Keine verlässlichen Daten Wie viele Menschen sterben an Omikron?
30.03.2022, 09:03 Uhr
Wie viele Menschen mit statt an Omikron sterben, weiß man in Deutschland nicht, weil die entsprechenden Daten fehlen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Im Sieben-Tage-Schnitt meldet das RKI rund 225 Corona-Tote. Das ist eine sehr hohe Zahl, doch sie unterscheidet nicht zwischen Fällen, die wegen oder mit Covid-19 gestorben sind. Wie viele Menschen derzeit tatsächlich Omikron zum Opfer fallen, kann mangels verlässlicher Daten nur geschätzt werden.
In Deutschland fallen fast alle Corona-Einschränkungen, während Fallzahlen und Hospitalisierungsinzidenz immer noch enorm hoch sind. Möglich ist das nur, weil die meisten Menschen geimpft sind und die Omikron-Variante allgemein seltener zu schweren Erkrankungen führt. Wie oft dies tatsächlich der Fall ist, kann man in Deutschland allerdings bestenfalls schätzen, da entsprechende Daten lediglich sporadisch erhoben werden. Das führt auch dazu, dass man nicht wirklich beziffern kann, wie viele Infizierte derzeit an Covid-19 sterben. Das Einzige, was man sicher weiß, ist, dass die gemeldeten Zahlen zu hoch sind.
Seit Ende Januar steigt die Zahl der registrierten Corona-Toten kontinuierlich an. Am 1. Februar waren es noch 146 Opfer, gestern hat das Robert-Koch-Institut (RKI) 226 gemeldet. Das ist der dritthöchste Wert seit Beginn der Pandemie und man möchte meinen, in so einer Situation einen "Freedom Day" zu feiern, grenze an Wahnsinn. So einfach ist es aber nicht, wegen Omikron muss man die Situation ganz anders einschätzen als in den vorausgegangenen Wellen.
Gemessen an der hohen Inzidenz wenig Corona-Tote
Zunächst gilt es, die hohen Zahlen in Relation zu sehen. Wie das zu verstehen ist, zeigt die Einschätzung des IGES Pandemie-Monitors vom 18. März: "Wenn man die Zahl der gemeldeten Sterbefälle auf die Zahl der Infektionsfälle bezieht, die drei Wochen früher gemeldet worden waren (um den Zeitabstand zwischen Infektions- und Sterbezeitpunkt zu berücksichtigen), ergibt sich eine rechnerische Letalität von deutlich unter einem Promille, während diese Ende des Jahres 2020 etwa 4,6 Prozent betrug – mehr als das 50fache."
Das ändert allerdings nichts daran, dass 225 Tote pro Tag zu viele sind - wenn es denn tatsächlich alles Corona-Opfer wären. Tatsächlich war die Zahl der Covid-19-Todesfälle immer etwas zu hoch gegriffen, was ganz einfach daran liegt, dass es quasi unmöglich ist, in jedem Fall exakt festzustellen, was die konkrete Todesursache ist. Oft sind Krankheitsbilder so komplex, dass sie überhaupt nicht festgestellt werden kann - zumal in der Regel keine Obduktion durchgeführt wird.
Im Zweifel für die Statistik
Das RKI schreibt dazu, "das Risiko, an Covid-19 zu versterben, ist bei Personen, bei denen bestimmte Vorerkrankungen bestehen, höher. Daher ist es in der Praxis häufig schwierig zu entscheiden, inwieweit die SARS-CoV-2-Infektion direkt zum Tode beigetragen hat." Solche Fälle, "bei denen sich nicht abschließend nachweisen lässt, was die Todesursache war ('gestorben mit')", zählt das RKI in seiner Statistik zu den Covid-19-Toten.
Bis Omikron war die dadurch entstandene Unschärfe vertretbar gering. Das geht unter anderem aus einer kürzlich veröffentlichten deutschen Studie hervor, in der von April bis Oktober 2021 bei 1129 Covid-19-Todesfällen zur Überprüfung Autopsien durchgeführt wurden. 86 Prozent der Diagnosen waren korrekt, die häufigste direkte Todesursache war Lungenversagen.
Bei unveränderten Voraussetzungen müsste man also den aktuellen Wert schon auf unter 200 Covid-19-Tote im Sieben-Tage-Schnitt senken. Doch mit Omikron gibt es so viele leichte und oft gar nicht erkannte Infektionen, dass die Unschärfe noch weit höher sein muss.
50 Prozent der Hospitalisierungen "mit" Covid-19
Das kann man unter anderem daraus schließen, dass ein Großteil der Corona-Hospitalisierungen erst im Krankenhaus positiv getestet wird. Sehr gute Zahlen dazu liefert der britische National Health Service (NHS). Seiner jüngsten Statistik zufolge waren in England am 22. März von insgesamt 12.142 Corona-Patienten lediglich 5409 wegen einer Covid-19-Erkrankung eingeliefert worden.
Auch nur annähernd so gute Daten gibt es in Deutschland nicht, aber einzelne Krankenhäuser führen entsprechende Statistiken. Zu ihnen gehört das Klinikum Essen, das zu den drei deutschen Einrichtungen gehört, die in der Pandemie am meisten Covid-19-Patienten behandelt haben.
Chef-Virologe Alfred Schier sagte in der "Phoenix"-Sendung "Corona nachgehakt" am 5. März, aktuell seien etwa 40 Prozent seiner Patienten praktisch symptomfrei, zwei Wochen zuvor seien es zum Höhepunkt der Omikron-Welle sogar etwa 50 Prozent gewesen. Dazu muss ergänzt werden, dass in Deutschland nach dem Interview - vermutlich durch die noch ansteckendere Subvariante BA.2 - die Fallzahlen erneut angestiegen und aktuell deutlich höher als in der Spitze Mitte Februar sind.
Vor allem alte Menschen gefährdet
Ähnlich hoch kann der Wert bei den Todeszahlen nicht sein, da hier viel weniger junge Patienten betroffen sind. Schon immer in der Pandemie fielen Covid-19 vor allem sehr alte Menschen zum Opfer, von denen viele zusätzlich Vorerkrankungen hatten. Laut RKI sind 84 Prozent der Corona-Toten über 70, der Altersmedian liegt bei 83 Jahren. Der Anteil dieser Altersgruppen an allen Infektionen beträgt dagegen lediglich 7 Prozent. Dieser Trend hat sich mit Omikron und den Impfungen weiter verstärkt: In der ersten Märzwoche waren von rund 1250 gemeldeten Covid-19-Toten knapp 1100 älter als 70 Jahre, was 88 Prozent entspricht.
Viele besonders alte Patienten sind auch der Grund, warum bundesweit die Zahl der Corona-Intensivfälle seit drei Wochen wieder steigt. Während die Patienten in allen anderen Altersgruppen immer weniger werden, nehmen sie bei den über 70-Jährigen seit Ende Januar deutlich zu. Der Anteil der über 80-Jährigen ist sogar von rund 9 auf 24 Prozent gestiegen. 67 Corona-Intensivpatienten sind seit gestern gestorben, wobei man davon ausgehen kann, dass bei ihnen mit oder wegen Corona keinen Unterschied gemacht hat.
Dänemark zeigt Statistik-Problem
Um zu schätzen, wie viele Menschen noch aufgrund ihrer Covid-19-Infektion sterben, hilft ein Blick nach Dänemark. Im Februar war das Land in großer Erklärungsnot, weil nach dem Wegfall aller Corona-Maßnahmen die Inzidenz enorm hoch und auch die Zahl der Covid-19-Toten stark gestiegen war.
Wie der Gesundheitsdienst Statens Serum Institut (SSI) in einer Richtigstellung mitteilte, beruhte die Entwicklung aber auf der Tatsache, dass das Land nach WHO-Regeln für seine offizielle Statistik alle Todesfälle zählt, bei denen innerhalb von 30 Tagen vor dem Todesdatum ein Covid-19-PCR-Test positiv ausfiel. Trotz der hohen Fallzahlen des Landes sei die allgemeine Sterblichkeit Dänemarks rückläufig und nähere sich jetzt wieder dem normalen Niveau der Jahre vor der Pandemie, teilte das SSI mit.
Inzwischen ist die dänische Sieben-Tage-Inzidenz trotz der umfassenden Lockerungen auf rund 615 Infektionen pro 100.000 Einwohner gesunken, und entsprechend geht die offizielle Statistik der Covid-19-Toten fast senkrecht nach unten. Wie vom SSI angegeben, handelt es sich bei dem Rückgang fast ausschließlich um Menschen, die mit und nicht wegen Corona gestorben sind. Ein Blick auf die Statistiken von EuroMOMO zeigt, dass sich die dänische Übersterblichkeit seit Mitte Februar zwar noch leicht erhöht hat, aber wieder im normalen Bereich ist.
Briten führen getrennte Statistiken
In Großbritannien, das schon früher trotz hoher Inzidenzen einen "Freedom Day" feierte, ist die Übersterblichkeit teilweise sogar unter den üblichen Durchschnittswerten der Jahre vor der Pandemie gesunken. Trotzdem steigt in der offiziellen Statistik die Zahl der Corona-Toten im Vereinigten Königreich seit Anfang März wieder an. Das hängt mit der neuen Omikron-Welle zusammen, die die britische Inzidenz im gleichen Zeitraum von 280 auf fast 900 Fälle nahezu verdreifacht hat. Es handelt sich also wahrscheinlich um Todesfälle "mit" Covid-19.
In einer separaten Statistik weist die Gesundheitsbehörde die Corona-Toten aus, in deren Sterbeurkunden Covid-19 als Todesursache vermerkt wurde. Hier ist der Sieben-Tage-Durchschnitt seit Mitte Januar bis Ende Februar konstant von rund 235 auf nahe 100 Fälle gesunken. Weiter reichen die Werte nicht, da es mindestens elf Tage dauert, bis die Todesursache offiziell festgestellt wurde. Die Kurve könnte also noch ansteigen, ein gegenläufiger Trend ist allerdings bis zum 11. März nicht zu erkennen.
Keine erhöhte Übersterblichkeit mehr in Deutschland
Eine ähnliche gute Datenlage kann man sich in Deutschland nur wünschen. Aber die EuroMOMO-Statistik zeigt immerhin, dass vermutlich auch in der Bundesrepublik etliche offizielle Corona-Tote eigentlich Menschen sind, die mit und nicht wegen Covid-19 gestorben sind. Denn die Übersterblichkeit ist zwar seit Anfang des Jahres leicht angestiegen, bewegt sich aber ähnlich wie der dänische Wert im normalen Bereich.
Dabei muss man aber berücksichtigen, dass die Grippesaison erneut ausgefallen ist und durch die Corona-Maßnahmen andere Infektionskrankheiten ebenfalls zurückgedrängt werden. Das heißt, auch mit Omikron bleibt Covid-19 eine gefährliche und vor allem für ungeimpfte, ältere und vorerkrankte Menschen eine tödliche Krankheit.
Quelle: ntv.de