Schweres Erdbeben in der Türkei Helfer finden noch Überlebende
25.10.2011, 20:57 Uhr
Die Retter halten das Baby auf dem Arm.
(Foto: dpa)
In der Katastrophe gibt es auch gute Nachrichten: Dutzende Stunden nach dem Erdbeben in der Osttürkei bergen Rettungskräfte ein zwei Wochen altes Baby und einen zehnjährigen Jungen lebend aus den Trümmern. Starke Kritik gibt es an fehlenden Zelten. Einige Nationalisten sehen in dem Beben die Strafe Gottes für den PKK-Terror.
Wie durch ein Wunder haben Suchmannschaften 47 Stunden nach dem schweren Erdbeben in der Türkei ein Neugeborenes lebend aus den Trümmern gerettet. "Es ist gesund und es wird leben", sagte der Arzt Sinan Asar in der am stärksten verwüsteten Stadt Ercis. Die kleine Azra sei unterkühlt und dehydriert gewesen. Darum kam sie in einen Brutkasten. Wenig später fanden die Retter auch die Mutter und die Großmutter des Mädchens. 54 Stunden nach dem Beben bargen Rettungskräfte einen zehnjährigen Jungen aus den Trümmern seines Hauses in der Provinz Van. Serhat Gül sei sofort in ein Krankenhaus gebracht worden, hieß es in Fernsehberichten.
Unterdessen ist die Zahl der Toten zwei Tage nach dem verheerenden Erdbeben im Osten der Türkei sprunghaft angestiegen. Die Bergungsmannschaften entdeckten bisher 459 Leichen in den zerstörten Häusern. Nach Angaben des Krisenstabes der Regierung gibt es zudem 1352 Verletzte. Auch das Ausmaß der Zerstörung wurde immer deutlicher. Die Behörden korrigierten die Zahl der zerstörten Häuser von 970 auf 2262. Am Abend erschütterte ein heftiges Nachbeben der Stärke 5,4 die Region.
Rettungshelfer setzten die Suche nach möglichen Überlebenden und Toten fort. Kurz zuvor war ein junger Mann nach 32 Stunden aus dem Schutt eines eingestürzten Teehauses geholt worden. "Es war wie das Jüngste Gericht", beschrieb der 18-jährige Mesut Ozan Yilmaz das Beben. In seinem Gefängnis habe er sich den für das Überleben nötigen Platz schaffen können, sagte er vor der Kamera. Den Kopf habe er auf den Fuß eines toten Mannes gelegt.
Gefängnisrevolte in Van
Nachdem viele Menschen die zweite Nacht in Folge im Freien und ohne Zelte verbringen mussten, wurde die Kritik an dem Einsatz und an der mangelnden Hilfe zunehmend lauter. Einwände gab es auch aus der regierenden islamisch-konservativen Regierungspartei AKP. Unterdessen verstärkte der türkische Rote Halbmond seine Hilfsbemühungen. Mit Geleitschutz der Armee wurden weitere Zelte nach Ercis gebracht. Der Konvoi sei von Tausenden Menschen erwartet worden, die sich in einer etwa einen Kilometer langen Schlange vor einer Wache der Gendarmerie aufgestellt hätten, berichtete ein Augenzeuge.
Die Menschen hatten sich zuvor bei den Behörden für ein Zelt vormerken lassen. Teilweise gab es Schlägereien bei der Verteilung von Zelten. "Ich warte seit mehr als 13 Stunden auf ein Zelt. Meine Familie besteht aus zehn Personen", sagte der 19-jährige Cemal Alam, ein Einwohner der bei dem Erdbeben schwer zerstörten Stadt. In Ercis gab es außerdem Listen für Suppenküchen. Die Behörden warnten davor, beschädigte Häuser zu betreten, weil diese bei den zahlreichen Nachbeben noch einstürzen könnten.
In der Stadt Van brach derweil eine Gefängnisrevolte aus. Aus dem Gebäude schlugen Flammen, ein halbes Dutzend Schüsse waren zu hören. Ein Soldat sagte, die Insassen hätten die Wärter mit Scheren und Messern angegriffen. Mehrere Wärter seien verletzt worden. Einem Mitarbeiter der Stadt zufolge legten sie auch das Feuer. Die Häftlinge protestierten demnach dagegen, dass sie ihre Zellen trotz des Bebens nicht verlassen durften. Etwa 200 Insassen sollen das Chaos direkt nach dem Beben am Sonntag zur Flucht genutzt haben.
"Strafe Gottes für den Terror der PKK"
Die Behörden hatten 200 Notarztwagen und 5 Ambulanzflugzeuge im Einsatz. Zudem unterstützten Helikopter und Militäreinheiten den Rettungseinsatz. Größere Hilfe aus dem Ausland hat die türkische Regierung mit Hinweis auf eigene Kräfte bislang abgelehnt. Die Regierung sagte einen raschen Wiederaufbau zu. Sie beschloss Steuerbefreiungen und andere Erleichterungen für die Menschen in der Region an der Grenze zum Iran.
Die Türkei wird immer wieder von heftigen Erdbeben heimgesucht. Das Beben vom Sonntag hatte eine Stärke von 7,2. Besonders schwer hat es die Provinz Van im Südosten des Landes an der Grenze zum Iran getroffen. Sie wird mehrheitlich von Kurden bewohnt.
Abfällige Bemerkungen einer Fernsehmoderatorin über die kurdischen Opfer des Bebens sorgten für Spannungen in Van. Moderatorin Müge Anli sagte im Privatsender ATV, erst attackierten die Kurden türkische Polizisten und Soldaten, dann riefen sie Armee und Polizei um Hilfe, wenn es Probleme wie beim Erdbeben gebe. Einige türkische Nationalisten unterstützten Anli und kommentierten im Internet, das Beben sei die Strafe Gottes für Anschläge der kurdischen PKK-Rebellen auf türkische Soldaten in der vergangenen Woche. Erboste Erdbebenopfer in Van bewarfen deshalb Journalisten und Polizisten mit Steinen. Die Polizei setzte Reizgas ein, um die Menge auseinander zu treiben.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts