Zeichen stehen auf Lockdown So düster könnte Weihnachten in Sachsen werden
18.11.2021, 19:40 Uhr
Ohne härtere Maßnahmen droht Sachsen schon vor Weihnachten eine Überforderung des Gesundheitssystems.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
RKI-Chef Wieler zeichnet ein düsteres Bild für die nahe Zukunft, sollten nicht schnell entschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Er nennt erschreckende Zahlen für Deutschland. Doch für Corona-Hotspots wie Sachsen sind die Prognosen noch viel schlimmer.
Wer bisher der Meinung war, die vierte Welle werde schon nicht so schlimm werden, denkt nach der Brandrede von RKI-Chef Lothar Wieler jetzt vielleicht klarer. Seine Ansage könnte deutlicher nicht sein: Schon jetzt steht fest, dass in den kommenden Wochen in Deutschland täglich mehr als 400 Menschen sterben werden. Das gilt für 50.000 Neuinfektionen bei einer Fallsterblichkeit von 0,8 Prozent. Wahrscheinlich werden es zu Weihnachten weit mehr Todesopfer sein, denn die Fallzahlen steigen derzeit in einem enormen Tempo. Das gilt vor allem für die Bundesländer mit den höchsten Inzidenzen, allen voran Sachsen.
Inzidenz in vier Wochen versechsfacht
Wenn Wieler die Prognosen für Deutschland "superdüster" nennt, sind sie für Sachsen fast schon zappenduster. Das RKI meldet für den Freistaat aktuell eine 7-Tage-Inzidenz von mehr als 760 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner. Fast 5000 Fälle kamen dort in der vergangenen Woche täglich hinzu, am Mittwoch waren es sogar mehr als 7300.
Legt man die von Wieler genannte Fallsterblichkeit zugrunde, sterben allein in Sachsen in den kommenden Wochen jeden Tag etwa 40 Menschen an Covid-19, zuletzt waren es 24. Es könnte noch schlimmer kommen, wenn die Fallzahlen im Freistaat weiter so rasant in die Höhe gehen wie in den vergangenen vier Wochen. Am 17. Oktober lag dort die Inzidenz noch bei 120 Neuinfektionen, sie hat sich seitdem also mehr als versechsfacht.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist die Entwicklung der vergangenen beiden Tage, denn am 16. November lag die sächsische Inzidenz bereits über 860 Neuinfektionen. Sollte es sich nur um einen statistischen Ausrutscher handeln, zeigt der Covid-Simulator der Universität des Saarlands, mit welchen Zahlen der Freistaat zu Weihnachten zu rechnen hat, wenn 2G und andere Maßnahmen nicht greifen.
Geht der Anstieg ungebremst weiter, errechnet das Modell bereits für Anfang Dezember Inzidenzen über 1500. Zu Nikolaus könnte die 2000er-Grenze überschritten werden, an Weihnachten drohen Fallzahlen jenseits der 3000 Neuinfektionen. Ein schwacher Trost ist, dass laut Simulator dann in Sachsen auch der Höhepunkt der vierten Welle erreicht sein könnte.
160 Tote an Weihnachten möglich
Entsprechend den erwarteten hohen Inzidenzen fällt der mathematische Ausblick auf die Entwicklung der Hospitalisierungen und Todeszahlen aus. Um den 25. Dezember herum errechnet das Modell mehr als 20.000 Neuansteckungen täglich, was über 160 Tote bedeutet.
Treffen die Prognosen nur annähernd zu, wird Weihnachten für die sächsischen Krankenhäuser ein Alptraum. Im besten Fall errechnet der Simulator um die 2000 Corona-Intensivpatienten, von denen mehr als die Hälfte beatmet werden müsste. Aktuell liegen laut DIVI-Intensivregister in Sachsen 369 Covid-19-Fälle auf den Intensivstationen, 164 betreibbare Betten sind noch frei.
Es muss nicht so schlimm kommen, die saarländischen Wissenschaftler weisen in ihren FAQ ausdrücklich darauf hin, dass ihr Modell keine neuen politischen Maßnahmen oder Verhaltensänderungen der Bevölkerungen berücksichtigen kann. Es ist allerdings möglich, selbst im Simulator eine Verringerung der Infektiosität einzustellen, um ungefähr zu sehen, wie sich Einschränkungen, Boosterimpfungen oder freiwillig reduzierte Kontakte auswirken könnten.
Kontakte müssen deutlich reduziert werden
Brächten die Maßnahmen eine 20-prozentige Reduzierung, stiegen die Inzidenzen bis Weihnachten nicht über 1400 und weniger als 100 Menschen würden täglich an Covid-19 sterben. Die Krankenhäuser müssten allerdings zu den Festtagen immer noch deutlich mehr als 1000 Menschen intensiv versorgen. Eine 30 Prozent geringere Infektiosität hielte die Zahl der Intensivfälle unter 850.
Bei 40 Prozent wäre der Anstieg der Inzidenz Ende des Monats bei rund 900 Neuinfektionen beendet und die Fallzahlen sänken bis Weihnachten wieder unter 400. Gleichzeitig müssten die Intensivstationen höchstens 650 Corona-Patienten versorgen. Für Sachsen wäre dies immer noch zu viel, ließe sich aber möglicherweise über eine überregionale Verteilung der Patienten auffangen.
G-Regeln reichen nicht aus
Mit den bisher in Sachsen geltenden Maßnahmen, die hauptsächlich auf 3G-, 2G- und 2G-plus-Regeln basieren, ist eine ausreichende Reduzierung der Ansteckungen nicht zu erreichen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie schreiben, es benötige vor allem zusätzliche Einschränkungen der Kontakte im privaten Bereich.
Die Wissenschaftler fordern zunächst, die noch ungeimpften Jugendlichen und Erwachsenen zu impfen und vor allem auch das Gesundheitssystem durch Auffrischungen bei den alten Menschen und anderen vulnerablen Gruppen zu entlasten.
Nach wie vor ist die Impfquote der Gesamtbevölkerung in Sachsen aber mit 57,6 Prozent die mit Abstand schlechteste unter den 16 Bundesländern. Im Freistaat sind auch nur 79,1 Prozent der über 60-Jährigen zweimal geimpft und lediglich 9,4 Prozent von ihnen hat eine Auffrischung erhalten. Für das Boostern gibt es im Freistaat zwar laut MDR eine hohe Bereitschaft, allerdings ist das Land derzeit nicht in der Lage, die Nachfrage zu befriedigen. Erst im Dezember soll die Kapazität von 3500 bis 4000 auf dann täglich 9000 bis 10.000 steigen.
"Notschutz-Schalter" muss gedrückt werden
Selbst bei einem gesteigerten Tempo werden die Booster-Impfungen frühestens in einem Monat Wirkung zeigen. Noch länger würde es dauern, bis eine von den Bundesländern geforderte Impfpflicht für Personal in Pflegeheimen und Krankenhäusern die Zahlen senken könnte.
Sollten Regeln und Impfen die Neuinfektionen nicht signifikant reduzieren, schlagen die Wissenschaftler den kurzen, aber intensiven Einsatz eines "Notschutz-Schalters" vor, der Kontakte in allen Bereichen reduzieren soll. Dazu gehören Home-Office und eine engmaschige Testpflicht am Arbeitsplatz sowie die Reduktion von Gruppengrößen in Kindergärten, Schulen und Unternehmen. Das Konzept sieht aber auch vor, Gastronomiebetriebe und Geschäfte zu schließen oder den Besuch zumindest einzuschränken. Das Gleiche gilt für Veranstaltungen.
Zeichen stehen auf Lockdown
"Für eine maximale Wirksamkeit wären diese Maßnahmen konzertiert und gleichzeitig durchzuführen", schreiben die Wissenschaftler in dem Positionspapier. Letztendlich läuft das auf einen kurzen, aber entschiedenen Lockdown hinaus. Das hat offenbar auch Ministerpräsident Kretschmer erkannt. Laut "Sächsischer Zeitung" kündigte er heute im Landtag einen "Wellenbrecher" an, um die Kontakte drastisch zu reduzieren.
Die Dämme seien gebrochen, "wir müssen dieses Land zu einem großen Teil zur Ruhe bringen", sagte er, ohne dabei das Wort "Lockdown" auszusprechen. Nachdem Bundestag und Bundesrat festgelegt haben, was künftig deutschlandweit gilt, will Kretschmers Regierung am Freitag entscheiden, wie es in Sachsen in den nächsten zwei bis drei Wochen weitergeht.
Quelle: ntv.de