Panorama

16-jähriger Patient berichtet Wo Jugendliche mit ADHS Hilfe bekommen

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Eine Besonderheit der Edelsteinklinik: Zwei Drittel der jungen Patienten machen die Reha in Begleitung ihrer Eltern.

Eine Besonderheit der Edelsteinklinik: Zwei Drittel der jungen Patienten machen die Reha in Begleitung ihrer Eltern.

(Foto: picture alliance/dpa)

In Bruchweiler treffen sich Jugendliche mit ADHS. Hier lernen sie sechs Wochen lang, mit ihrer Störung umzugehen. Immer mehr junge Patientinnen und Patienten bekommen diese Reha und proftieren dann im Alltag.

Wie es in Yannicks Kopf aussieht oder was darin vorgeht, kann er nicht in Worte fassen. "Ich bin früher häufig ausgerastet und konnte mich nicht konzentrieren", erzählt der 16-Jährige aus Sachsen. Nur wenn ihn in der Schule etwas wirklich interessiert, bleibt er aufmerksam. Beim Fußballspielen oder Fahrradfahren fühlt er sich wohl.

Seit rund acht Jahren weiß Yannick, dass er ADHS hat, eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit Hyperaktivität. Seine Hoffnung: eine Besserung seiner Lage mit einer Reha in der Edelsteinklinik in Bruchweiler im Landkreis Birkenfeld. Diese Klinik der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz bietet unter anderem psychosomatische und psychische Rehabilitation für Kinder und Jugendliche an.

Permanente Erwartungshaltung

In Bruchweiler soll Yannick lernen, sich zu konzentrieren, weniger häufig aggressiv zu reagieren und insgesamt mit ADHS besser umzugehen. Lässt sich nachvollziehen, wie man sich mit dieser Störung fühlt? "Stellen Sie sich vor, Sie sind 24 Stunden in aufgeregter Erwartungshaltung, so geht es ADHS-Patientinnen und -Patienten permanent", schildert Tigran Nersisyan, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Leitender Oberarzt in der Edelsteinklinik.

Wie häufig Kinder und Jugendliche von ADHS betroffen sind, lässt sich nur schätzen. "Die Forschung geht von 5,5 bis 8 Prozent der Bevölkerung aus", sagt Nersisyan. Fest steht, dass inzwischen mehr Kinder und Jugendliche eine Reha in Anspruch nehmen als früher.

2014 gab es bei der Rentenversicherung in ganz Deutschland insgesamt 31.384 Reha-Maßnahmen, davon 7546 für psychosomatische und psychische Störungen. 2024 stieg die Zahl auf 32.222 Reha-Maßnahmen, davon 10.771 für psychosomatische und psychische Störungen. In Rheinland-Pfalz sind die absoluten Zahlen in den vergangenen zehn Jahren aber leicht gesunken.

Die Studienlage zeige keine Zunahme von ADHS bei Kindern und Jugendlichen, erklärt Sabine Maur. Sie ist Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz und hat eine Praxis in Mainz mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Die größere Zahl an Kindern und Jugendlichen in den Praxen führt sie auf größere Bekanntheit und Akzeptanz der Störung in der Bevölkerung zurück, vor allem bei Eltern und Lehrkräften. "Eine Behandlung ist nicht mehr so stigmatisiert wie früher", sagt die Psychologische Psychotherapeutin.

ADHS wird an Bedeutung gewinnen

Neben Yannick sind im August 16 Patienten und Patientinnen mit ADHS in Bruchweiler untergebracht. Im vergangenen Jahr behandelte die Klinik 149 Kinder und Jugendliche wegen dieser Störung. "Wir stellen uns darauf ein, dass ADHS in der Reha bei Kindern und Jugendlichen künftig eine stärkere Rolle spielen wird", sagt Hans-Georg Arnold, Sprecher der DRV Rheinland-Pfalz.

Die Reha dauert in der Regel vier bis sechs Wochen. Medikamente sind ein wichtiger Baustein der Behandlung und haben Maur zufolge einen besseren Effekt auf die Konzentrationsfähigkeit als Psychotherapie.

Denn das AD(H)S-Gehirn leidet unter ständiger Reizüberflutung, die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin sind im Ungleichgewicht. "ADHS ist keine Reaktion auf ein Trauma oder belastende Lebensumstände, sondern eine neurobiologische Störung, die angeboren und auch erblich ist", sagt Maur. Insbesondere die Abschnitte im Gehirn seien beeinträchtigt, die für eine Steuerung des Verhaltens oder von Emotionen, aber auch für alltägliche organisatorische Aufgaben zuständig sind.

Angehörige können eine wichtige Unterstützung im Alltag sein. Deswegen machen gut zwei Drittel der jungen ADHS-Patienten und ‑Patientinnen die Reha in Begleitung ihrer Eltern, eine Besonderheit der Edelsteinklinik.

In Bruchweiler ist es möglich, mit oder ohne Eltern anzureisen. Die Eltern nehmen an Schulungen teil und erhalten Tipps und Ratschläge, wie sie mit dem Verhalten ihrer Kinder umgehen können. Von den Ärzten gibt es Anweisungen zur medikamentösen Behandlung. Bei jüngeren Kindern gibt es nach den Therapieeinheiten auch Reflexionsgespräche mit den Eltern. Ältere Jugendliche kommen meist ohne Begleitung, da sie lernen sollen, selbstständig mit der Störung umzugehen.

Von Ergo- bis Psychotherapie

Immer wieder sonntags bekommt Yannick einen festen Therapieplan. Darin: Ergotherapie, Konzentrationstraining, Psychotherapie, Sport beziehungsweise Bewegungstherapie, Ernährungstherapie und außerhalb der Ferienzeit Schulunterricht. Die Kinder und Jugendlichen kochen zusammen oder machen mit ihren Therapeutinnen und Therapeuten Entspannungsübungen.

Im Konzentrationstraining lernen die Jugendlichen, sich selbst verbal anzuleiten. Sie schaffen eine innere Struktur und sprechen sich die einzelnen Schritte vor, um Aufgaben zu lösen. Mit der Zeit soll dies nur noch innerlich gedacht werden.

Yannick berichtet, dass ihm der Kontakt zu anderen Jugendlichen mit ADHS guttut. "Einerseits hilft es, weil man sich nicht so alleine fühlt, andererseits ist es auch anstrengend, weil alle unkonzentriert sind."

Die Edelsteinklinik ist nicht die einzige Reha-Klinik für Kinder und Jugendliche in Rheinland-Pfalz, es gibt noch zwei weitere: das Viktoriastift in Bad Kreuznach, das zum Landeskrankenhaus gehört, und die privat geführte Katharina-Schroth-Klinik in Bad Sobernheim, die sich auf Orthopädie spezialisiert hat. Deutschlandweit bietet neben der Edelsteinklinik auch die Fachklinik Gaißach in Oberbayern ein ADHS-Programm für Kinder und Jugendliche an.

Yannick nimmt nicht nur neue Erfahrungen, sondern auch seine ADHS-Skills mit nach Hause - das sind Strategien, die er sich mit seinen Sozialpädagogen erarbeitet hat. Dazu gehört Musik hören oder in ein Kissen boxen, sollte er wieder ausrasten. "Wenn man weiß wie, kann man mit ADHS gut umgehen", sagt er.

Quelle: ntv.de, Bernadette Winter, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen