Panorama

So ernst ist der Zustand des Formel-1-Weltmeisters "Schumacher liegt im künstlichen Winterschlaf"

Erlitt bei einem Skiunfall ein Schädel-Hirn-Trauma: Michael Schumacher.

Erlitt bei einem Skiunfall ein Schädel-Hirn-Trauma: Michael Schumacher.

(Foto: REUTERS)

Die Sportwelt bangt um Michael Schumacher. Professor Peter Vajkoczy, Direktor der Neurochirurgischen Klinik der Berliner Charité, spricht im Interview von n-tv.de über die Hirnverletzung des Ex-Rennfahrers. Für ihn sind Lähmungen und Sprachstörungen mögliche Langzeitfolgen des Unfalls.

n-tv.de: Die französischen Ärzte beschreiben den Zustand von Michael Schumacher als außerordentlich ernst. Man müsse jetzt Zeit gewinnen. Optimistisch klingt das nicht gerade.

Peter Vajkoczy: Nein. Nach allem, was wir bisher gehört haben, klingt das tatsächlich sehr kritisch. Einschränkend muss man aber sagen: Außer den behandelnden Ärzten hat bisher niemand Bilder gesehen. Daher wissen wir nicht, welche Regionen betroffen sind. Aber dem Verlauf der angewendeten Therapieformen zufolge hat Herr Schumacher eine wirklich schwere Hirnverletzung.

Die Prognose lautet: schweres Schädel-Hirn-Trauma. Können Sie das erklären?

Wir teilen die Schädel-Hirn-Traumata in drei Grade ein - leicht, mittelschwer und schwer. Es geht in erster Linie darum, wie wach der Patient nach dem Trauma ist und ob er die Augen öffnen oder Aufforderungen befolgen kann. Bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma ist der Patient komatös und nicht mehr dazu in der Lage. Das ist bei Herrn Schumacher der Fall.

Dabei war er den Berichten zufolge unmittelbar nach dem Unfall noch bei Bewusstsein.

Ja, deshalb habe ich auch zuerst gedacht, dass es nochmal glimpflich ausgegangen ist. Das Problem ist: Man muss immer zwischen der primären und der sekundären Verletzung unterscheiden. Wenn man sich den Knöchel verstaucht, gibt es zunächst das primäre Trauma. Erst danach entwickelt sich eine Schwellung und möglicherweise sogar eine Entzündung. Vieles kommt erst im Nachhinein, in der Hirnregion ist das besonders ausgeprägt. Schumacher war nach dem Unfall zwar wach, aber dann gab es eine Blutung und das Gehirn ist geschwollen. Das führt zu einer Mangelversorgung mit Sauerstoff, was sehr ungünstig ist.

In der Nacht haben die Ärzte eine Hirnoperation durchgeführt. Wie riskant ist das?

Die Operation ist nicht leicht, gehört aber nicht zu den schwierigsten. Bei dem Eingriff wird ein großer Teil der Schädeldecke entfernt. Daraufhin wird das Blut, das sich darunter befindet, entleert. Man lässt den Knochen draußen, um dem Gehirn Platz zum Schwellen zu geben. Das nennen wir eine Entlastungsoperation. Weil man nicht direkt am Gehirn operiert, ist der Eingriff an sich nicht so riskant. Riskant ist jedoch die gesamte Situation. Es muss sehr schnell gehen. Und die Frage ist, wie das Gehirn auf die Verletzung und die Operation reagiert.

Die Rede ist von diffusen Verletzungen. Was heißt das genau?

Es ist nichts, was man mit einer Operation mal kurz beheben kann. Damit sagen die Ärzte nichts anderes, als dass das ganze Gehirn betroffen ist und dass es ein generalisiertes Problem ist. Prognostisch ist das ungünstig, weil offensichtlich mehrere Regionen betroffen sind.

Die Ärzte sagen, sie versuchen Druckbildung und Wasserbildung im Gehirn zu verhindern. Was kann passieren?

Auf die Verletzung reagiert das Gehirn mit einer Schwellung. Es kommt zu einem Wasseraustritt der Gehirnzellen in das normale Gewebe. Das führt zu einem Druck auf die Gefäße und zu einem Anstieg des Drucks im Gehirn, was wiederum die Versorgung mit Sauerstoff und mit Blut reduziert. Mit der Therapie versucht man dem Gehirn Platz zum Schwellen zu geben. Dazu gibt man Medikamente, die das Wasser aus dem Gehirn rausziehen, was aber nur begrenzt möglich ist. Wenn sich das Ganze ungünstig entwickelt, kommt man an einen Punkt, wo man medizinisch eventuell machtlos ist.

Es soll ja nun vorerst nicht noch einmal operiert werden. Bleibt den Ärzten zurzeit nichts anderes übrig, als zu warten?

Nein. Die Ärzte therapieren ja sehr angestrengt mit nicht-chirurgischen Maßnahmen. Sie kühlen den Patienten herunter. Damit versucht man, den Bedarf des Gehirns an Sauerstoff zu reduzieren. Denn man geht davon aus, dass dort zurzeit ohnehin schon zu wenig ankommt. Herr Schumacher liegt also in einem künstlichen Winterschlaf. Die Ärzte geben währenddessen Medikamente und müssen permanent dafür sorgen, dass Temperatur, Durchblutung und Sauerstoffversorgung in Ordnung sind. Patienten mit Schädel-Hirn-Traumata können im weiteren Verlauf noch andere Probleme entwickeln, zum Beispiel mit der Lunge oder dem Herzen. Das ist eine sehr angespannte Situation, aber man muss keine erneute Operation machen. Was nicht heißt, dass die Situation günstig oder hoffnungslos wäre.

Nun liegt Schumacher seit vielen Stunden im Koma. Gibt es eine Formel wie "umso länger das Koma, desto schlechter"?

Die Koma-Länge hängt davon ab, inwieweit man den Druck im Gehirn in den Griff bekommt. Gelingt das nicht, liegt Herr Schumacher noch länger im künstlichen Koma. Wenn der Patient nicht mehr therapiert wird, kommt es darauf an, wie schnell er aufwacht. Daraus kann man rückschließen, wie schwer die Verletzung ist. Vier bis fünf Tage Koma sind nichts, wenn es drei oder vier Wochen sind, wird es allerdings schwierig.

Kommt es Schumacher jetzt zugute, dass er sich körperlich immer noch in einem sehr fitten Zustand befindet?

Das wird ihm wahrscheinlich in den nächsten Tagen und Wochen helfen, wenn er die anstrengende Therapiesituation überstehen muss.

Mit was für Langzeitfolgen muss Schumacher rechnen?

Das kann man jetzt noch nicht abschätzen. Entweder er erholt sich gut und kehrt wieder ins normale Leben zurück. Es können aber auch neurologische Defizite auftauchen, wie Lähmungen oder Sprachstörungen. Möglich ist aber auch ein ständiger komaähnlicher Zustand.

Mit Peter Vajkoczy sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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