Panorama

Prozess vertagt Marco W. bleibt in U-Haft

Nach drei Monaten Untersuchungshaft in der Türkei bleibt der deutsche Schüler Marco weiter hinter Gittern. Der Prozess gegen den 17-Jährigen aus dem niedersächsischen Uelzen wegen sexuellen Missbrauchs einer 13 Jahre alten Engländerin wurde in Antalya vertagt. Das Verfahren wird voraussichtlich am 8. August fortgesetzt, solange bleibt Marco in Haft. Nach türkischen Medienberichten wiederholte er seine Aussagen bei der Polizei, es sei lediglich zum Austausch von gemeinsamen Zärtlichkeiten gekommen. Offiziell gab es keine Stellungnahme der Richter oder der Staatsanwaltschaft. Einem Antrag auf vorläufige Haftverschonung entsprachen die Richter erneut nicht.

Marco reagierte auf den Gerichtsentscheid nach Auskunft seines deutschen Anwalts deprimiert und enttäuscht. "Marco und seine Familie hatten die stille Hoffnung, dass er nach der Verhandlung am Freitag nach Hause fliegen könnte", sagte der Uelzener Anwalt Jürgen Schmidt. Der Gerichtstermin sei eher ein "Haftprüfungstermin" gewesen. Er gehe davon aus, dass die Britin in England vernommen werde. Marco habe die wochenlange Untersuchungshaft zwar zugesetzt, ihm gehe es aber "etwas besser". Die Haftbedingungen seien "etwas besser" geworden.

Kritik von Wulff

"Wir können jetzt nur auf den nächsten Verhandlungstermin warten und hoffen, dass Marco dann frei kommt", sagte Schmidt. Bei einer Verurteilung hofft Schmidt, "dass es nur eine kurze Haftstrafe ist, bei der möglichst viel von der Untersuchungshaft angerechnet wird". "Die Eltern sind entsprechend angegriffen", sagte Verteidiger Nikolaus Walther. "Die Eltern sind psychisch nicht in der Lage, Auskünfte zu geben."

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff kritisierte die Vertagung des Prozesses scharf. Die Untersuchungshaft unter den dortigen Bedingungen sei über einen so langen Zeitraum unverhältnismäßig und unverantwortlich, sagte Wulff. Das Essener Zentrum für Türkeistudien kritisierte die andauernde Haft ebenfalls. "Da zumindest die Möglichkeit besteht, dass an den Vorwürfen gegen Marco nichts dran ist, ist eine so lange Untersuchungshaft nicht adäquat", sagte der Direktor des Zentrums, Faruk Sen.

Die Verhandlung hatte am Morgen unter starkem Medieninteresse begonnen. Vor Gericht wurde Marco von einem türkischen Anwalt verteidigt. Der deutsche Anwalt und eine Vertreterin des Auswärtigen Amtes durften der Verhandlung nicht beiwohnen. Marco wurde über den Gefangenengang in den Saal gebracht. Das britische Mädchen als Hauptbelastungszeugin war nicht zur Verhandlung erschienen. Das Vertagen des Prozesses gegen Marco hing nach Ansicht des Stuttgarter Rechtswissenschaftlers Christian Rumpf möglicherweise mit der Notwendigkeit einer Gegenüberstellung zusammen. Vieles spreche dafür, dass im Gerichtssaal für eine Anwesenheit der jungen Britin als Hauptbelastungszeugin gekämpft worden sei.

Zeitgleich zum Prozess in der Türkei versammelten sich in einer Uelzener Realschule Marcos Mitschüler, um ihre Abschlusszeugnisse entgegenzunehmen. Dabei sprach die Schulleitung das Fehlen Marcos an und rief dazu auf, an den Schüler zu denken.

Hohe Wellen

Der Fall Marco hatte hohe Wellen geschlagen, nachdem in Deutschland die Haftbedingungen in der Türkei kritisiert und Politiker auf eine Freilassung des Jungen gedrängt hatten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten sich in den Fall eingeschaltet. Die Türkei hatte empfindlich auf Kritik an ihrer Justiz reagiert.

Ebenfalls mit großer Aufmerksamkeit verfolgen türkische Zeitungen das Verfahren gegen den Jungen. Im Zentrum stand am Freitag die Kritik an deutschen Medien. Der Rechtsanwalt der britischen Familie, Ömer Aycan, sagte der Zeitung "Milliyet", deutsche Medien hätten versucht, Einfluss auf die Justiz der Türkei zu nehmen. "Es ist eine Tragikomödie, dass der Fall von deutschen Politikern sogar im Zusammenhang mit den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei diskutiert wurde."

Quelle: ntv.de

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