Panorama

Ein Tag auf der Venus Viel Sex um nichts

Rosa Fahrradschlauchlippen, eine wasserstoffblonde Perücke und - na klar - das freiliegende Silikonbergwerk zeigen es: Micaela Schäfer hat mal wieder Freigang.

Rosa Fahrradschlauchlippen, eine wasserstoffblonde Perücke und - na klar - das freiliegende Silikonbergwerk zeigen es: Micaela Schäfer hat mal wieder Freigang.

(Foto: imago stock&people)

Prickelnde Erotik auf einem Spielplatz für Erwachsene: Jedes Jahr aufs Neue stilisiert die Boulevardpresse die größte Sexmesse der Welt zum Mekka der Wollust hoch. Dabei geht es auf der Venus so frivol zu wie beim Tanztee des örtlichen Seniorenheims.

Eines muss man der jungen Frau mit den schweren Lederstiefeln und dem Faible für Paketschnüre lassen: Sie hat richtig viel Spaß bei ihrer Arbeit. Mit geschickten Bewegungen und einem feinen Lächeln auf den Lippen bastelt die hochgeschossene Domina komplizierte Knoten aus dem langen Seil, das in einem Karabinerhaken um ihre Hüften baumelt – falls ihr das Pornobusiness irgendwann fad wird, sollte einer Zweitkarriere als Kletterguide nichts mehr im Wege stehen. Noch aber scheint die Schwarzhaarige ganz glücklich in ihrem Job, nach knapp 20 Minuten präsentiert sie freudestrahlend das Ergebnis ihrer Mühen: Das Objekt der Lust, eine nicht mehr ganz taufrische Blondine, baumelt zu einem handlichen Paket verschnürt von der Decke. Willkommen auf der Venus, der größten Sexmesse der Welt.

Auf Tuchfühlung mit den "Stars": Allein dafür sollten sich die 28 Euro doch schon gelohnt haben.

Auf Tuchfühlung mit den "Stars": Allein dafür sollten sich die 28 Euro doch schon gelohnt haben.

(Foto: dpa)

Prickelnde Erotik und eine Erweiterung des Schmuddelhorizonts verheißt die Veranstaltung auf dem Berliner Messegelände ihren 32.000 gut za hlenden Besuchern – und scheitert spektakulär. Dass sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird, liegt nur zum Teil daran, dass uns dank Youporn und Konsorten ohnehin kaum eine Sexualpraktik noch überraschen kann. Viel gravierender ist die unglaubliche Lieblosigkeit, mit der fast die komplette Messe gestaltet ist – und dass die Gäste für ihr Geld kaum etwas geboten bekommen.

Klar, epische Streichermelodien passen ganz gut zur Lack-und-Leder-Profession jeder Domina. Albern wird es aber, wenn sie aus krächzenden Billigbrüllwürfeln schallen und der Tontechniker nach jedem Lied fast eine halbe Minute braucht, um sich in der peinlichen Stille für den nächsten Track zu entscheiden. Oder wenn die Sitzgelegenheiten im 3D-Pornozelt aus klapprigen Plastik-Gartenstühlen zusammengewürfelt sind. Oder, oder, oder …

Zumindest an Titten herrscht kein Mangel

Gut, dass das dem Großteil der Besucher nicht aufzufallen scheint. Schließlich geht es hier vor allem um Titten, und an denen herrscht nun wirklich kein Mangel. Von PussyKat über Lexxy Roxx bis zu Aische Pervers - für einen eingefleischten Kenner ist ein Rundgang über die Venus wohl in etwa dasselbe wie ein VIP-Platz bei der Oscar-Verleihung für einen Kinofan: Endlich mal auf Tuchfühlung mit den Stars sein – mit dem Unterschied, dass sich Angelina Jolie wohl nicht so einfach in den Schritt greifen lässt.

Anders ist auch kaum zu erklären, warum die Besucher bereitwillig zwischen 28 Euro (einfache Tageskarte im Vorverkauf) und 999 Euro (VVVIP-Ticket mit diversen Extras) dafür berappen, sich in die Herde von dickbäuchigen und schwitzenden Männern mittleren Alters einzureihen, die sich langsam durch die Messehallen schiebt. Bevor man überhaupt mal in Grabbelreichweite eines Pornosterns gelangt, könnte man in den überfüllten Gängen locker drei Körperkontaktfilmchen mit anderen Besuchern drehen.

Apropos Besucher: So homogen wie eben beschrieben sind die dann doch nicht, im bunt gemischten Publikum sieht man

  • den netten Opa am Rollator, immer auf der Suche nach neuer Inspiration für lange Winternächte im Seniorenheim. Praktisch: Die neuerworbenen DVDs (Oktober Fest Sex, Porn in the USA) finden Platz in der großzügig geschnittenen Gepäckablage der Gehhilfe
     
  • adoleszenszkriselnde Spätpubertierende, die fast ausschließlich in größeren
    Stilsicheres Mitbringsel für die nächste Skatrunde am Stammtisch: "Heiße" Videos von der Venus

    Stilsicheres Mitbringsel für die nächste Skatrunde am Stammtisch: "Heiße" Videos von der Venus

    (Foto: dpa)

    Gruppen auftreten und meistens kichernd in der Ecke stehen. Die ganz Wagemutigen lassen sich im Fetisch-Bereich mit einer neunschwänzigen Katze den Hintern versohlen, während ihre Freunde Beweisvideos für den eigenen Youtube-Channel drehen
     
  • in den 80ern steckengebliebene Silberrücken mit riesigen Goldketten und weit geöffneten Hemden, aus denen der Urwald des Grauens hervorlugt. An ihrer Seite wackeln lebensgroße Leberwürste über das Gelände, die endlich mal ihr wenig alltagstaugliches Presswurstdress ausführen dürfen
     
  • erstaunlich normale Pärchen, die sich einfach nur über die Neuerscheinungen im Spielzeugbereich informieren wollen – im Regelfall ja die Kernkompetenz jeder Messe.

Leider legt die Venus, gerade, was den letzten Punkt angeht, eine Bauchlandung hin. Klar, von Buttplugs und anderen Hilfsmittelchen über diverse Cremes bis hin zu Plastikpuppen und Penispumpen deckt die Messe so ziemlich die ganze Bandbreite käuflicher Erotik ab – aber das tut der Sexshop um die Ecke auch, und das zu deutlich humaneren Preisen als die Aussteller auf der Venus.

"Wo bleiben die gestopften F.....?"

Bleiben also die vielgepriesenen Live-Shows in der abgelegensten der vier Hallen. Der schwitzende Anpeitscher, der bis eben noch merkwürdig geformte Liebeskugeln mitten ins grölende Publikum gefeuert hat, kündigt übergangslos "die famose Trinity Smith" an. Eine unheilvoll klingende Stimme aus dem Off faselt irgendwas von "Unrecht" und Teufeln", sonst passiert erst mal zwei Minuten lang gar nichts. Als  die "Künstlerin" schließlich im merkwürdigen Plastik-Hexen-Kostüm (mit Hörnern!) auf die Bühne tänzelt und nichts Besseres zu tun hat, als peinlich mit den Armen in der Luft herumzurudern, platzt einer hübschen Blondine in der letzten Reihe die Hutschnur: "Jetzt hör doch auf mit dem albernen Quatsch und zieh dich endlich aus."

Recht hat die junge Frau mit der akademischen Aura, die so treffend Charles Bukowski zitiert – und doch wird sie erst Minuten später erhört. Der Akt an sich – zehn Minuten Vorgeplänkel und eine Minute leidenschaftsloser Striptease – steht symptomatisch für die ganze Venus: Viel Sex um nichts.

Dem Herren mit dem schwäbischen Akzent, dem ein genervtes "Wo bleiben die gestopften F…..?" entfährt, sei an dieser Stelle  oben genannter Bukowski ans Herz gelegt: Mehr Schmutz als auf der glattpolierten Sexmesse bekommt der Leser hier allemal – und der ist auch noch literarisch wertvoll.

Quelle: ntv.de

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