Ukraine-Konferenz in Dschidda Am Wochenende soll neue Friedens-Allianz entstehen


Friedenssymbol: Tauben in Dschidda.
(Foto: picture alliance/AP Photo)
Mehr als 30 Staaten wollen am Wochenende in Saudi-Arabien mit ukrainischen Vertretern über einen Weg zum Frieden sprechen. Die Bundesregierung hofft auf einen Schulterschluss zwischen Westen und globalem Süden - und dank Saudi-Arabien auch auf China.
Diplomatie ist ein Geschäft, in dem es schnell schmutzig wird. Dass Deutschland aus höheren Erwägungen auch zu ausgewählten Diktaturen enge Beziehungen pflegt, ist daher wenig überraschend. Die neue Rolle, die aber Saudi-Arabien und seinem Kronprinzen Mohammed bin Salman im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine zufällt, kommt einer besonderen Aufwertung gleich. Schließlich ist Saudi-Arabien Kriegspartei im Jemen, unterhält Verbindungen zu islamistischen Netzwerken, hat mit 196 Hinrichtungen im Jahr 2022 Platz zwei in dieser Rangliste hinter dem Iran inne und bin Salman gilt als Auftraggeber des grausigen Mordes am Journalisten Jamal Kashoggi 2018 in Istanbul. Nun aber findet am Wochenende eine Konferenz zum Krieg in der Ukraine in der saudischen Hafenstadt Dschidda statt, von der sich auch die Bundesregierung viel verspricht.
Der außenpolitische Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz, Jens Plötner, wird Berlin vertreten. Mehr als 30 weitere Staaten, unter anderem die USA, EU-Länder, Großbritannien, Chile, Indonesien, Ägypten und die Türkei, nehmen auf Ebene der Nationalen Sicherheitsberater teil. Mit dabei ist natürlich auch die Ukraine, nicht aber Russland und die spannende Frage ist: Kommt ein Vertreter der mit Russland weiter eng befreundeten Supermacht China? Die Chancen darauf stehen nach westlicher Einschätzung gut. Bei einem Treffen Ende Juni hatte China noch wegen Terminschwierigkeiten abgesagt. Es wäre "eine Frucht des saudischen Bemühens", wie es aus Berliner Regierungskreisen heißt, wenn es diesmal anders ist.
Riads neue Nähe zu Peking
China wäre jedenfalls nicht zu einer von westlichen Staaten organisierten Konferenz in einem NATO-Land unter Ausschluss Russlands erschienen. Dabei hält Peking einen Schlüssel zu einem halbwegs gerechten Ende des Krieges in der Ukraine in der Hand. Machthaber Xi Jinping ist vielleicht der einzige Staatschef, der überhaupt Einfluss auf Präsident Wladimir Putin nehmen kann, zumal die engen russisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen für Russland überlebenswichtig geworden sind angesichts westlicher Sanktionen.
Hier kommt Saudi-Arabien ins Spiel. Das Königreich nähert sich seit Monaten China an. Peking vermittelt derzeit eine Annäherung zwischen dem sunnitischen Golfstaat und dem mehrheitlich schiitischen Mullah-Staat Iran, die innig verfeindet sind. Zudem ist Saudi-Arabien als vom Westen unabhängige Mittelmacht als Gastgeber der Konferenz satisfaktionsfähig für Regierungen, die Russland weniger kritisch gegenüberstehen als der Westen und seine traditionellen Verbündeten. Dass das Land geografisch günstig gelegen ist, kommt hinzu. Von den mehr als 40 Grad Außentemperatur, vor denen viele Saudis in die europäische Sommerfrische fliehen, werden die teilnehmenden Staatenvertreter in ihren klimatisierten Konferenzräumen und Hotels wenig mitbekommen.
Ein gemeinsames Verständnis vom gerechten Frieden
Die Liste verbindlicher Zusagen umfasst mit Brasilien, Indien und Südafrika weitere wichtige Vertreter des sogenannten globalen Südens, also jener Entwicklungs- und Schwellenländer, die im Konzert der Großmächte immer dann gefragt sind, wenn in einer Pattsituation beide Seiten das Gewicht zum eigenen Vorteil zu verschieben versuchen. Doch anders als etwa noch zu Zeiten des Kalten Krieges treten diese Staaten im Wissen um ihre strategische Bedeutung heute deutlich selbstbewusster auf. Brasilien, Indien und Südafrika bilden zusammen mit Russland und China den Block der sogenannten BRICS-Staaten, alle fünf wollen sich am 22. August in Johannesburg treffen. Allerdings reist für Russland Außenminister Sergej Lawrow an, weil Südafrika den vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Fahndung ausgeschriebenen Putin direkt nach seiner Landung festnehmen müsste.
Nun wird es Lawrow sein, der von den vier wichtigen Partnerländern zu hören bekommt, was da in Dschidda besprochen wurde. Seit Monaten wirbt die Bundesregierung zusammen mit anderen westlichen Staaten um Brasilien, Südafrika und Indien, die aus verschiedenen Gründen eine Parteinahme in dem Konflikt scheuten, sich zuletzt aber vorsichtig westlichen Sichtweisen auf den Krieg annäherten. Bei der Konferenz gehe es darum, eine "Brücke" zu schlagen zwischen westlichen Vorstellungen von einer Friedenslösung und den Ideen und Interessen des globalen Südens, heißt es aus deutschen Regierungskreisen.
Im besten Fall könnten sich alle Teilnehmer in einer Erklärung wiederfinden, die Prinzipien einer gerechten Friedenslösung festschreibt. Die Grundlage bieten könnten demnach der im November vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgelegte 10-Punkte-Friedensplan, der Friedensplan einer Gruppe afrikanischer Staaten und die Vorschläge Brasiliens.
Perspektivwechsel
Die afrikanischen Vertreter hatten - ebenso wie China mit seiner im Nirgendwo verhallten Friedensinitiative - lange Zeit auf eine schnelle Waffenruhe gedrungen. Dies lehnte Kiew zusammen mit seinen Unterstützer-Staaten durchweg ab, weil es Russland nur die Möglichkeit verschafft hätte, besetztes Gebiet zu konsolidieren und die eigenen Truppen neu zu formieren. Von dieser Forderung sollen die afrikanischen Vertreter nach ihrem Besuch in der Ukraine abgerückt sein, nachdem sie selbst Kriegsgräuel-Orte wie Butscha besichtigt und Schilderungen über die von Russland verschleppten Kinder mit eigenen Ohren gehört hatten.
Derweil hofft man im Westen, dass Putins Aufkündigung des Getreideabkommens und die Bombardements von ukrainischen Getreide-Silos und Häfen afrikanische Regierungen ebenfalls umstimmen. Diese wollen schließlich zuverlässigere Handelswege und Ernährungssicherheit, keine Almosen und Gefälligkeiten, wie sie Russland jüngst mit gratis Getreidelieferungen versprochen hat. Spannend wird, ob sich beim Gipfel alle Teilnehmer die Forderung Selenskyjs nach vollständiger Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine anschließen. Es wird das Ziel westlicher Staaten und Kiews sein, möglichst viel noch zwischen den Stühlen stehende Mittel- und Regionalmächte hinter dieser Maxime zu versammeln.
Die Konferenz fällt in eine Zeit erster Ernüchterung, weil die zumindest von der westlichen Öffentlichkeit mit großen Hoffnungen verknüpfte Gegenoffensive der ukrainischen Armee nur langsam vorankommt. Was das für den weiteren Kriegsverlauf bedeutet, lässt sich ebenso wenig absehen, wie die Implikationen für mögliche Friedensverhandlungen. Die Ukraine zumindest arbeitet nach Darstellung aus Regierungskreisen aktiv an Papieren und Vorschlägen, wie es zu einem Friedensschluss kommen könnte, und sucht dafür intensiv den Schulterschluss mit den Ländern des globalen Südens. Offen ist, ob eine mögliche Neuorientierung von Ländern wie Indien, Brasilien und Südafrika auch Eindruck auf Peking machen könnte. Den Versuch scheint es zumindest wert zu sein.
Quelle: ntv.de