Niederlandes Most Wanted Wer ist der in Afrika aufgespürte "Mocro"-Drogenboss?


Drogenboss Leijdekkers bei einem Gottesdienst in Sierra Leone.
(Foto: Fatima Maada Bio via REUTERS)
Lange fehlt vom meistgesuchten Kokain-Schmuggler Europas jede Spur, dann taucht er auf Bildern aus Sierra Leone auf - umringt von der Präsidentenfamilie. Jos Leijdekkers ist früh an die Spitze der "Mocro"-Mafia aufgestiegen, geht äußerst brutal vor - und ist den Ermittlern womöglich wieder einen Schritt voraus.
Ein Facebook-Video gibt Aufschluss über den Verbleib des untergetauchten niederländischen Drogenbarons Jos Leijdekkers, veröffentlicht von der First Lady von Sierra Leone. Die Aufnahmen zeigen den 33-Jährigen als Besucher eines Neujahrs-Gottesdienstes in der Kleinstadt Tihun, dem Geburtsort von Präsident Julius Maada Bio. Leijdekker sitzt auf der Bank hinter dem Staatschef und neben dessen Tochter. Niederländische Medien vermuten, dass die beiden ein Paar sind, die Staatsanwaltschaft bestätigt das nicht. Doch offensichtlich bewegt sich "Bolle Jos" ("Der dicke Jos") in den allerhöchsten Kreisen des westafrikanischen Landes.
In Europa ist Leijdekkers der wohl meistgesuchte Drogenboss. Nach Überzeugung der Ermittler hat er mit dem Drogenhandel über die Häfen von Rotterdam und Antwerpen Dutzende Millionen Euro verdient. Ein niederländisches Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit wegen des Schmuggels von rund sieben Tonnen Kokain und eines Mordauftrags zu 24 Jahren, ein belgisches Gericht wegen Drogenhandels und Körperverletzung zu zehn Jahren Haft. Weitere Verfahren laufen. Leijdekkers entzieht sich der Strafe bislang, wurde zunächst in Dubai, dann in der Türkei vermutet.
Der Niederländer gilt als eine der Führungsfiguren der sogenannten "Mocro"-Mafia, ein Netzwerk verschiedener krimineller Gruppen, die den Drogenschmuggel in den Niederlanden und Europa maßgeblich mitverantworten. Dort hat der 33-Jährige einen steilen Aufstieg hingelegt, wohl auch dank seines Vaters, der Verbindungen zum Kokain-Geschäft an den Häfen von Rotterdam und Antwerpen gehabt haben soll. Das erste Mal ins Gefängnis wanderte Leijdekkers mit 19 Jahren, nachdem er im Streit um einen Barhocker zwei Männer angeschossen hatte. Dort knüpfte er wichtige Kontakte für seine weitere kriminelle Karriere.
"Wir haben noch zwei Tonnen"
Nach der Festnahme des "Mocro"-Anführers Ridouan Taghi, der für mehr als 70 Morde verantwortlich sein soll, ist Leijdekkers nach Überzeugung der Ermittler an die Spitze des Netzwerks nachgerückt. Ausgewertete Gruppenchats belegen demnach, wie er den Drogenschmuggel von Südamerika nach Europa steuerte. Ende 2019 etwa konnten die Behörden 1554 Kilogramm Kokain am Hafen von Rotterdam sicherstellen, das in Fässern mit gefrorenem Fruchtfleisch versteckt war - ein offenbar zu verkraftender Verlust. Laut dem belgischen Sender VRT schrieb Leijdekkers dazu: "Wir haben noch zwei weitere Tonnen zu Weihnachten, die das wieder geradebiegen können."
Das legt nahe, dass die sieben Tonnen Kokain, für die Leijdekkers in den Niederlanden verurteilt wurde, nur ein Bruchteil des Gesamtgeschäfts ausmachen. Eine Tonne hat einen Verkaufswert von etwa 30 Millionen Euro. Die Chats lassen zudem sein Selbstbild erahnen. Als Pseudonym soll er Namen wie "El Presidente" (der Präsident) oder "El Ganador" (der Sieger) verwendet haben, an ihn adressierte Kokain-Pakete waren Berichten zufolge entsprechend beschriftet.
Berüchtigt ist Leijdekkers auch für seine Brutalität. So soll er bei der mutmaßlichen Entführung seiner Konkurrentin Naima Jillal "eine wichtige Rolle" gespielt haben. Die auch "Patin des Kokains" genannte Jillal stieg 2019 in Amsterdam in eine Limousine - und verschwand spurlos. 2023 fanden die Behörden auf dem Handy des inhaftierten "Mocro"-Chefs Taghi Fotos, auf denen eine nackte gefolterte Frau zu sehen ist, bei der es sich wohl um Jillal handelt. Sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr am Leben. Die Ermittlungen zu dem Fall dauern an.
Bargeld, Uhren und Haus in Dubai
Seit Mai 2022 sucht Europol nach Leijdekkers, Hinweise zu seinem Aufenthaltsort werden mit 200.000 Euro belohnt. Während er jahrelang ein Phantom blieb, nahmen die Ermittler seine Familie ins Visier, die unter Verdacht steht, in die Wäsche der Drogengelder involviert zu sein. Auf dem Anwesen seiner Mutter und Schwester stieß die Polizei auf große Bargeldbeträge in diversen Währungen, Luxusuhren und Designerhandtaschen im Wert von Hunderttausenden Euro sowie auf zwei gefälschte Pässe. Zudem soll Leijdekkers laut VRT eine Villa auf der künstlich angelegten Insel Palm Jumeirah in Dubai besitzen.
Mutter und Tochter sollen 2022 mindestens zweimal in die Türkei gereist sein, um Leijdekkers zu besuchen. Dort soll er den Ermittlern zufolge sogar mehrfach festgenommen worden sein, konnte sich aber durch die Bestechung korrupter Beamter immer wieder freikaufen.
Die Staatsanwaltschaft in den Niederlanden vermutet Leijdekkers schon "seit mehr als sechs Monaten" in Sierra Leone, von wo aus er möglicherweise seinen Geschäften nachgeht. Das Land an Afrikas Westküste bildet ein Scharnier im internationalen Drogenhandel, Ware aus Südamerika wird von dort nach Europa weiterverschifft. Außerdem attraktiv für Leijdekkers: Die Niederlande und Sierra Leone haben kein Auslieferungsabkommen.
Sierra Leone will kooperieren
Das Land teilte nach Veröffentlichung der Kirchenaufnahmen durch Reuters mit, man sei zur Zusammenarbeit mit den Niederlanden und Interpol bereit. Der Präsident habe während der Feiertage an zahlreichen Veranstaltungen teilgenommen, bei denen Fotos mit verschiedenen Personen gemacht worden seien. Er habe jedoch keine Kenntnis von der Identität Leijdekkers. Niederländische Medien mutmaßen, dass der Drogenboss unter einer falschen Identität ins Land eingereist sein und mittlerweile die Staatsbürgerschaft angenommen haben könnte.
Die niederländische Zeitung "De Telegraaf" veröffentlichte ein Video, das offenbar Leijdekkers zeigt, wie er an einem Streit in einem Nachtclub in Sierra Leone beteiligt ist. Er versucht wohl die Situation zu beruhigen, wird aber selbst harsch angegangen. Die Aufnahmen sollen älter sein als die Bilder aus der Kirche, was ebenfalls für einen längeren Aufenthalt in dem westafrikanischen Land spricht.
Ob er sich noch immer dort befindet, ist jedoch unklar. Nach Angaben der Zeitung gehen die niederländischen Ermittler davon aus, dass Leijdekkers seit dem Wochenende versucht, Sierra Leone zu verlassen oder womöglich schon außer Landes ist. Seit Freitag sei der Drogenboss wieder untergetaucht.
Quelle: ntv.de, mit dpa