Ein Brauch und seine Folgen Wo tote Babys Glücksbringer sind
11.07.2020, 10:20 Uhr
Der Glaube an die Macht der Babyfiguren geht auf einen berühmten thailändischen Dichter zurück.
(Foto: picture alliance/dpa)
In Thailand gibt es einen Markt für Figuren, in denen Teile toter Babys oder Föten eingearbeitet sind. Sie sollen Glück und Reichtum bringen, sind aber eigentlich verboten. Einigen Klöstern erlaubt die Polizei Kompromisse, der Brauch treibt aber auch erschreckende Blüten.
Nontawat Tongtammachad verkauft Liebestränke, Amulette und Buddha-Statuen. Doch die meisten seiner Kunden kommen wegen seiner größten Spezialität in den dritten Stock eines heruntergekommenen Shoppingcenters in der thailändischen Hauptstadt Bangkok: Es sind Babyfiguren, die Wünsche wahr werden lassen sollen. Die mächtigsten davon enthielten Stücke von toten Menschen, und dafür bezahlten Kunden bis zu 30.000 Baht, umgerechnet rund 860 Euro, erklärt der 45-jährige Ladenbesitzer. "Als Buddhisten glauben viele Thais an Wiedergeburt", sagt er. "Wir glauben, dass in einem Stück eines toten Menschen sein Geist und dessen Macht bleibt."

Ein Mönch zeigt das Innere einer Babyfigur, die Asche mit menschlichen Überresten enthalten soll.
(Foto: picture alliance/dpa)
Gleichzeitig hätten viele Thais auch Angst vor den Figuren, in denen dem Volksglauben nach der Geist der Toten lebt, sagt Nontawat. Deshalb stellten seine Kunden die Figuren oft neben eine Buddha-Statue in ihrem Haus. Das kontrolliere die Macht der Figuren, sagt er. Und um sie glücklich zu stimmen, stellten ihre Besitzer Süßigkeiten und Getränke vor sie.
Der Glaube geht auf eine Legende zurück, von der Thais in der Schule lernen. Laut dem Gedicht des berühmten thailändischen Dichters Sunthorn Pu gab es einst einen Krieger, der eine schwangere Frau hatte, die ihn vergiften wollte. Er schnitt ihr den Bauch auf und riss den Fötus heraus, hielt ihn über ein Feuer und sprach Zaubersprüche. Darauf soll der Geist des Fötus seinen Vater überallhin begleitet, beraten und auf Schlachtfeldern vor Feinden gewarnt haben. Der Mann nannte den Geist Kuman Thong, was auf Thai "Goldenes Kind" bedeutet.
Seither wollen etliche Thais ihren eigenen Kuman Thong. Bei der traditionellen Herstellung mixte man Körperflüssigkeiten toter Föten oder Babys in die Figuren, sagt Verkäufer Nontawat. Doch das sei heute illegal, heißt es von der Polizei. Ein Gesetz der 1970er Jahre verbiete es, Leichen zu entweihen, und darunter falle diese Herstellungsart.
Gang betrieb Abtreibungsklinik
Mönche, die die Figuren meist herstellten, hätten sich angepasst, sagt der Ladenbesitzer. Sie würden inzwischen auch andere Teile von Toten zur Herstellung nehmen - auch von toten Erwachsenen. Die Polizei gewährt nach eigenen Angaben einigen Tempeln Ausnahmegenehmigungen: Sie dürften Asche von kremierten Verstorbenen benutzen, wenn deren Familien zustimmen.
Ein Tempel, von dem Nontawat seine Babyfiguren bezieht, heißt Wat Samngam. Er befindet sich am Rande von Bangkok und gehört zu den größten Herstellern. Dort nutzten sie jeweils Asche bedeutender Menschen wie hochrangiger Polizisten und Dorfvorsteher, sagt Mönch Phra Anuchit Upanan, der seit mehr als 20 Jahren dort ist. "Das macht die Kuman Thong heiliger." Sie mischten der Asche auch Erde von sieben Friedhöfen bei.
Im Laden von Nontawat gibt es auch Figuren ganz ohne menschliche Teile, die es für Leute mit kleinerem Budget bereits ab 300 Baht oder 8,60 Euro zu haben gibt. Bei deren Herstellung wird beispielsweise Harz verwendet; dem Volksglauben nach bewohnt dann etwa der Geist von Pflanzen oder Bäumen die Figuren.
Doch nach wie vor gibt es Versuche, die Figuren auch auf die traditionelle Art herzustellen. Wie oft das vorkommt, weiß die Polizei nicht. Entsprechende Ermittlungen seien schwierig, heißt es. Ab und zu berichten örtliche Medien über besonders spektakuläre Verhaftungen.
2018 etwa stahlen Räuber elf tote Babys aus einem Friedhof. Die Leichen wurden mit weißem Faden gefunden - ein Indiz dafür, dass an ihnen ein Ritual ausgeführt wurde, das dem Volksglauben nach nötig ist, um den Geist für die Kuman Thong zu beschwören. Und 2012 nahm die Polizei eine Gang fest, die eine Abtreibungsklinik betrieben hatte und aus den toten Föten Kuman Thong herstellte. Im selben Jahr griff sie auch einen Mann auf, der sechs Babyleichen gebraten, tätowiert und mit Goldblättern bedeckt hatte.
Quelle: ntv.de, Kaweewit Kaewjinda und Anne-Sophie Galli, dpa