"Augen der NATO" für Afghanistan AWACS-Einsatz beschlossen
12.06.2009, 16:27 UhrDie NATO wird in Kürze drei bis vier AWACS-Aufklärungsflugzeuge für zunächst ein Jahr entsenden. Derzeit konstatieren die Militärs einen Höchststand der Taliban-Angriffe.
Nach knapp einjährigem Streit hat die NATO die Entsendung von AWACS-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan beschlossen. Die Verteidigungsminister der 28 Bündnisstaaten besiegelten in Brüssel den Einsatz von bis zu vier Maschinen für zunächst ein Jahr, wie ein NATO-Militärvertreter mitteilte. Nach Diplomatenangaben soll der AWACS-Einsatz schon nach 120 Tagen überprüft werden.
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung begrüßte die Einigung. Die Bundeswehr bewältigte die Hälfte des Lufttransports und sei für die gesamte Luftaufklärung zuständig: "Und von daher haben wir ein Interesse an zusätzlicher Flugsicherheit." Es gebe auch Pläne für eine direkte Flugverbindung zwischen Frankfurt und Kabul: "Und deswegen ist es sinnvoll, dass wir uns hier zusätzlich engagieren - auch mit AWACS-Maschinen der NATO." Die Flugzeuge sollen der zivilen Luftkontrolle dienen, nicht der Erfassung von militärischen Zielen.
Für eine Bundeswehr-Beteiligung mit bis zu 100 Soldaten ist ein neues Bundestagsmandat erforderlich. Darauf wies der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin hin. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm ergänzte, dass die Entscheidung angesichts der nur noch wenigen Sitzungswochen bis zur Bundestagswahl "zügig" umgesetzt werden soll. Anfang Juli verabschiedet sich der Bundestag in die parlamentarische Sommerpause. Unabhängig von der Möglichkeit von Sondersitzungen tritt der Bundestag wahrscheinlich erst nach der Bundestagswahl am 27. September zu einer neuen Legislaturperiode zusammen.
Deutschland trägt ein Viertel der Kosten
Der Einsatz zur Kontrolle des zunehmenden Luftverkehrs in Afghanistan war von Frankreich blockiert worden. Paris wollte sich nicht an den Einsatzkosten von etwa 100 Millionen Euro pro Jahr beteiligen, weil es über eigene AWACS-Maschinen verfügt. Auf Frankreich wären etwa 15 bis 18 Millionen Euro entfallen. Nach Angaben von Diplomaten einigten sich die Bündnispartner schließlich darauf, dass sich Frankreich lediglich an den Mehrkosten für den Einsatz in Afghanistan beteiligt - ein Betrag von weniger als einer Million Euro.
Nach Angaben von Diplomaten trägt Deutschland etwa 25 Prozent der Kosten, weil nicht nur ein Drittel der Besatzungen aus Deutschland komme, sondern auch der Stützpunkt Geilenkirchen in Deutschland (Bundesland Nordrhein-Westfalen) liegt und etwa 40 Prozent des gesamten Personals Deutsche sind. Über die Stationierung der mit umfangreichen Radaranlagen ausgestatteten AWACS-Maschinen ist noch nicht entschieden. Bisher wird vor allem an eine Stationierung im türkischen Konya gedacht, weil die Türkei NATO- Mitglied ist. Die Flugzeuge können in der Luft aufgetankt werden.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Rupert Polenz (CDU), befürwortet den Einsatz. Auch der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bernd Siebert, begrüßte die Entscheidung gegenüber der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" als "längst überfällig". SPD-Verteidigungsexperte Jörn Thießen übte dagegen Kritik: "Es gibt bei uns noch einige Menschen mit Bedenken", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger" mit Blick auf die SPD-Fraktion. "Für die Flugsicherung ist AWACS geeignet, aber überdimensioniert." Die Flugzeuge könnten "in alle Nachbarländer gucken".
Die sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, forderte von der Bundesregierung Aufschluss darüber, "ob und wenn ja wie die Bundesregierung sicherstellen will, dass AWACS-Flugzeuge nicht als Feuerleitstelle eingesetzt werden". Der verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Paul Schäfer, kündigte ein Nein seiner Gruppierung zum AWACS-Einsatz im Bundestag an.
Die NATO wird zudem die Präsidentschaftswahl in Afghanistan im August mit bis zu 10.000 zusätzlichen Soldaten absichern. Die Truppen würden unter anderem die unabhängigen Wahlbeobachter schützen, erklärte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer. Noch im April war erst von 3000 Soldaten zusätzlich die Rede. Doch damals seien die zusätzlichen US-Truppen noch nicht eingerechnet gewesen, erläuterte ein NATO-Sprecher. Diese stellten allein rund 5000 der zusätzlichen Kräfte.
Gewalt in Afghanistan steigt an
Die Gewalt in Afghanistan ist derweil nach US-Angaben auf den höchsten Stand seit 2001 gestiegen. In der vergangenen Woche seien mehr Sicherheitsvorfälle als jemals zuvor seit dem Sturz der radikal-islamischen Taliban verzeichnet worden, sagte der Oberbefehlshaber der US-Truppen in der Region, General David Petraeus, bei einer Veranstaltung in Washington. In den ersten fünf Monaten des Jahres stieg die Zahl der Angriffe durch Aufständische gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 59 Prozent, wie aus einem Bericht der NATO-Schutztruppe ISAF hervorgeht, der der Nachrichtenagentur Reuters in Teilen vorlag. Besonders stark nahm die Gewalt demnach im Süden des Landes zu: Dort stieg die Zahl der Extremistenangriffe im Zeitraum von Januar bis Mai im Vergleich zum Vorjahr um 78 Prozent.
"Vor uns liegen einige harte Monate", warnte Petraeus. Die Gewalt werde teilweise noch zunehmen, da die Truppen Jagd auf die Rückzugsorte der Aufständischen machen würden. Dem ISAF-Bericht zufolge stieg die Zahl der Einsätze von afghanischen und Nato-Truppen in den ersten fünf Monaten des Jahres um rund ein Drittel.
Die USA haben ihre Truppen in Afghanistan seit Ende 2008 von rund 32.000 auf derzeit 56.000 Soldaten aufgestockt. Petraeus rechnet damit, dass die Truppenstärke bis zum Herbst auf insgesamt 68.000 anschwellen wird. Neben der verstärkten Truppenpräsenz gilt auch der milde Winter als Grund für den Anstieg der Gewalt: Taliban-Kämpfer und andere Aufständische konnten dadurch ungehindert von Pakistan aus nach Afghanistan eindringen.
Neue Einsatztaktik
Der neue US-Befehlshaber für Afghanistan kündigte zudem eine Überprüfung der Einsatztaktik seiner Truppen an. Damit solle auf den wachsenden Ärger in der Bevölkerung über zivile Opfer bei Angriffen reagiert werden, sagte General Stanley McChrystal der BBC. Es komme darauf an, das richtige Gleichgewicht zwischen kurzfristig-taktischen und langfristig-strategischen Wirkungen zu erreichen. "Die wichtigste Aufgabe ist dabei der Schutz des afghanischen Volkes, damit dieses die Regierung Afghanistans als legitim und leistungsfähig anerkennt."
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts