Panorama

Mehr als eine Provinz Linz - Kulturhauptstadt 2009

Seit 1985 erhält jährlich mindestens eine europäische Stadt den Titel Kulturhauptstadt Europas. 2009 war es neben Vilnius Linz: eine spröde aber attraktive Stahlmetropole.

Als Kulturhauptstadt Europas haben 2009 rund drei Millionen Besucher die Stahlmetropole Linz als spröde Schönheit kennengelernt.

Als Kulturhauptstadt Europas haben 2009 rund drei Millionen Besucher die Stahlmetropole Linz als spröde Schönheit kennengelernt.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Über Linz lächelt man immer in Österreich, weil es sich so unwillkürlich auf Provinz reimt, spottete schon der Dichter Stefan Zweig über die Industriestadt nahe der deutschen Grenze. Dazu noch die unrühmliche NS-Vergangenheit als eine der Lieblingsstädte Adolf Hitlers und die meisten Touristen würden wohl sofort auf einen Abstecher verzichten. Doch als Kulturhauptstadt Europas haben 2009 rund drei Millionen Besucher die Stahlmetropole als spröde Schönheit mit unerwartet attraktiven Seiten sowie einem innovativen Programm kennengelernt. Der Stadt selbst hat das Projekt Internationalität und einen Energieschub gebracht, den sie nun selbst erhalten muss, sind sich die Organisatoren wie Politiker sicher.

"Es war ein Lebensgefühl in der Stadt, wie man es hier noch nie erlebt hat", sagte der aus der Schweiz stammende Linz09-Intendant Martin Heller. Die Menschen seien stolz auf ihre Stadt gewesen und hätten eine Neugier entwickelt, dies sei durch nichts aufzuwiegen. Denn zwischen dem Schmuckkästchen Salzburg und der Prunkmetropole Wien gelegen wird die 190.000-Einwohner-Stadt mit ihren im Vergleich eher bescheidenen historischen Bauten oft übersehen. Im Zweiten Weltkrieg wurden zudem weite Teile durch Luftangriffe zerstört. Die Industriestadt war fortan österreichweit eher dafür bekannt, dass sie mehr Arbeitsplätze als Einwohner bietet. Einzig die etwas trockene Marmeladen-Mürbeteigtorte brachte Linz internationale Wahrnehmung ein.

Besonderes Konzept

Neben dem österreichischen Linz ...

Neben dem österreichischen Linz ...

(Foto: dpa)

Im vergangenen Jahr trat dann ein Team von Kulturmachern an, den von Linz bereits eingeschlagenen Weg einer modernen Stadt weiter zu verfolgen. Rund 5000 Künstler aus 66 Nationen gestalteten 220 Projekte. 7700 Veranstaltungen standen auf dem Programm. Statt auf spektakuläre Großprojekte setzten die Organisatoren lieber auf ein breites Themenspektrum und das Einbinden der Bevölkerung.

"Auch wenn das Format einheitlich Kulturhauptstadt heißt, muss man aus sich selbst heraus ein Konzept schneidern, das auf die speziellen Stärken und Schwächen eingeht", sagte Heller. Neben einer genauen Analyse der zu erreichenden Ziele sei dies ein Rat, den er künftigen Kulturhauptstadt-Organisatoren geben möchte.

Thema "Braune Vergangenheit"

... war die litauische Hauptstadt Vilnius Europas Kulturhauptstadt 2009.

... war die litauische Hauptstadt Vilnius Europas Kulturhauptstadt 2009.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das Label Kulturhauptstadt brachte die Stadt an der Donau auch dazu, sich erstmals in dieser Offenheit mit ihrer NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Denn Hitler, der hier zur Schule ging, plante für eine seiner Lieblingsstädte zahlreiche Prunkbauten, Prachtstraßen und Kulturprojekte, die aber größtenteils Illusion blieben. Die im Schloss stattfindende Ausstellung unter dem provokanten Titel "Kulturhauptstadt des Führers" zog rund 60.000 Besucher an, auch andere Projekte thematisierten die düstere Historie von Linz.

"Es war von Anfang an ganz klar, dass Linz von seiner braunen Vergangenheit nicht zu trennen ist", betonte Heller. Man habe sich entschlossen, diese mit großer Offenheit herzuzeigen und dafür Respekt gezollt bekommen. Auch die Menschen in der Region hätten sich der Vergangenheit gestellt und gelernt, diese Erbe als Teil ihrer Wirklichkeit zu begreifen. Denn anfangs habe es in Linz schon Unsicherheit gegeben, ob ein solch offener Umgang richtig sei und man nicht dadurch einen "Stempel" aufgedrückt bekomme, so Heller. "Es war sicher gut, dass ich von außen gekommen bin und mich weniger absprechen musste, ob man das überhaupt thematisiert", so der Schweizer.

Kultur und Tourismus beflügelt

Schriller Blickfang vor dem Linz09-Infocenter auf dem Hauptplatz in Linz.

Schriller Blickfang vor dem Linz09-Infocenter auf dem Hauptplatz in Linz.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Aus diesem Grund der größeren Unabhängigkeit und dem "Blick von außen" rät Heller auch anderen Kulturhauptstädten zu dem bisher eher unüblichen Konzept einer künstlerischen Leitung oder Intendanz, wie sie Linz mit ihm und seinem Team für das Kulturhauptstadtjahr hatte. "Das hilft, auch ungewöhnliche Dinge zu tun", sagte er. Viele Formate könnten sich Menschen, die nicht im Kulturbetrieb tätig seien, erst gar nicht vorstellen.

Den Abschied vom Titel will Linz an Silvester noch mit Feuerwerk und einer großen Feier zelebrieren, dann ist die Ex-Industriestadt für den Erhalt des Kultur-Energieschubs selbst verantwortlich. Den schönen Künsten zugutekommen könnte nach Meinung von Heller in diesem Zusammenhang die Wirtschaftskrise. Kulturinteressierte hätten im vergangenen Jahr das Loch gefüllt, dass der Einbruch von Geschäftsreisen gerissen hätte: Die Touristiker freuten sich mit rund 638.000 Nächtigungen über ein Plus von 11,4 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. "Die Stadt darf sich jetzt nicht auf dem Titel ausruhen, sondern muss sich weiter entwickeln", so Heller.

Quelle: ntv.de, Miriam Bandar, dpa

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