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Nach Benedikts Tod arbeitslos Was wird aus Georg Gänswein?

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Gänswein stand Jahrzehnte in Diensten Ratzingers.

Gänswein stand Jahrzehnte in Diensten Ratzingers.

(Foto: picture alliance / Stefano Spaziani)

Als Privatsekretär und Vertrauter des emeritierten Papstes Benedikt war Georg Gänswein ein wichtiger Mann, wenn auch durchaus umstritten. Papst Franziskus schätzt ihn nicht, und mit einem neuen Buch bringt Gänswein jetzt auch Wohlmeinende gegen sich auf. Nun steht er vor einer ungewissen Zukunft.

Wer Georg Gänswein vor der Beisetzung des emeritierten Papstes Benedikt XVI. nicht kannte, dürfte das danach auf jeden Fall tun. Denn Gänswein, der langjährige Vertraute und Privatsekretär von Benedikt, sorgte für einen erstaunlich emotionalen Moment auf dem Petersplatz. Nachdem der schlichte Holzsarg mit dem Leichnam des ehemaliger Papstes vor dem Petersdom seinen Platz gefunden hatte, trat Gänswein heran, beugte sich über den Sarg und küsste ihn.

Danach begann die Totenmesse, gehalten vom jetzigen Papst Franziskus. Nach deren Ende wurde Benedikt unter dem Petersdom beigesetzt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zu den wenigen Anwesenden gehörte erneut Gänswein. Videoaufnahmen des Vatikans zeigen, wie der Sarg verschlossen wurde und sich der 66-Jährige unter Tränen an der letzten Ruhestätte von seinem Mentor verabschiedete.

Schon unmittelbar nach Benedikts Ableben hatte Gänswein von sich reden gemacht, als er die Welt wissen ließ, was die letzten Worte des Papstes vor seinem Tod waren. Die argentinische Zeitung "La Nación" verbreitete unter Berufung auf informierte Quellen, hinter denen sich kein anderer als Gänswein verbarg, Benedikt habe gesagt: "Jesus, ich liebe dich". Buchautor Andreas Englisch berichtete dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, im Vatikan herrsche die Meinung, Gänswein hätte die letzten Worte des Papstes nicht in der Welt verbreiten dürfen. Der intime letzte Satz hätte Ratzingers Geheimnis bleiben sollen. Menschen, die den gebürtigen Bayern Joseph Ratzinger in seinen letzten Lebenstagen erlebt haben, bezweifeln zudem, dass er noch in der Lage war zu sprechen. Aber die Erzählung von Gänswein an Benedikts Sterbebett, der dann Papst Franziskus informiert, war in der Welt. Und das vermutlich nicht unabsichtlich.

Bischofsamt in Deutschland?

Im Vatikan wird das Gebaren Gänsweins schon seit längerem mit Argusaugen verfolgt. Seit Papst Franziskus den gebürtigen Schwarzwälder 2020 vom Amt des Präfekten des Päpstlichen Hauses freigestellt hat, ist es ein offenes Geheimnis, dass Gänswein vom Papst nicht gelitten ist. Gänswein wiederum machte seitdem keinen Hehl daraus, dass er die Beurlaubung als Bestrafung empfunden hat. Der Präfekt des Päpstlichen Hauses empfängt Staatsoberhäupter und Politiker und koordiniert alle Besuche beim Katholiken-Oberhaupt. Eine Rückkehr von Gänswein auf den Posten ist nach ntv-Informationen äußerst unwahrscheinlich.

Konnte er sich bisher auf seine Aufgaben als Benedikts Privatsekretär konzentrieren, stellt sich damit die Frage, welchen Platz ihm Papst Franziskus künftig zugedacht hat. Mit 66 Jahren ist Gänswein fast noch ein Youngster in der katholischen Führungsriege. Theoretisch gäbe es die Möglichkeit, beispielsweise als Bischof von Bamberg nach Deutschland zu gehen. Der Posten ist vakant, und Gänswein stammt ursprünglich aus dem Südschwarzwald.

Don Stanislaw Dziwisz, der Sekretär des im Jahr 2005 verstorbenen Papstes Johannes Paul II., war nach dessen Tod Bischof von Krakau geworden. Doch rund um die Beisetzung von Benedikt war aus den Reihen der deutschen Bischöfe zu hören, dass Gänswein, der bereits Erzbischof ist, auf keinen Fall ein deutsches Bistum angetragen wird.

"Hätte besser geschwiegen"

Die Situation wird auch nicht besser durch die Tatsache, dass derzeit kaum ein Tag ohne öffentliche Aussagen von Gänswein vergeht. Noch im Januar erscheint sein Buch "Nient'altro che la Verità" (Nichts als die Wahrheit), aus dem bereits Auszüge veröffentlicht werden. Deshalb wird in Roms Klerikerkreisen - und nicht nur dort - ganz offen vermutet und ausgesprochen, dass Gänswein vor allem Werbung in eigener Sache macht.

Zu lesen war zuletzt unter anderem, Benedikt habe Franziskus' Entscheidung, die sogenannte alte Messe stark einzuschränken, "mit Schmerz im Herzen" gelesen. Ratzinger hatte diesen Ritus während seines Pontifikats (2005 bis 2013) unter bestimmten Voraussetzungen wieder zugelassen. Außerdem berichtete Gänswein erneut, wie "geschockt" er über seine Beurlaubung als Präfekt war.

Die Kritik an den Äußerungen des deutschen Erzbischofs ist so einhellig, dass "Entsetzen" nicht nur aus "gut informierten Kreisen im Vatikan" zu hören war. "Es wäre besser gewesen, zu schweigen", ließ sich der deutsche Kardinal Walter Kasper von der italienischen Zeitung "La Repubblica" zitieren. "Jetzt ist nicht der Moment für solche Sachen", befand der 89 Jahre alte Kasper. Der gleichen Zeitung sagte der Chef der US-amerikanischen Bischofskonferenz, Timothy: "Ich denke, wenn man Kritik an den Heiligen Vater richten will, muss man das nicht über die Massenmedien manchen, sondern direkt an ihn persönlich". Franziskus reagierte nach Überzeugung von Beobachtern auf seine Weise. Vor dem Angelus-Gebet am Sonntag sagte der Papst: "Geschwätz ist eine tödliche Waffe: Es tötet, es tötet die Liebe, es tötet die Gesellschaft, es tötet die Brüderlichkeit."

Eine Zukunft in einer Führungsposition im Vatikan ist nach den offenen Angriffen auf den Papst jedenfalls ausgeschlossen. Zumal der öffentliche Kuss Gänsweins am Sarg von Benedikt XVI. im Vatikan nicht nur als unangemessen plakativ angesehen wurde, sondern als Anmaßung. Die Geste hätte dem Papst gebührt.

Selbstdarstellerische Ambitionen

Das dürfte Gänswein durchaus bewusst gewesen sein. Doch hatte er sich in den letzten Jahren an Benedikts Seite offenbar angewöhnt, sich mit Anliegen des emeritierten Papstes an Franziskus zu wenden, und dabei jede Bescheidenheit verloren. Da passt es auch ins Bild, dass er nun ankündigte, dass er die Aufgabe habe, private Aufzeichnungen Benedikts zu vernichten. Für einige Hinterlassenschaften und persönliche Geschenke sei er der "Testamentsvollstrecker", schreibt Gänswein in seinem Buch. "'Private Aufzeichnungen jeder Art müssen vernichtet werden. Das gilt ohne Ausnahmen und Hintertüren', hat er schwarz auf weiß verdeutlicht", so Gänswein unter Bezug auf Anweisungen von Benedikt. Auch hier gibt es durchaus andere Auffassungen, denn es existiert bereits eine Stiftung Benedikt XVI., die sein früherer Sprecher Frederico Lombardi leitet. Möglicherweise käme es ihm zu, die Aufzeichnungen Benedikts zu sichten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Mit Benedikts Tod hat Gänswein nicht nur seinen Arbeitgeber und Mentor, sondern auch seinen wirkmächtigsten Verteidiger verloren. Viele Optionen bleiben ihm derzeit nicht, möglich wäre ein Wechsel in die Lehre. Allerdings rechnen die wenigsten Vatikan-Insider damit, dass Gänswein einen Job bekommt, der ihm weiterhin öffentliche Auftritte sichert. Zu sehr stoße man sich an den selbstdarstellerischen Ambitionen des Erzbischofs. Als wahrscheinlichste Lösung gilt deshalb, dass Georg Gänswein demnächst als päpstlicher Nuntius in die Welt entsandt wird. Zwischen Rom und ihm sollten am besten mehrere Tausend Kilometer liegen, ist die einhellige Einschätzung.

Am Vormittag empfing Papst Franziskus seinen Präfekten zu einer Privataudienz. Über den Inhalt des Gesprächs wurde nichts bekannt. Unklar blieb auch, wie spontan das Treffen anberaumt war und ob Gänswein um das Gespräch bat oder ob Franziskus den Deutschen zum Rapport bestellte. Sollte eine Entscheidung über Gänsweins künftige Rolle gefallen sein, wird der Vatikan dies offiziell bekannt geben. Es wird wie eine Anerkennung der bisherigen Arbeit Gänsweins klingen und eine Strafversetzung sein.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 09. Januar 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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