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Urteil steht kurz bevor Was im Starnberger Dreifachmord-Prozess ungeklärt bleibt

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Die Verteidigung des Angeklagten Samuel V. hielt ihr Plädoyer bereits vergangene Woche. Heute plädiert der Anwalt des Hauptangeklagten, bevor es zum Urteil kommt.

Die Verteidigung des Angeklagten Samuel V. hielt ihr Plädoyer bereits vergangene Woche. Heute plädiert der Anwalt des Hauptangeklagten, bevor es zum Urteil kommt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Immer wieder kommt es im Prozess um die getötete Familie P. aus Starnberg zu überraschenden Wendungen. Während einer der zwei Angeklagten im vergangenen Jahr plötzlich gesteht, setzt sein Kumpel bis heute auf einen Freispruch. Das Verfahren nähert sich nun dem Ende - doch noch immer gibt es Zweifel.

Warum musste Familie P. aus Starnberg sterben? Wer wusste von dem Plan, Vincent P. umzubringen? Und vor allem: Wer war an der Tat beteiligt? Seit eineinhalb Jahren versucht das Landgericht München II, Antworten auf diese Fragen zu erhalten. Der Fall um den Dreifachmord von Starnberg entpuppte sich als einer der spektakulärsten Prozesse der vergangenen Jahre - nicht nur wegen seiner Länge. Vor allem die Wendungen, die dieses Verfahren nahm, hätte sich kaum ein Hollywood-Regisseur ausdenken können.

Was anfangs nach einem Familiendrama aussah, wurde schnell zu einem Verbrechen, das in seiner Brutalität kaum zu überbieten ist. Im Gerichtssaal gab es besonders hartnäckige Verteidiger, plötzliche Geständnisse und sogar eine Geburtstagstorte für den Angeklagten Samuel V. von dessen Verteidigern. Über Monate schien es, als würde der Fall für das Gericht mit jedem Zeugen verworrener statt klarer. Auch jetzt, kurz vor der Urteilsverkündung, sind keineswegs alle Ungereimtheiten ausgeräumt.

Ausgangspunkt für die vielen Rätsel im Gerichtssaal ist die Nacht vom 10. auf den 11. Januar 2020 in einem hellen Einfamilienhaus im oberbayerischen Starnberg. Hier lebt der Büchsenmacherlehrling Vincent P. mit seinen Eltern. In besagter Nacht werden alle drei aus nächster Nähe erschossen. Das erschreckende Bild offenbart sich am nächsten Morgen der Polizei - die Tochter der Familie hat sie gerufen, weil sie einige Tage nichts von ihren Eltern gehört hatte. Nun finden die Beamten die Leichen des Ehepaars P. im Schlafzimmer. Der tote Vincent P. liegt in seinem eigenen Zimmer, ihm wurde in den Kopf geschossen. In seiner rechten Hand hält er eine der zwei Tatwaffen.

Die Geständnis-Strategie des B.

Zunächst geht die Polizei daher von einem erweiterten Suizid aus - der 21-jährige Lehrling soll erst seine Eltern und anschließend sich selbst umgebracht haben. Als die Beamten bei ihren Ermittlungen auch Maximilian B., einen Freund von Vincent P., aufsuchen, ändert sich das jedoch schlagartig: Ohne zu zögern gesteht der damals 20-Jährige den Mord an seinem Freund und dessen Eltern. Und: Sein Mitbewohner, Samuel V., soll ihn nicht nur zum Tatort gefahren haben, der damals 19-Jährige soll auch in den mörderischen Plan eingeweiht gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft München klagt die beiden jungen Männer wegen Mordes in Mittäterschaft an. Chronisch pleite sollen sie es auf die Waffensammlung des getöteten Lehrlings abgesehen haben.

Auf den ersten Blick könnte dies wie ein schneller Prozess wirken, doch aus den angesetzten 40 sollen am Ende fast 80 Verhandlungstage werden. Wochenlang schweigen die Angeklagten - seine Einlassung zur Tatnacht wiederholt Maximilian B. vor Richterin Regina Holstein und den Schöffen zunächst nicht. Die Ermittler haben allerdings einen großen Teil des Waffenarsenals von Vincent P. bei ihm gefunden, und schließlich taucht ein Video vom Tatort auf seinem eigenen Handy auf. Darin hält die Kamera auf die Leiche des blutüberströmten Vincent P., während Maximilian B.'s Stimme beinahe unbeteiligt klingt: "Der atmet noch, hm." Nicht weniger verstörend ist die Szene aus dem Elternschlafzimmer. Der Filmende löscht das Licht und flüstert: "Dann lass ich euch mal schlafen."

Die Indizien gegen B. sind erdrückend. Rund sieben Monate nach Prozessbeginn, im Frühjahr 2022, ändert sich schließlich die Strategie der Verteidigung des heute 22-Jährigen. Er legt ein Geständnis ab. Maximilian B. gibt vor Gericht alles zu, was ihm die Staatsanwaltschaft unterstellt: Den dreifachen Mord und dass er und V. die Waffen von Vincent verkaufen wollten. 400.000 bis 600.000 Euro Erlös hätten sie sich erhofft. Auch seinen Freund Samuel V., den mutmaßlich Eingeweihten, belastet B. abermals schwer. So soll etwa die Idee, die Tat wie einen Selbstmord aussehen zu lassen, von ihm gekommen sein.

Wie lautet das Motiv?

In einem Punkt aber weicht sein Geständnis von der Anklage ab. So habe er seinen Kumpel nicht nur aus Habgier erschossen, sondern vor allem, um einen Amoklauf zu verhindern. Denn Vincent sei drauf und dran gewesen, ein Massaker in den "Pasing-Arcaden" in München anzurichten, erklärt B.s Anwalt Gerhard Bink, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. Die Amoklauf-Theorie kam im Verfahren schon früh zur Sprache. Eine Zeugenaussage der besten Freundin der getöteten Mutter zu Prozessbeginn deutete etwa in die Richtung, wie Alexander Stevens, der Anwalt des Mitangeklagten Samuel V. im Gespräch mit ntv.de sagte. So habe die Mutter etwas gewusst, wegen dem sie getötet werden könnte.

Der Jurist wies damals auch auf die Beschreibungen des Jugendamtes über Vincent P. hin. "Das liest sich wie die Biografie eines Serienkillers", bilanzierte Stevens. P. hatte früh Probleme in der Schule, sei "emotional extrem desolat" und konnte Fehler immer schlechter einsehen, heißt es in der Akte. Auch fiel er früh wegen Gewalt an Tieren auf. Als Büchsenmacherlehrling bastelte er sich schließlich aus Deko- und Schreckschusspistolen ein ganzes illegales Waffenarsenal zusammen.

Auch die Anklage kann einen geplanten Amoklauf von Vincent P. nicht ausschließen. Allerdings, betont Julia Wiesenbauer, rechtfertige dies die Tat "nicht im Ansatz". In ihrem Plädoyer vor wenigen Wochen spricht sie von einer regelrechten Hinrichtung der Eltern. Sie fordert 13 Jahre und sechs Monate Haft für die Angeklagten - plus Vorbehalt einer weiteren Sicherheitsverwahrung. Dass die Strafforderung für B. nicht höher als die für V. ausfällt, dürfte auch an seiner Kooperationsstrategie liegen.

Die Freispruch-Strategie des V.

Maximilian B. und Samuel V. sollen die Tat gemeinsam geplant haben. Sie waren gute Freunde, ihre Clique gab sich auf Whatsapp den Namen "Idioten vom Starnberger See". B. sei von dem ein Jahr jüngeren V. regelrecht angehimmelt worden, sagte Stevens damals. Im Handy habe er ihn als "Großer Bruder" abgespeichert. Nun sitzen die beiden gemeinsam auf der Anklagebank. Es trennen sie kaum zwei Meter, lediglich ihre Anwälte sitzen zwischen ihnen. Ihre Verteidigungsstrategie könnte jedoch kaum unterschiedlicher sein.

Denn im Gegensatz zu der Verteidigung von B., setzen die Anwälte von V. auf einen Freispruch ihres Mandanten. Statt mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren, säen Stevens und seine Kollegen von Prozessbeginn an Zweifel an der Anklage. Sie präsentieren etwa ein dutzend Tatalternativen und stellen so viele Beweisanträge, dass dies für einige Verfahrensbeteiligte bereits nach Prozessverzögerung aussieht. Stevens spricht im Gespräch mit "Bayern 3" hingegen von ihrer Verteidigungsstrategie, für die sie nun mal "jeden Stein umdrehen mussten".

Ihre Strategie, das ist die Unschuldsvermutung. Denn nicht V., der kaum etwas zum Prozess beitrug, muss seine Unschuld beweisen, sondern der Staat die Schuld des 21-Jährigen. Bleiben nur die geringsten Zweifel daran bestehen, muss das Gericht V. freisprechen. Und genau darum geht es Stevens und seinen Kollegen.

Die wichtigsten Fragen

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In ihrem Plädoyer vor wenigen Tagen sägen sie daher stundenlang an dem stärksten Indiz, das die Anklage gegen ihren Mandanten hat: die Aussage des B. Die Staatsanwaltschaft sei "einem Lügner aufgesessen", betont Stevens gleich zu Beginn. Denn B. habe in den Ermittlungen und im Prozess immer wieder gelogen, seine Aussagen dem Stand des Verfahrens angepasst und V. aus reinem Eigennutz "immer schwerer belastet". Dann stellt der Jurist die simple, aber alles entscheidende Frage: Kann das Gericht mit innerster Überzeugung bejahen, dass V. von dem Mordplan seines Kumpels wusste, als er diesen zum Haus der Familie P. fuhr?

Es wird die vermutlich schwerste Einschätzung sein, die Richterin Holstein und die Schöffen nun geben müssen. Denn trotz 80 Prozesstagen und rund 50 Zeugen bleiben im Dreifachmord von Starnberg Fragen offen und Zweifel bestehen. Warum genau Familie P. in der Nacht auf den 11. Januar 2020 sterben musste, konnte bis zum heutigen Tage nicht geklärt werden. Trotzdem steht das Urteil nun kurz bevor. Damit endet einer der spektakulärsten Fälle der vergangenen Jahre - zumindest in erster Instanz.

Quelle: ntv.de

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