Tödliche Schüsse in Oldenburg Videoaufnahme schürt Zweifel an Polizeiversion
24.04.2025, 19:46 Uhr Artikel anhören
Zahlreiche Blumen und Kerzen zeugen von der Anteilnahme nach dem Tod des jungen Mannes in Oldenburg.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Fall sorgt bundesweit für Aufsehen. Ein Polizist erschießt in der Nacht zu Ostersonntag einen 21-jährigen Schwarzen in der Oldenburger Fußgängerzone. Nach Darstellung des Beamten soll sich der Mann bedrohlich auf ihn zubewegt haben. Nun wirft der Fall weitere Fragen auf.
Nach den tödlichen Schüssen eines Polizisten auf einen 21-jährigen Schwarzen in Oldenburg wertet die Polizei nach Informationen des "Spiegel" derzeit Video- und Audioaufnahmen aus. Sie sollen von fest installierten Kameras in der Oldenburger Innenstadt stammen und das Geschehen schemenhaft zeigen. Das erfuhr das Magazin aus mit dem Fall befassten Kreisen.
Demnach zeigt eine Videoaufnahme, wie sich das spätere Opfer Lorenz A. auf den Polizeibeamten zubewegt und dann wieder abwendet, bevor die Schüsse fallen. Der Polizist soll den Ermittlungen zufolge mit Reizgas besprüht worden und dann womöglich zu Boden gegangen sein. Dabei könnte er die Schüsse auf Lorenz A. abgegeben haben. Auf der Videoaufnahme, die aus einem nahe gelegenen Geschäft stammen soll, ist der Beamte bei der Schussabgabe allerdings wohl nicht im Bild zu sehen.
In einer ersten Mitteilung nach der Tat hieß es, Lorenz A. sei "bedrohlich auf die Polizisten zugegangen". Ein Messer, das im Vorfeld der Schüsse eine Rolle gespielt haben soll, ist auf der Videoaufnahme dem Vernehmen nach nicht zu erkennen. Ermittler entdeckten erst später ein Klappmesser in A.s Hosentasche. Die Polizei sucht derzeit nach weiteren Zeugen und möglichen Videoaufnahmen.
In den vergangenen Tagen wurden massive Rassismusvorwürfe gegen die Oldenburger Polizei laut. Ein Bündnis, zu dem auch Angehörige und Freunde von Lorenz A. gehören, ruft für Freitag zu einer Demonstration in Oldenburg auf. Die Rede ist von strukturellem Rassismus in den Reihen der Beamten. Die Polizei rechnet mit erheblichen Verkehrsbehinderungen in der Oldenburger Innenstadt.
Nach Recherchen des "Spiegel" war Lorenz A. für die Polizei kein Unbekannter: Es liefen Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Körperverletzung, Widerstand gegen Polizeibeamte, Raub und Nötigung.
Beamter vorläufig suspendiert
Ein Polizist hatte in der Nacht zu Ostersonntag fünfmal in Richtung des 21-Jährigen in der Oldenburger Fußgängerzone geschossen. Nach Angaben der Polizei hatte der junge Mann zuvor vor einer Diskothek Reizgas versprüht und mehrere Menschen leicht verletzt. Dann flüchtete der Angreifer. Als Streifenpolizisten ihn stellen wollten, sei er bedrohlich auf die Beamten zugegangen und habe Reizgas in ihre Richtung gesprüht.
Laut Obduktion wurde der junge Mann an der Hüfte, am Oberkörper und am Kopf verletzt. Drei Schüsse trafen den Deutschen von hinten. Ein vierter Schuss soll ihn am Oberschenkel gestreift haben. Er starb kurze Zeit später im Krankenhaus. Das Messer, mit dem der Mann seine Verfolger bedrohte, wurde sichergestellt. Hinweise, dass er vor den tödlichen Schüssen damit auch Polizisten bedrohte, gebe es derzeit nicht, so die Staatsanwaltschaft.
Der 27-jährige Beamte wurde vorläufig suspendiert, das ist in solchen Fällen üblich. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Totschlags, das von der Staatsanwaltschaft Oldenburg geführt wird. Auch das ist Standard. Die Ermittlungen übernimmt die Polizei Delmenhorst.
Die Beamten prüfen auch das sichergestellte Mobiltelefon des Polizisten, der geschossen hat. Auch der polizeiliche Funkverkehr aus der Nacht werde ausgewertet, hieß es. Aufnahmen der Bodycams der Polizisten, die bei dem Einsatz dabei waren, stehen demnach hingegen nicht zur Verfügung. Die Geräte seien nicht eingeschaltet gewesen, hieß es.
Kriminologe kritisiert Ermittlungen
Kriminologe Tobias Singelnstein kritisierte indes die internen Ermittlungen der niedersächsischen Polizei. "Ermittlungen durch die benachbarte Dienststelle ist das schlechteste Modell, was wir in Deutschland haben", sagte Singelnstein. "Es gibt Bundesländer, die einen Schritt weiter sind und spezialisierte Dienststellen geschaffen haben, die beim Landeskriminalamt angesiedelt sind oder sogar ganz selbstständig sind."
Aus Sicht des Kriminologen sind die Ermittlungen der benachbarten Dienststelle eine problematische Konstellation. "Man muss gar nicht davon ausgehen, dass aktiv versucht wird, die Beschuldigten zu bevorteilen", sagte der Professor für Kriminologie und Strafrecht von der Goethe-Universität Frankfurt. "Nur wenn man selbst diese Situation oder sogar den Beschuldigten kennt, geht man mit einem anderen Verständnis an so ein Verfahren heran. Es ist dann schwierig, völlig unvoreingenommen zu sein."
Die tödlichen Schüsse müssten kritisch untersucht werden. "Man wird sich sehr genau anschauen müssen, warum dieser Einsatz so eskaliert ist und was dazu beigetragen hat, dass es so eskaliert ist", sagte Singelnstein. Die meisten Ermittlungen gegen Polizistinnen und Polizisten wegen rechtswidriger Gewalt werden schließlich eingestellt, wie der Forscher berichtete. "Nur etwa zwei Prozent der Fälle kommen am Ende vor Gericht."
Quelle: ntv.de, gut/dpa