Leipziger Buchmesse eröffnet Aktivisten stören Scholz' Rede - der kontert
21.03.2024, 00:44 Uhr Artikel anhören
Flandern und die Niederlande sind dieses Jahr Gastland der Leipziger Buchmesse. Bei der Eröffnung liegt der Fokus aber auf einer anderen Region: Die Rede von Kanzler Scholz wird von pro-palästinensischen Aktivisten unterbrochen. Und der mit einem Buchpreis ausgezeichnete Philosoph Omri Boehm beklagt "katastrophales Versagen" in Nahost.
Die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse ist mehrfach von Demonstranten unterbrochen worden. Während der Ansprache riefen mehrere im Gewandhaus verteilte Aktivisten laut, aber weitgehend unverständlich in die Rede des SPD-Politikers hinein. Nach Angaben von mehreren näher sitzenden Zeugen warfen die Rufer der israelischen Regierung einen Genozid im Gazastreifen vor.
Weite Teile des Protestes wurden von anhaltendem Beifall des Publikums übertönt. "Uns alle führt hier in Leipzig die Macht des Wortes zusammen - nicht des Geschreis", sagte Scholz begleitet von Applaus.
Nach einigen Minuten konnte er seine Eröffnungsrede fortsetzen. Dabei outete sich Scholz als Leseratte. "Uns alle - und da schließe ich mich ein - verbindet die Liebe zum Lesen", sagte er. Er sei genauso wenig auf ein bestimmtes Genre festgelegt wie die Messe: "Wenn man es zulässt, dann wartet hinter dem Buchdeckel die Überraschung, die uns im Netz oft abhandenkommt, weil uns Algorithmen dort vor allem das zeigen, was wir sowieso gut finden, oder gut finden sollen." Wer es zulasse, finde überall etwas Interessantes, Spannendes oder Berührendes.
Wer lese, lasse andere Perspektiven als die eigene zu, nehme persönlich Anteil an Entwicklungen, so Scholz. Mit jedem Kapitel, mit jeder neuen Seite könnten Gegensätze überwunden werden, die im Alltag unüberbrückbar erschienen. "Lesen ist deswegen der tägliche Beweis, dass wir uns trotz unserer Unterschiede verstehen können, dass unsere Gesellschaften, in Deutschland, in Europa mitnichten dazu verdammt sind, auseinanderzudriften."
Scholz appellierte: "Folgen wir denen nicht, die uns spalten wollen, die ganzen Gruppen in diesem Land die Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft absprechen wollen. Glauben wir niemals denen, deren Antworten am Ende auf Intoleranz, Ausgrenzung und Hass hinauslaufen." Dies würde das Land "nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich ruinieren".
Preisträger Boehm: Deutschland soll "harte Wahrheiten" aussprechen
Zur Eröffnung wurde der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2024 an den deutsch-israelischen Philosophen Omri Boehm für sein Buch "Radikaler Universalismus" verliehen. In seiner Dankesrede sprach er von Fehlern auf allen Seiten im Nahost-Konflikt und beklagte "katastrophales Versagen" auf allen Seiten. "Meine palästinensischen Freunde wissen, dass jeder, der das, was mein Land jetzt in Gaza tut, Selbstverteidigung nennt, meine Identität zutiefst beschämt, die jüdische und israelische", sagte Boehm in seiner mit viel Applaus bedachten Rede. Zugleich nannte er es einen "moralischen Bankrott", wenn die Hamas-Massaker vom 7. Oktober als bewaffneter Widerstand bezeichnet würden.
Zu Positionen aus Deutschland sagte Boehm: "Was ist mit der deutsch-jüdischen Freundschaft? Da, wo sie besteht, ist sie ein wahres Wunder. Eines, das mir besonders am Herzen liegt." Doch dieses Wunder müsse vor Entwertung geschützt werden. Es könne keine deutsch-jüdische Freundschaft existieren, "wenn sie in diesen dunklen Zeiten keinen Platz für die schwierigen Wahrheiten hat, die im Namen der jüdisch-palästinensischen Freundschaft gesagt werden müssen." Wegen der Freundschaft müsse die Wahrheit nicht geopfert werden, ganz im Gegenteil, so Boehm weiter: "Harte Wahrheiten müssen offen ausgesprochen werden. Denn wir sollen Freunde bleiben."
Die Leipziger Buchmesse - nach Frankfurt die wichtigste deutsche Literaturschau - läuft von Donnerstag bis Sonntag. 2085 Aussteller aus 40 Ländern präsentieren ihre Bücher und Neuerscheinungen. Nach einem positiven Vorverkauf wird mit einem Plus bei den Besucherzahlen gerechnet, im vergangenen Jahr kamen 274.000 Menschen. Als Gastland präsentieren sich in diesem Jahr die Niederlande und Flandern als gemeinsamer Sprach- und Kulturraum unter dem Motto "Alles außer flach".
Quelle: ntv.de, ino/dpa