Panorama

Missbrauch an Odenwaldschule Heftige Kritik an Behörden

Die hessische Staatsanwaltschaft und das Kultusministerium stehen im Verdacht, nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen an der Odenwaldschule 1999 wichtige Zeugen nicht befragt zu haben. Diese Anschuldigungen erhebt der Anwalt eines Mannes, der sich wie bislang weitere 32 ehemalige Schüler als Opfer von Übergriffen gemeldet haben. Die Behörden weisen die Vorwürfe zurück.

Das renommierte Internat Odenwaldschule im hessischen Ober-Hambach.

Das renommierte Internat Odenwaldschule im hessischen Ober-Hambach.

(Foto: dpa)

Nach dem Missbrauchs-Geständnis des ehemaligen Schulleiters der Odenwaldschule stehen die zuständigen Behörden im Fokus. Schwere Vorwürfe gegen das hessische Kultusministerium und die Staatsanwaltschaft erhob ein Opferanwalt in der "Frankfurter Rundschau" (FR). Beide Behörden hätten sich 1999, als die Übergriffe Gerold Beckers bekannt wurden, durch Untätigkeit ausgezeichnet, sagte der Frankfurter Jurist Thorsten Kahl dem Blatt. Die Leiterin der Odenwaldschule, Margarita Kaufmann, hat nachträgliche Sanktionen gegen überführte Lehrer angeregt. Bei den überwiegend privat beschäftigten Lehrern der Odenwaldschule könne die Betriebsrente reduziert werden, sagte sie dem Sender hr-Info. "Ich würde mich dafür auf jeden Fall aussprechen."

Der frühere Schulleiter Gerold Becker hatte in einem Brief sexuelle Verfehlungen zugegeben und die Schüler um Entschuldigung gebeten. Bisher haben sich 33 ehemalige Schüler als Opfer von Übergriffen zwischen den Jahren 1966 bis 1991 gemeldet. Beschuldigt werden außer Becker, der von 1969 bis 1985 an der Schule war, sieben weitere Lehrer.

Ein Ex-Schüler der Odenwaldschule sagte im "Focus", dass er von Becker "hunderte Mal missbraucht" worden sei und noch heute darunter leide. Sein Anwalt Kahl kündigte an, er werde "eine Phalanx gegen die Odenwaldschule" errichten und wolle eine finanzielle Entschädigung für die Opfer erwirken.

Aufklärung durch Historiker

Unterdessen haben sich die 21 reformpädagogischen Internate in Deutschland nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) verpflichtet, jeden sexuellen Übergriff anzuzeigen und die Täter sofort zu entlassen. Darauf habe sich die Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime (LEH) geeinigt, zu der auch die Odenwaldschule in Heppenheim gehört. Durch die Missbrauchsfälle dürften jedoch nicht der Wert reformpädagogischer Praxis und die "Institution Internat" insgesamt infrage gestellt werden, heißt es in der "FAZ".

Hartmut von Hentig hatte der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass Becker je den Willen eines Kindes gebrochen habe.

Hartmut von Hentig hatte der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass Becker je den Willen eines Kindes gebrochen habe.

(Foto: dpa)

Die deutschen Landerziehungsheime wollen nach einem Bericht des "Focus" einen Historiker beauftragen, der die Geschichte der Internate auch mit Blick auf mögliche Verfehlungen prüfen soll. Der Leiter der LEH-Internatsberatung, Hartmut Ferenschild, kritisierte das Verhalten von Deutschlands bekanntestem Reformpädagogen Hartmut von Hentig, der die Vorwürfe gegen seinen Lebensgefährten Becker infrage gestellt hatte. "Wir müssen uns von unserem Säulenheiligen distanzieren", sagte Ferenschild. Die Reformpädagogik dürfe nicht "verraten" werden.

Angriff auf Henzler

Ein Absolvent der Odenwaldschule sagte der "FR", Aussagen der hessischen FDP-Kultusministerin Dorothea Henzler seien "mit gesundem Menschenverstand nicht mehr nachvollziehbar". Nach Angaben der "FR" hatten schon im Juni 1998 zwei Missbrauchsopfer in einem Brief an den damaligen Schulrektor Wolfgang Harder davon gesprochen, dass es noch mehr Betroffene gebe. Dieser habe die Informationen an das zuständige Staatliche Schulamt weitergeleitet. Die Schüler, die damals die Affäre ins Rollen gebracht hätten, seien von den Behörden aber nie befragt worden.

Henzler betonte in einer Erklärung erneut, dass das Schulamt damals nur Hinweise auf einen verdächtigen Lehrer und zwei Schüler gehabt habe. Anhaltspunkte für weitere Missbrauchsfälle habe es nicht gegeben. Nach zehn Jahren sei das nicht mehr so einfach zu klären, da alle Akten vernichtet worden seien, sagte Klaus Reinhardt von der Darmstädter Staatsanwaltschaft der "FR". "Die (Schüler) hätten in dieser Situation vernommen werden müssen", zitiert die Zeitung den Staatsanwalt.

Der hessische FDP-Justizminister Jörg-Uwe Hahn will prüfen, ob sexuellen Missbrauchsopfern nicht länger Zeit für Klagen auf Schmerzensgeld und Schadenersatz eingeräumt werden soll. Eine Verlängerung der Verjährungsfristen im Zivilrecht sei überlegenswert, erklärte Hahn in Wiesbaden. Eine entsprechende Änderung des Strafrechts lehnte Hahn dagegen erneut ab.

Quelle: ntv.de, dpa

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