Wahlkampfberater Louis Perron "An Merz' Stelle würde mich das nervös machen"
18.01.2025, 12:16 Uhr
Merz hat derzeit die besten Karten, der nächste Bundeskanzler zu werden. Wahlkampfberater Louis Perron hat dennoch Ratschläge für den CDU-Chef.
(Foto: picture alliance / SVEN SIMON)
An diesem Montag wird Donald Trump wieder als US-Präsident vereidigt. Warum er gewann, erklärt der Schweizer Wahlkampf-Manager und Buchautor Louis Perron im Interview. Sein auf Englisch erschienenes Buch "Beat the Incumbent!" ("Schlage den Amtsinhaber") ist eine Anleitung für alle, die selbst kandidieren wollen. Laut "Süddeutscher Zeitung" lag es auch auf dem Schreibtisch von Friedrich Merz. Auch zum deutschen Wahlkampf hat Perron einiges zu sagen. Für Scholz hat er keine guten Nachrichten. Er erklärt aber auch, was ihn an Merz' Kampagne nervös macht.
ntv.de: Herr Perron, am Montag wird Donald Trump als US-Präsident vereidigt. Hat Sie sein erneuter Sieg überrascht?
Louis Perron: Jein. Ich war hin- und hergerissen. Kurz vor Schluss habe ich rein gefühlsmäßig zu Harris tendiert. Ich hatte sogar einen Blog-Post mit der Prognose vorbereitet. Aber ich habe mir vor Langem einmal vorgenommen, kurz vor dem Wahltermin keine Medien mehr zu verfolgen und auch selbst nichts zu schreiben. Ich bin froh, dass ich dabei geblieben bin.

Dr. Louis Perron berät seit 17 Jahren Menschen dabei, Wahlen zu gewinnen. Er hat in mehreren Ländern gearbeitet. Als einer der wenigen Praktiker hat er sich auch wissenschaftlich mit dem Thema befasst. In seiner Doktorarbeit verglich er Wahlkämpfe in Brasilien, Deutschland, den Philippinen und den USA.
(Foto: privat)
Was hat Harris falsch gemacht?
Wahrscheinlich lag der größte Fehler bei den Demokraten und Biden. Der hätte es bei einer Amtszeit belassen sollen, wie er es ursprünglich angekündigt hatte. Wer weiß, was dann gewesen wäre? Im Wahlkampf selbst waren dann drei Themen entscheidend: die Wirtschaft, die Grenze und der sogenannte Woke-ism. Alle drei waren schwierig für Harris. Hätte sie nur eines dieser drei Themen bewältigen müssen, hätte sie vielleicht gewonnen. Drei waren aber zu viel. Sie hatte es ohnehin schwer. Wahlen sind Referenden über den Amtsinhaber. Diesbezüglich gibt es in den USA zwei wichtige Umfragewerte. Da wird gefragt, ob das Land auf dem richtigen Weg ist oder auf dem falschen und wie zufrieden die Menschen mit der Arbeit des Präsidenten sind. Beide Werte waren dramatisch schlecht.
Aber das betraf doch Biden und nicht Harris.
Ja, aber sie war die Kandidatin der regierenden Partei. So musste Harris entscheiden, wie sie sich zu Biden positioniert. Distanziert sie sich? Ist sie ganz loyal? Sie hat sich offensichtlich für Letzteres entschieden. Dafür gab es auch gute Gründe. Im Nachhinein muss man aber dennoch sagen, sie hätte sich wahrscheinlich stärker distanzieren müssen. Es bleibt aber trotzdem die Frage: Hat Trump gewonnen oder hat Harris verloren?
Und wie lautet Ihre Antwort?
Das ist natürlich immer eine Kombination. Und doch haben die Demokraten aus meiner Sicht eher verloren. Sie hätten bei der Grenzsicherung viel früher agieren können und auch die wirtschaftlichen Erfolge der Regierung besser verkaufen können. Die Lage war ja zumindest auf dem Papier gar nicht schlecht. Da wäre mehr möglich gewesen.
Wenn Trump nun ins Amt kommt, wird er dann womöglich ganz schnell entzaubert?
Die Amerikaner sagen: Reality will kick in. Irgendwann werden sich die Amerikaner wohl daran erinnern, warum sie ihn vor vier Jahren abgewählt hatten. Er hat aber Glück: Der wirtschaftliche Aufschwung hat schon begonnen. Das Timing für ihn ist also perfekt.
Auch in Deutschland ist gerade Wahlkampf, als Schweizer schauen Sie genau zu. Bundeskanzler Olaf Scholz liegt mit der SPD abgeschlagen auf Platz 3 in den Umfragen. Hat er trotzdem noch eine Chance?
Eine Chance gibt es immer. Aber die Frage ist, wie groß sie ist. In diesem Fall ist die Chance sehr klein. Allein die Tatsache, dass einige in seiner eigenen Partei sich auch öffentlich für einen anderen Kandidaten ausgesprochen haben, zeigt wie verletzbar er ist. Aber wir haben in Deutschland schon unglaubliche Comebacks gesehen. Helmut Kohl 1994 gegen Rudolf Scharping und Gerhard Schröder gegen Edmund Stoiber 2002. Scholz' Chance ist dennoch klein.
Darüber schreiben Sie auch In ihrem Buch "Beat the Incumebent!" ("Schlage den Amtsinhaber"). Dort sagen Sie, sie nähmen keine Aufträge an, wenn der Kandidat politisch tot ist. Würden Sie noch ans Telefon gehen, wenn Scholz anriefe?
Nein. Ich glaube, es ist zu spät. Vor einem Jahr hätte man vielleicht noch etwas machen können.
Scholz tut sich schwer, eigene Fehler einzuräumen. Zugleich versucht er, die FDP für das Scheitern der Ampelkoalition allein-verantwortlich zu machen. Ist das einfach nur dreist? Oder vielleicht sogar schlau?
Das eine schließt das andere nicht aus. Einen Sündenbock braucht es schon. Aber auch ein Bundeskanzler muss einen persönlichen Draht zu den Wählern herstellen. Das ist wie in einer Beziehung. Es ist die erste Frage bei einem Comeback-Versuch, ob die Leute überhaupt noch zuhören wollen. Wer um Entschuldigung bittet und Fehler einräumt, kann Vertrauen zurückgewinnen. Das erscheint mir unabdingbar für ein kraftvolles Comeback. Der nächste Schritt könnte dann die Suche eines Sündenbocks und die Gegenoffensive sein.
Ein Herausforderer muss sicherstellen, dass die Menschen den Status quo mit dem Amtsinhaber verbinden. Das ist eine der Lehren aus Ihrem Buch. War es insofern für alle Ampel-Parteien wichtig, dass die Koalition vorzeitig endet? Damit man sich möglichst lange vor der Wahl noch von dem miesen Status quo distanzieren kann?
Nein. Besser wäre es gewesen, die Ampel wäre erfolgreich gewesen und die Menschen hätten das Gefühl, das Land ist auf dem richtigen Weg. Dann wären Scholz und die SPD in einer viel besseren Ausgangslage. Meinem Eindruck nach ist den Deutschen Stabilität unheimlich wichtig. Das stellt auch die Verfassung aus offensichtlichen historischen Gründen sicher. Die Hürden für vorgezogene Neuwahlen sind sehr hoch. Wenn es dann doch dazu kommt, ist das ein Eingestehen des Scheiterns. In diesem Fall liegt es schon nahe, dass die Menschen kein Weiter so wollen. Jetzt die Equipe zu wechseln, liegt schon sehr nahe.
Scholz scheint aktuell seine "Respekt"-Kampagne von 2021 zu wiederholen. Ist das klug? Nach dem Motto: Hat einmal funktioniert, funktioniert wieder?
Nein, ganz sicher nicht. Gute Kampagnen mögen Elemente früherer erfolgreicher Kampagnen beinhalten, sind aber keine Wiederholung. Scholz ist in einer ganz anderen Situation als vor drei Jahren. Er ist nicht mehr der Herausforderer, sondern der Amtsinhaber. Seine Gegner sind völlig anders und auch die Wählerschaft hat sich verändert. Daher denke ich, das ist ein Fehler. Übrigens hat mich die Kampagne von 2021 auch nicht sonderlich beeindruckt.
Warum nicht?
Dass die SPD nach 16 Jahren Merkel und allem, was sie ihrem Land angetan hat, weniger als zwei Prozent vor der CDU lag, war sehr dürftig. Zumindest parteiintern hätte man da selbstkritisch sein sollen.
Aber die Kritik an Merkel kam doch vor allem von rechts.
Genau. Die SPD hat sich in der Großen Koalition in eine sehr schwierige Lage manövriert. Ihre Hände waren gefesselt. Sie konnte nicht richtig als Challenger agieren.
CDU und CSU liegen derart deutlich in Führung, dass die meisten davon ausgehen, dass Friedrich Merz der nächste Bundeskanzler wird. Sie auch?
Die Chance ist sehr groß. Da müsste schon sehr viel schief gehen. In den USA gibt es das Bonmot: Don't interrupt when your opponent self destructs (etwa: "Unterbrich deinen Gegner nicht, wenn er sich selbst zerstört", Red.). Dieses Lied singt jetzt Herr Merz. Er hat eigentlich den einfachsten Wahlkampf seit Langem. Mir ist er aber fast ein bisschen zu still. Er hat ja mit der AfD auch Konkurrenz auf der rechten Seite. Er muss schauen, dass Alice Weidel ihm nicht die Show stiehlt. Ich finde es grundsätzlich richtig, dass er defensiv ist und sich darauf konzentriert, keine Fehler zu machen. Aber er übertreibt es fast ein bisschen.
Kann es sein, dass Merz im Wahlkampf die Rolle des Amtsinhabers einnimmt, weil er so weit vorn liegt? Also die Rollen mit Scholz vertauscht sind?
Bis zu einem gewissen Grad ist das so. Das liegt an der Ausgangslage. Scholz ist der Challenger - in dem Sinne, dass er die Dynamik verändern muss. Wenn es so weiter läuft wie bisher, wird Merz am Ende der Sieger sein. So gesehen muss Scholz in die Offensive gehen. Dafür bräuchte er aber eine sehr viel kohärentere Geschichte, warum man Merz nicht wählen darf. Was ich bis jetzt gehört habe, sind nicht wirklich neue Informationen für die Wähler, etwa Merz' Erfahrungen in der Wirtschaft. Da ist vieles schon eingepreist.
Niemand würde sich wundern, wenn die Union angesichts der Schwäche der Ampelparteien bei 35 oder sogar 40 Prozent stünde. Ist es seine Schwäche, dass er kaum über die Grenzen der CDU hinaus Wähler anspricht?
Rein von seinem Profil her könnte er schon eine größere Wirkung nach rechts entfalten. Sein erster Schritt war es, die eigenen Reihen zu schließen. Das ist ihm gelungen, ohne viel Wirbel zu machen. Der nächste Schritt hätte es sein müssen, neue Wählerschichten zu erschließen. Erfolgreiche Politiker müssen Wählerkoalitionen bilden können. Er könnte der AfD stärker den Wind aus den Segeln nehmen. Aufgrund von seinem Profil wäre er prädestiniert, Leute von der AfD zurückzugewinnen.
Was sollte er konkret tun? Die CDU ist ja in der Migrationsfrage nach rechts gerückt. Sie macht Druck, die Grenzen zu schließen und Abschiebungen zu erleichtern.
Genau das sollte er noch mehr machen und sich direkt an die AfD-Wähler wenden. Es bräuchte knackige Zitate, die das unterstreichen. Parteiprogramme liest kaum jemand. Er hat sich mit knackigen Zitaten in der Vergangenheit allerdings öfter die Finger verbrannt. Daher ist er vorsichtig. Aus meiner Sicht zu vorsichtig.
Manche werfen Merz eine programmatische Verengung auf die Wirtschaft vor, zumal auch Generalsekretär Carsten Linnemann ähnliche Prioritäten setzt, neben Migration und innerer Sicherheit. Der Sozialflügel der CDU kommt kaum noch vor. Schadet ihm das?
Merz hat ja die Merkel-Anhänger in der CDU nicht verdrängt. Er hat versucht, alle Flügel möglichst geräuschlos zusammenzuhalten. Es wird oft überlegt, ob eine Partei sich eher nach rechts oder links orientieren soll. Das ist eine Falle! Volksparteien gewinnen dann, wenn sie verschiedene Strömungen einigermaßen elegant integrieren können. Deswegen darf es durchaus verschiedene Aushängeschilder geben, die auch um Stimmen in der Mitte werben.
Kohl gegen Scharping, Schröder gegen Stoiber, Merkel gegen Schulz, Sie haben Wahlkämpfe in Deutschland oft genau beobachtet. Wie würden Sie diesen in einem Satz beschreiben?
Schwer zu sagen. Vielleicht: Mission impossible gegen im Schlafwagen ans Ziel. Aber wie gesagt, an Merz' Stelle würde mich das auch nervös machen, so weit in Führung zu liegen. Wie man in den USA im Wahlkampf-Jargon sagt: It isn't over until it's over.
Mit Louis Perron sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de