören die Kirchenglocken, riechen das Heu, den Mist, Frühling und Winter. "Das Entscheidende aber ist, wenn ich das vorwegnehmen darf, dass mein Buch nicht nur vom Weggehen oder Zurückkommen erzählt, sondern vor allem vom Weiterleben." Vom Weiterleben, wenn einem das Liebste genommen wird. Arenz hätte vor drei Jahren fast eines seiner Kinder verloren, mitten in der Corona-Pandemie, und er hat sich intensiv damit auseinandersetzen müssen: "Wir konnten ihn sechs Monate lang nicht im Krankenhaus besuchen. Es war eine Zeit, die mir gezeigt hat, was wirklich wichtig im Leben ist."

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Seine Hauptfiguren im aktuellen Roman mussten weiblich sein, denn nur sie haben diese Konflikte Anfang der Siebzigerjahre zu bewältigen, von denen er erzählen will und mit denen Männer nicht zu kämpfen hatten. Er selbst wurde mit 22 Vater, seine Frau war 19, als sie ihr erstes Kind bekamen. "Es war eine Überraschung", sagt er und lacht, "aber eine schöne!" Arenz hat es geschafft: Weitere Kinder, so einige Jobs, bevor er Lehrer wurde, bevor er zu schreiben begann, und bevor dann der Erfolg einsetzte. Aber das Signal ist klar: Man(n) - und Frau - kann es schaffen.

Apropos - was ist das Geheimnis seines Ruhms im fortgeschrittenen Alter: "Naja, ich bin mir sehr wohl bewusst, dass niemand auf mich oder meine Bücher gewartet hat", sagt er, bescheiden, um dann aber auszuführen: "Bücher zu schreiben ist wie ein Handwerk zu erlernen, das braucht Erfahrung. Man versucht immer dranzubleiben, und man versucht, immer besser zu werden. Ein bisschen Sturheit gehört bei 60.000 Neuerscheinungen im Jahr wohl auch dazu.

Quelle: ntv.de

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